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Experte für kommunale Unternehmen: Ulrich Cronauge (Foto: ESV-Archiv)
Nachgefragt bei: Ulrich Cronauge

„Kommunale Unternehmen sind Spitzenreiter in Sachen Vertrauen”

ESV-Redaktion Recht
23.02.2016
Die Weichen sind derzeit auf Re-Kommunalisierung gestellt: Warum kommunale Unternehmen für viele Aufgabenstellungen besser geeignet und mit welchen Entwicklungen die Städte und Gemeinden aktuell befasst sind, erklärt Ulrich Cronauge im Interview mit der ESV-Redaktion.

Nachdem die Kommunen in der Vergangenheit in großem Stil ihr „Tafelsilber“ veräußert haben, scheint der Sektor der mittelbaren Kommunalverwaltung seit einiger Zeit deutlich zu wachsen. Wo sehen Sie die Gründe dafür?


Ulrich Cronauge: Die Beantwortung der Frage, ob öffentliche Dienstleistungen besser in kommunaler oder aber in privater Hand erbracht werden sollten, erfolgte in den zurück liegenden 150 Jahren im Rahmen einer Wellen- bzw. Pendelbewegung – mal gab es die besseren Gründe für Privatisierung, mal für Kommunalisierung. Aktuell führt nunmehr seit geraumer Zeit der Trend eindeutig hin zur (Re-)Kommunalisierung und damit zu einer Renaissance kommunaler Wirtschaft.

Insbesondere votiert auch der Bürger ganz überwiegend für die kommunale Aufgabenerfüllung, für das kommunale Unternehmen, namentlich im Bereich der Daseinsvorsorge und damit zugleich gegen einen Ausverkauf kommunaler Gestaltungsmacht und des gleichzeitigen Verlustes von Bedeutung und Stellenwert kommunaler Selbstverwaltung im Staatsgefüge. Dabei sind die Gründe für die aktuelle Weichenstellung Richtung Re-Kommunalisierung vielfältig:

  • Globale Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise und ein dadurch bedingter Akzeptanzverlust der privaten Wirtschaft;
  • Zeitgleich der Wunsch nach Gemeinwohlorientierung, Stetigkeit und Nachhaltigkeit statt hemmungsloser Markt- und Gewinnmaximierung um jeden Preis;
  • Enttäuschte Erwartungen aus Privatisierungen in der Vergangenheit, verbunden mit Oligopolen, höheren Preisen, weniger Effizienz und nicht zufrieden stellender privater Leistungserbringung in qualitativer und quantitativer Hinsicht;
  • Unterstützung weiter Kreise der Bevölkerung zu Gunsten einer vorzugswürdigen Erledigung öffentlicher Aufgaben durch die Kommunen, zugleich gewachsenes Selbstbewusstsein der Städte und Gemeinden;
  • Regionalwirtschaftliche und standortpolitische Erwägungen, auch mit Unterstützung des örtlichen Mittelstandes und Handwerks;
  • Wahrung des kommunalen Einflusses und größerer Kontrolle sowie der demokratisch legitimierten Gestaltung;
  • Verstärkter Einzug betriebswirtschaftlicher Denk- und Handlungsweisen in die kommunale Verwaltung;
  • Relativierung gemeindlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch vergaberechtliche Restriktionen (Inhouse-Problematik);
  • Fehlende Zielkongruenz zwischen öffentlicher und privater Seite, namentlich bei gemischt-wirtschaftlicher Leistungserbringung;
  • Mittel- bis langfristig ökonomische Vorteile, auch zugunsten des kommunalen Haushalts.

Die Aufgabenstellungen der Kommunen können vielfältig sein, wenn sie Eigenbetriebe unterhalten: Vom Nahverkehr über Versorgungs- und Entsorgungsbetriebe, Existenzgründungszentren bis hin zu Freizeiteinrichtungen. Welche Vorteile sprechen dafür, dass Kommunen sich in kommunalen Unternehmen engagieren?

