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Praxisfall (Foto: dinostock.com)
Praxisfall

„Einmal ist keinmal” - Bestandsschutz für Kurheim-Aufzug trotz fehlender Gefährdungsbeurteilung

Thomas Wilrich
12.10.2015
Zur Verantwortung des Betreibers und des externen Wartungsunternehmens nach einem Unfall an einer über 30 Jahre alten Anlage.
Das Landgericht (LG) Detmold [1] hatte in zwei Urteilen über folgenden Fall zu entscheiden:

Sachverhalt:

B betreibt ein Kurheim, das einen Aufzug „älteren Modells“ hat. B vereinbarte für den Aufzug 1977 mit dem Unternehmen W einen Wartungsvertrag. Der letzte Wartungsdienst war am 1. Juli 2010. Am Abend des 12. August 2010 hatte ein Mitarbeiter des W „Reparaturarbeiten an dem Fahrstuhl aufgrund eines aufgetretenen Defektes ausgeführt“.

Am 13. August 2010 wollte die 80-jährige Bewohnerin K mit dem Aufzug zum Frühstück und trat ins Leere, weil die Kabine etwa 18 cm über dem Bodenbereich stehengeblieben war. Sie brach sich mehrere Knochen. Sie ist die Klägerin und verlangt € 10.000,- Schmerzensgeld – zunächst von W (dazu I.), und dann nach Erfolglosigkeit auch von B (dazu II.).

Urteile:

Voraussetzung der Haftung ist eine Pflichtverletzung.

I. Klage gegen das Wartungsunternehmen

Das AG Detmold weist die Klage gegen das Wartungsunternehmen ab, denn es „lässt sich nicht feststellen, dass der Unfall auf eine Pflichtverletzung der W zurückzuführen ist“. Die Beweislast liegt bei K als Anspruchstellerin.
  • Erstens ist kein Fehler des Monteurs bei der Reparatur am Vortag ersichtlich: Dass er „eine falsche Einstellung vorgenommen habe, ist nicht zu erkennen. Der Fahrstuhl war am Vortag in einem der oberen Stockwerke stehengeblieben, die Kabine habe allerdings bündig mit dem Boden abgeschlossen. Nach der Reparatur funktionierte der Fahrstuhl unstreitig wieder. Der Fehler hätte jedoch bei einer falschen Einstellung anschließend bei mehreren oder allen Fahrten wieder auftreten müssen. An welcher Stelle dieser ‚Schaltfehler‘ aufgetreten ist, konnte nicht mehr ermittelt werden. Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, ob dieser Fehler durch Verschleiß oder einen Serviceeingriff aufgetreten ist.“
  • Zweitens hätte der Monteur „auch nicht zu einer Stilllegung des Fahrstuhls raten müssen, z.B. bis zu einer noch auszuführenden weiteren Reparatur. Bei den anschließenden Probefahrten funktionierte der Aufzug wieder. Der Fehler am nächsten Tag war nach der Einschätzung des Sachverständigen für den Monteur nicht vorhersehbar.“
  • Drittens „ergibt sich eine Haftung der W auch nicht daraus, dass offenbar eine sog. Gefährdungsbeurteilung nach BetrSichV unterblieben ist. Diese Vorschrift richtet sich an den Betreiber der Anlage bzw. den ‚Arbeitgeber‘, nicht jedoch an das Wartungsunternehmen. Dass eine Übertragung dieser Pflichten vom Betreiber auf die Beklagte W stattgefunden habe, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.“
  • Viertens ist es nach Ansicht des Gerichts ohnehin „fernliegend“, dass „mit einer Gefährdungsbeurteilung die Ursache des aufgetretenen Fehlers hätte erkannt oder behoben werden können. Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass diese Gefährdungsbeurteilung zu einer Stilllegung des Fahrstuhls geführt hätte. Dagegen spricht schon der Umstand, dass die im Oktober 2009 und Oktober 2010 durchgeführten wiederkehrenden Prüfungen nach BetrSichV durch den TÜV einen Weiterbetrieb jeweils erlaubt haben. Die Entscheidung, ob der sicherheitstechnisch nicht mehr zeitgemäße Fahrstuhl (nach den Angaben des Sachverständigen fehlte eine Notrufeinrichtung, die Kabinentürschürze war zu kurz und es gab keine Türzugangsüberwachung durch eine Lichtschranke oder Lichtgitter) in dem Kurheim durch eine modernere Anlage hätte ersetzt werden sollen, oblag nicht der W.“
Fazit

