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Neuerscheinung: Lean Management (Foto: Stocksnapper/ Fotolia.com)
Nachgefragt bei: Prof. Dr. Enno Weiß

Lean Management neu aufgelegt

ESV-Redaktion ConsultingBay
11.08.2015
Braucht es im Jahr 2015 noch ein Buch über Lean Management? Ja, sagt Prof. Dr. Dr. habil. Enno Weiß. Die Gründe hierfür erläutert der Mitherausgeber im Interview mit der ESV-Redaktion ConsultingBay.
Her Prof. Weiß: Das Thema Lean Management ist mittlerweile in aller Munde: Ist „Lean“ nicht schon so alltäglich, dass alles „lean“, also schlank zu sein hat?

Enno Weiß: Man muss hier unterscheiden zwischen der Verwendung des Begriffes in politischer Rhetorik und seinem engeren Unternehmensführungskontext. Unsere Gesellschaft verwendet mit Vorliebe medial griffige  Ausdrücke, um zu alarmieren, um Aufsehen und damit Kaufkraft anzuregen. Denken Sie an Stresstest oder Tsunami. Hierbei geht es nicht selten bloß darum, eine rhetorische Wirkung zu erzielen - aus welchen Motiven heraus auch immer. Ich denke hier v.a. an frühe Aussagen, wie z.B. : „Lean ist mean.“  Oder: „Eine Verschlankung von Unternehmen führe letztlich immer zu Magersucht“.

Die Rezeptionsgeschichte des Lean-Begriffes hat solche negative Bedeutungszumessungen verkraften müssen. Gerade weil man das Lean-Phänomen zunächst noch nicht fassen konnte, hat man sich zunächst viel zu sehr mit oberflächlichen Dingen beschäftigt, sie kopiert und dann damit experimentiert. Übersehen hat man allzu oft, dass bestimmte Logiken im Lean-Denken anders sind.  Daher sprechen wir bewusst vom Lean-Paradigma als Nachfolgekandidaten des Fordismus.

Dabei geht es weniger um den Begriff, als um die dahinter stehenden Prinzipien und Einstellungen. „Schlank“ heißt demnach nicht schon, wenn man von allem die Hälfte einspart. Vielmehr geht es in dem hier vorgetragenen Verständnis um permanente Verbesserungen zur Vermeidung von Verschwendung.  Als Unternehmer muss man sich stets fragen, ob Strukturen und Prozesse den Anforderungen des Marktes noch entsprechen; ob die betrieblichen Faktoren im Sinne Gutenbergs optimal kombiniert sind. Jede Veränderung eines Faktors erzeugt Disbalancen, die Veränderungen der anderen Faktoren nach sich ziehen. Daher gibt es auch kein finales Ergebnis, keinen Endpunkt, an den man die Hände in den Schoß legen kann:  „Jetzt ist mein Unternehmen lean.“ Vielmehr geht es immer weiter.

Im Übrigen: Es muss nicht alles schlank sein, wenn man andere Wege findet, um sich wettbewerbsfähig zu halten. Wir denken an Innovationen, wir denken auch an Monopolisten, denen es immer wieder gelingen mag, die eigenen Kosten (Gebühren) auf die Kunden zu überwälzen. Das alles sind zu Lean Management funktionale Äquivalente für wettbewerblichen Erfolg.

Aus Ihrer Sicht: Gibt es in Sachen Lean Management regionale oder auch nationale Unterschiede?

Enno Weiß: Ja, es gibt Unterschiede. Gerade dort, wo man im Zuge der Globalisierung bei neuen Produktionsstandorten einen „Greenfield –Ansatz“ verfolgen konnte, wird man Organisationseinheiten mit einem hohen Lean-Reifegrad finden. Daher kann es nicht verwundern, dass man gerade die am meisten konsequenten, nach  Lean-Prinzipien gestalteten Werke gerade auch deutscher Konzerne und Mittelständler in Übersee, v.a. auch in Asien findet. Ein Besuch lohnt sich auch heute noch, auch wenn man anstatt nach Japan wie früher, heute wohl eher nach China reisen müsste.

Welche Unternehmen ragen mittlerweile heraus, wenn man nach Best Practice im Lean Management sucht?

Enno Weiß: In der Automotive-Branche (OEMs und Zulieferer) gibt es sehr viele Unternehmen mit einem sehr hohen Lean-Reifegrad, v.a. in ihren Produktionsbereichen. Aber auch in anderen, v.a. aus sehr wettbewerbsintensiven  Industrien, wie im Maschinen- und Anlagenbau hat sich in den letzten Jahren vieles getan.