Ulrich Cronauge: Angesprochen sind nicht nur Eigenbetriebe, sondern die breite Palette der den Kommunen zur Verfügung stehenden Organisationsformen öffentlichen und privaten Rechts, bis hin zum Instrumentarium interkommunaler Zusammenarbeit. Dabei ist naturgemäß jede Entscheidung zu Gunsten eines kommunalen Unternehmens eine Einzelfallentscheidung, der eine umfassende Abwägung zwischen unmittelbarer und mittelbarer kommunaler Aufgabenerfüllung zu Grunde liegen sollte.

Die Vorteile organisatorischer Selbständigkeit im Rahmen einer Unternehmenslösung sind in erster Linie: Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Aufgabenerfüllung, markt- und wettbewerbsgerechte Aufstellung, Entlastung des kommunalen Haushalts, Flexibilität in der Personalwirtschaft, steuerliche Entlastungen und auch möglicherweise die Senkung von Entgelten, im Falle der Organisationsformen interkommunaler Zusammenarbeit naturgemäß die Gemeindegrenzen überschreitende gemeinsame Antwort auf neue Herausforderungen und den Wandel konkreter Infrastrukturleistungen im Bereich der Daseinsvorsorge.  

Gleichwohl gibt es Risiken: Welche drohen, wenn Städte und Gemeinden kommunale Unternehmen unterhalten?

Ulrich Cronauge: Das größte Risiko ist ein innerkommunales Problem, nämlich die Steuerung und Kontrolle kommunaler Unternehmen durch die Kommune. Auch die mittelbare Kommunalverwaltung, also die Aufgabenwahrnehmung durch verselbständigte Unternehmen, verbleibt gemeindliche Selbstverwaltung; auch durch Ausgliederung und Verselbständigung mittels öffentlich-rechtlicher oder privat-rechtlicher Organisationsformen wahrt die Gemeinde ihre Rechte, kann sich aber zugleich auch nicht ihren Pflichten und Bindungen entziehen.

Die primäre Aufgabenerfüllungsverantwortung wird ergänzt durch eine Steuerungsnotwendigkeit, die die notwendige demokratische Legitimationskette gewährleistet und dem gleich bleibenden Interesse der Bürger an einem qualitativ gehaltvollen, attraktiven und preiswerten Leistungsangebot Rechnung trägt. Eine drohende Atomisierung darf nicht einer einheitlichen Stadtpolitik entgegen wirken.

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Da stellt sich die grundsätzliche Frage: Halten Sie die öffentliche Hand für den geeigneteren Unternehmer, sofern Fragen der Grundversorgung betroffen sind?

Ulrich Cronauge: Ja – und mit dieser Meinung bin ich nicht allein, sondern sie wird von einer deutlichen Mehrheit der Bürger geteilt! Kommunale Unternehmen, namentlich Stadtwerke, sind Spitzenreiter in Sachen Vertrauen. 92% der Bürger bewerten ihre Stadtwerke als zuverlässig und 91% sind mit der Gesamtleistung der kommunalen Unternehmen zufrieden. Mit großer Mehrheit wollen die Bürgerinnen und Bürger bei der Versorgung mit Strom, Gas und Wasser durch ein kommunales Unternehmen versorgt werden; sie sprechen sich mit über 70% deutlich gegen eine Privatisierung kommunaler Aufgabenerfüllung aus.

Ein konkretes Beispiel bildet aktuell die Energiewende, die maßgeblich auf dezentrale Strukturen setzt; die Zeit der „Dinosaurier“ der Branche ist vorbei, wie aktuelle Geschäftsentwicklungen unschwer belegen! Nicht zuletzt die Auswirkungen der Finanzkrise, insbesondere der Vertrauensverlust in die Finanzwirtschaft und zugleich der Zugewinn des Staates und des Public Leadership, bieten Anlass und Chance für die Neupositionierung kommunaler Unternehmen: Citizen Value statt Shareholder Value, echte Wertschöpfung statt Spekulation, Vorrang von Langfristigkeit und Nachhaltigkeit statt Kurzatmigkeit, Versöhnung von Ökonomie und Ökologie wider rücksichtslose Machtgier und alleinige Durchsetzung des ökonomischen Prinzips als oberste Richtschnur in allen Lebenslagen, Nutzenstiften vor Gewinnstreben,, Wirtschaft nicht als Selbstzweck, sondern revitalisierte soziale Marktwirtschaft – sozial, ökologisch, human, verantwortungsvoll – global verpflichtet, lokal handelnd.