Der externe Dienstleister haftet hier nicht, 
  • weil ihm bei der ihm übertragenen Aufgabe – der Wartung der Anlage – kein Fehler nachgewiesen werden konnte und
  • weil er nicht die Pflicht zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Umsetzung der ermittelten Schutzmaßnahmen – und damit eine Verantwortung auch für den Zustand der Anlage – übernommen hatte.
Wenn der Anlagenbetreiber einem Wartungsunternehmen diese Pflicht überträgt, reduziert sich die Betreiberpflicht auf Auswahl- und Kontrollpflichten [2]. Der Dienstleister kann dann haften, wenn er den Zustand unzutreffend als ausreichend sicher einstuft. Ob eine solche Fehleinschätzung vorliegt, beantwortet das Gericht in einer weiteren Klage der K gegen B, denn hier ist die Verantwortung ja beim Betreiber verblieben. 

II. Klage gegen den Betreiber

Obwohl das LG Detmold 2012 von einem „sicherheitstechnisch nicht mehr zeitgemäßem Fahrstuhl“ sprach, wies es 2014 auch die Klage gegen den Betreiber ab, denn es kann „nicht festgestellt werden, dass B eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht trifft. Derjenige, auf dessen Grundstück oder in dessen Haus eine Gefahrenquelle besteht, und der zugleich Haus und Grundstück einem – wenn auch nur beschränkten – Besucherkreis zugänglich macht, ist dafür verantwortlich, dass diese Gefahrenquelle beseitigt wird oder aber zumindest so abgesichert wird, dass niemand zu Schaden kommt. Die Anforderungen, die dabei an den Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen sind, sind jedoch vom Umfang her nicht unbegrenzt. So muss er keine Absicherung gegen jegliche auch nur entfernt denkbare Risiken treffen. Der Maßstab richtet sich vielmehr danach, welche Sicherheit das infrage kommende Publikum unter Berücksichtigung der technischen Gegebenheiten erwarten kann und darf."

Das bedeutet für die Aufzugsanlage im Kurheim, dass sie „sich in einem betriebssicheren Zustand befinden und den Anforderungen an die allgemeine Verkehrssicherung entsprechen muss. Insbesondere ist im vorliegenden Fall in Betracht zu ziehen, dass es sich bei den Gästen im Regelfall um ältere und ggfls. auch gebrechliche Personen handelt, also eine Personengruppe, die eines besonderen Schutzes bedarf."

Aber selbst „unter Anlegung dieses (erhöhten) Maßstabes lässt sich eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch B nicht feststellen. Unstreitig hat B aufgrund des von ihr mit W geschlossenen Wartungsvertrages die Aufzugsanlage regelmäßig warten lassen. Darüber hinaus hat sie unstreitig die turnusmäßigen TÜV-Prüfungen vornehmen lassen. Ebenso ist außer Streit, dass die Beklagte auftretende Mängel an der Anlage jeweils hat reparieren lassen." 

Das Gericht betont: „Im Kern geht es deshalb allein um die Frage, ob die am Unfalltag aufgetretene massive Halteungenauigkeit angesichts des Zustands und des Alters der Aufzuganlage zu erwarten war und diese sodann der B zuzurechnen wäre. Dass eine derartige Halteungenauigkeit vorher schon einmal oder sogar mehrfach aufgetreten wäre, vermag K nicht darzulegen. Ihr Vortrag geht dahin, dass aufgrund der technischen Rahmenbedingungen damit gerechnet werden musste. Dies ist jedoch ein Umstand, den sich die Beklagte nicht zurechnen lassen muss“.