Ein Treiber für den Lean-Gedanken ist sicherlich das Thema „Industrie 4.0“: Ist sie ohne Lean-Management möglich oder sind die neuen technologischen Möglichkeiten der Industrie 4.0 erst die Wegbereiter für umfassendes Lean Management?

Enno Weiß: Als Treiber würde ich Industrie 4.0 nicht ansehen. Vielmehr ist es aus anderen Gründen und mit anderen Zielstellungen parallel zur Lean-Diskussion entstanden. Hier geht es darum, neue Möglichkeiten der Digitalisierung zur Anwendung zu bringen. Wir haben das Thema daher im Buch auch nur kurz gestreift.

Gleichwohl gibt es einen Zusammenhang: Es ist kein substitutiver, sondern ein  komplementärer. Wenn nicht-leane Unternehmen, deren Wertschöpfungsketten von Verschwendung geprägt sind, versuchen, alle Probleme mit I 4.0 zu lösen, werden sie Schiffbruch erleiden.

D.h. umgekehrt: Erst in einem stabilen organisatorischem Kontext, in dem die Prozesse wertstromorientiert auf die Kunden und Märkte des betreffenden Unternehmens fokussiert und nach den Lean-Prinzipien gestaltet worden sind – und das wollen wir mit Lean Management erreichen - kann das Thema „Industrie 4.0“ seine volle Durchschlagskraft entfalten.

Zum Abschluss das Thema Nachwuchs: In ihrem Buch schreiben Sie, dass die meisten Studenten, die ein wirtschaftsnahes Studium betreiben, schon einmal was von Lean Management gehört haben. Wie Lean ist der Nachwuchs?

Enno Weiß: Man müsste vielleicht präziser fragen: Wie lean-verständig ist der Führungsnachwuchs?

Die Lehrintensität der Lean-Themen ist von Hochschule zu Hochschule höchst verschieden. Als Forschungsthema in der Betriebswirtschaft spielte das Lean Management nicht wirklich eine große Rolle. Vielleicht liegt darin der Grund, warum in den letzten Jahren die Methodik von Lean Management v.a. in Ingenieurwissenschaftlichen Fakultäten immer mehr vermittelt wird.

Man kann sicher im Studium die Grundlagen lernen, deren Wirkungen im komplexen Anwendungsverbund kann man nur in der Praxis erfahren. Man braucht dazu die Anschauung mit erfahrenen Lean Managern und Lean Coaches, um individuelles und soziales Lernen zur Einheit zu bringen.

Denn  Lean Management als  Managementphilosophie bedeutet ja mehr als pure Wissensvermittlung zu einzelnen mehr oder weniger bekannten Intrumentarien. Das Mehr an  Führungsleistung, die notwendigen Veränderungen von Führung, Organisation und Kultur als Voraussetzung für „echtes“ Lean Management als Stör- aber auch als Steuergröße hervorzuheben, ist gerade unser wesentliches Anliegen in der dritten Auflage des Lean-Buches.

Ob der wissenschaftliche Nachwuchs auf die Lean Herausforderungen ausreichend vorbereitet ist und warum die Nachfrage nach Lean-Literatur auch 2015 noch hoch ist, erfahren Sie im ersten Teil des Interviews mit Prof. Weiß, welches auf ESV.info erschienen ist.

Zur Person

Prof. Dr. Dr. habil. Enno Weiß bekleidete verschiedene Führungspositionen und ist heute neben seiner apl. Professur als geschäftsführender Gesellschafter eines auf Restrukturierungs- und Strategieberatung spezialisierten Beratungsunternehmens tätig. Er fungiert darüber hinaus als Mitglied in Aufsichtsgremien von verschiedenen Unternehmen und ist (Ko-)Autor einer Vielzahl von Veröffentlichungen zum Innovations-, Lean- und Strategischen Management. (ESV/ms)

Zum Buch

Die dritte, völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage des Bandes „Lean Management: Grundlagen der Führung und Organisation lernender Unternehmen“ von Prof. Dr. Enno Weiß, Dr. Christoph Strubl und Wilhelm Goschy ist soeben im Erich Schmidt Verlag erschienen. Das Standardwerk zum Thema Lean Management können Sie hier bestellen.

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