Und in welchen Fällen sollten Kommunen die Aufgaben eher privaten Unternehmen überlassen?

Ulrich Cronauge: Die Grenzen kommunaler Aufgabenerfüllung im Bereich der wirtschaftlichen Betätigung werden insbesondere durch das in den Kommunalverfassungen der Bundesländer verankerte Gemeindewirtschaftsrecht gezogen. Insoweit haben die Gesetzgeber bestimmte Voraussetzungen formuliert, wie etwa das Vorliegen eines öffentlichen Zwecks und die Relation zu Leistungsfähigkeit und Bedarf einer Gemeinde.

Der Schwerpunkt privater Aufgabenerfüllung dürfte jenseits von Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung der Daseinsvorsorge im Bereich der Annexaufgaben kommunaler Aufgabenerfüllung liegen, wie z.B. Gebäudereinigung, Vornahme handwerklicher Tätigkeiten sowie Planungstätigkeiten liegen.

Die zur Verfügung stehenden Rechtsformen sind zahlreich. Ist ein Trend erkennbar, welche Rechtsform von Kommunalunternehmen vorzugsweise gewählt wird?

Ulrich Cronauge: Der Trend der letzten Jahre geht weg von der früher beliebten Rechtsform des Eigenbetriebs hin zu den Organisationsformen des privaten Rechts, vornehmlich der GmbH. Fast 75% aller kommunalen Beteiligungen sind in dieser Rechtsform organisiert. Eine wesentliche Ausnahme widerspricht diesem Trend, nämlich die Anstalt des öffentlichen Rechts (Kommunalunternehmen), die – ausgehend vom Freistaat Bayern – seit dem Jahre 1995 auf dem Vormarsch befindlich ist. Mit Hilfe dieser so genannten öffentlich-rechtlichen GmbH wird eine Symbiose zwischen der Vermeidung von Steuerungsdefiziten bei gleichzeitiger unternehmerischer Autonomie und Flexibilität durch rechtliche Verselbständigung erzielt.

In Ihrem Standardwerk Kommunale Unternehmen führen Sie aus, dass es über Art, Anzahl und Umfang der verselbständigten mittelbaren Kommunalverwaltung keine umfassende Statistik gebe. Warum sind hier belastbare Fakten so schwer zu ermitteln?

Ulrich Cronauge: Die empirische Ausgangssituation ist in der Tat unbefriedigend. Dies mag mit der Vielzahl der Gemeinden (11.418) und der Anzahl der Ausgliederungen zusammen hängen, die in Großstädten teilweise weit über 100 liegt. Vielleicht ist auch der Befund ein Spiegelbild der kommunalen Selbstverwaltung und der hiermit einher gehenden Unabhängigkeit und Selbstgestaltung im Rahmen der verfassungsrechtlich abgesicherten Organisationshoheit.

Was sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Trends bei den kommunalen Unternehmen: Welche Themen stehen dort gegenwärtig im Fokus?

Ulrich Cronauge: Aktuell stehen die Kommunen und ihre Unternehmen vor einer Vielzahl ebenso weitreichender wie anspruchsvoller Herausforderungen: Entwicklung und Ausgestaltung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, demographischer Wandel, Wirtschafts- und Finanzkrise, transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), Energiewende, kommunale Haushalts- und Finanzsituation, Anpassungen der Gemeindeordnungen an das komplexe Umfeld sowie die vielschichtige, insbesondere vor Ort praktisch erfahrbare Flüchtlingsproblematik.

(ESV/map)

Zur Person
Ulrich Cronauge ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer a.D. im Verband kommunaler Unternehmen (VKU). Vor seiner Tätigkeit beim VKU war Cronauge nahezu zwei Jahrzehnte Hauptreferent beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Sein Zuständigkeitsbereich umfasste insoweit die Bereiche Kommunale Wirtschaft, Gemeindewirtschaftsrecht, Kommunales Abgabenrecht, Energie- und Wasserrecht. Rechtsanwalt Cronauge ist Autor des gerade in 6. Auflage im ESV erschienenen Standardwerks Kommunale Unternehmen, das unter Mitarbeit von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Pieck entstanden ist.

Programmbereich: Kommunalrecht und Kommunalverwaltung