Für die angesprochenen Rahmenbedingungen verweist das Gericht auf den Beschluss des OLG Frankfurt vom 24. Januar 2013 [2] und wiederholt die dortigen Aussagen: „Der Betreiber einer alten Aufzugsanlage ist im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht nicht verpflichtet, die Anlage mit modernen Warnvorrichtungen und dem neueren technischen Standard auszustatten, solange die Anlage noch den technischen Anforderungen des Errichtungszeitraums entspricht und nach neueren Vorschriften nicht nachgerüstet oder stillgelegt werden muss. Die Verkehrssicherheit fordert nur, dass die nach den technischen Möglichkeiten erreichbare Sicherheit geboten wird, wobei auf den Zeitpunkt der Errichtung der Anlage abzustellen ist. Für den Fall von altersbedingten Halteungenauigkeiten der Aufzugsanlage ist ein Warnhinweis für den Fall einer technischen Störung nur dann erforderlich, wenn eine solche Störung öfter auftritt."

 B hat zwar keine Gefährdungsbeurteilung gemäß BetrSichV vornehmen lassen. Aber das Gericht hat „bereits Zweifel daran, ob K überhaupt in den Schutzbereich der entsprechenden Vorschrift einzubeziehen ist und insoweit überhaupt der aus der Verkehrssicherungspflicht folgende Pflichtenkreis der B berührt ist“. Das wäre nach der neuen Betriebssicherheitsverordnung 2015 [3] anders, denn Aufzüge sind überwachungsbedürftige Anlagen – und für sie regelt die BetrSichV jetzt „zugleich Maßnahmen zum Schutz anderer Personen im Gefahrenbereich, soweit diese aufgrund der Verwendung dieser Anlagen durch Arbeitgeber gefährdet werden können“ (§ 1 Abs. 1 Satz 3). Andere Personen sind alle, die „sich im Gefahrenbereich einer überwachungsbedürftigen Anlage innerhalb oder außerhalb eines Betriebsgeländes befinden" (§ 2 Abs. 15 BetrSichV), also auch Kurheim-Bewohner, aber „nicht die Allge­meinheit“, denn bezweckt ist „nicht der Schutz der Bevölkerung oder gar der Schutz der Umwelt“ [4].

K wäre zwar heute geschützte Person, hat aber – so das Gericht – „nicht substantiiert vorzutragen vermocht, dass aufgrund einer derartigen Gefährdungsbeurteilung ein erhöhtes oder auch nur einfaches Risiko einer Halteungenauigkeit hätte aufgedeckt werden können. Dies gilt erst recht angesichts des Umstandes, dass die Beklagte eine derartige Gefährdungsbeurteilung zwischenzeitlich während des laufenden Prozesses hat durchführen lassen, ohne dass sich aus dem entsprechenden Prüfprotokoll die von der Klägerin erwartete Schlussfolgerung herleiten ließe. Im Ergebnis trifft die Beklagte danach aufgrund des durch die erhebliche Halteungenauigkeit hervorgerufenen Unfalls keine Verantwortung."

Das Gericht entschuldigt sich fast, „dass dieses Ergebnis für die Klägerin, die bereits auch einen Vorprozess gegen das Wartungsunternehmen angestrengt hatte, mehr als unbefriedigend sein muss. Indessen geht es hier allein um die Frage, ob sich die Beklagte die der Klägerin bedauerlicherweise entstandenen körperlichen Schäden zurechnen lassen muss.“

Das Gericht setzt sogar noch „hinzu, dass, selbst wenn die Beklagte für den Unfall und seine Folgen verantwortlich wäre, die Klägerin sich ein ganz erhebliches Mitverschulden (§ 254 BGB) zurechnen lassen müsste. Insoweit müsste zum Tragen kommen, dass die Klägerin die Halteungenauigkeit bei Ausübung einer auch nur geringen Sorgfalt hätte bemerken können. Von der Rechtsprechung wird es als Pflicht eines jeden Fahrstuhlbenutzers angesehen, bei Verlassen des Fahrstuhls darauf zu achten, ob dieser korrekt, insbesondere bündig mit dem Stockwerksboden angehalten hat.“ Der Aufzug des Kurheims hatte eine Halteungenauigkeit von 18 cm, „mithin einer deutlichen Differenz, die ohne Zweifel auch für einen alten Menschen eine entsprechende Stufenbildung hätte auffallen müssen“. K „selbst, die sich im Termin zur mündlichen Verhandlung beeindruckend geistig wendig gezeigt hat, hat im Termin ausgeführt, dass sie nicht auf den Boden geachtet hatte. Bereits damit hat sie ihrer vorstehend aufgezeigte Obliegenheit zuwidergehandelt.“

Fazit:

Der Betreiber einer Anlage ist verantwortlich für ihren Zustand und ihre Wartung. Wenn – wie hier durch die Einschaltung eines externen Dienstleisters – Wartungsfehler ausgeschlossen sind oder die Wartungspflicht sogar übertragen ist [2], kommt eine Haftung nur wegen unzureichenden = unsicheren Zustands in Betracht. Hierzu reicht aber nicht der Hinweis auf das Alter oder auf „sicherheitstechnische Unzeitgemäßheit“. Eine Haftung ist erst dann möglich, wenn aufgrund des technischen Zustands der Anlage der den Unfall auslösende Umstand – hier die „massive“ Halteungenauigkeit – zu erwarten war. Das setzt voraus, 
  • dass sich ein Fehler wiederholt, nicht dass er erstmals auftritt oder
  • dass eine Gefährdungsbeurteilung den sicherheitstechnischen Fehler zu Tage gefördert hätte.
Anders herum: Wenn der Fehler zum ersten Mal auftritt und mit einer Gefährdungsbeurteilung nichts entdeckt worden wäre, war er nicht erkennbar und es wird dann nicht gehaftet.

Anmerkungen
[1] LG Detmold, Urteile vom 18.12.2012 (Az. 9 O 212/11) und 4.8.2014 (Az. 1 O 228/13).
[2] Siehe die Fallbesprechung „Der Sturz aus dem Parkhaus-Aufzug – Zu Bestandsschutz und Nachrüstungspflicht nach BetrSichV und zur haftungsbefreienden Übertragung von Instandhaltungspflichten auf externe Dienstleister“ von Thomas Wilrich, in: BPUVZ Heft 5/2015.
[3] Zur ihr vgl. Thomas Wilrich: Die Betriebssicherheitsverordnung 2015 - Überblick und Leitfaden für den Umgang in der Praxis -, in: DER BETRIEB (DB) Heft 17, Seiten 981-987 und: Die sieben Säulen der Betriebssicherheitsverordnung für Bauunternehmen, in: BauPortal Heft 3/2015, Seiten 58-61 (Zeitschrift der Berufsgenossenschaft für die Bauwirtschaft).
[4] So die Verordnungsbegründung in BR-Drs. 400/14 v. 28.8.2014, S. 75.


Der Autor
Rechtsanwalt Dr. Thomas Wilrich ist tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkt- und Instruktionshaftung und Arbeitsschutz einschließlich der entsprechenden Betriebs­orga­ni­sation, Vertragsgestaltung und Strafverteidigung. Er ist an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München zustän­dig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisations­recht und Fachbuchautor zum Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) sowie Arbeits­schutzmanagement und Unfallversicherungsrecht (Internet: www.rechtsanwalt-wilrich.de – Email: info@rechtsanwalt-wilrich.de).

Programmbereich: Arbeitsschutz