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Ist die Vorlage einer gefälschten Impfunfähigkeitsbescheinigung ein Grund zur fristlosen Kündigung? Hier sind sich die Arbeitsgerichte in Schleswig-Holstein nicht einig (Foto: MQ-Illustrations / stock.adobe.com)
Impfpflicht in Pflegeeinrichtungen

Arbeitsgerichte in Schleswig-Holstein uneins bei Kündigungen wegen Vortäuschung der Impfunfähigkeit

ESV-Redaktion Recht
03.03.2023
Berechtigt die Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen ärztlichen „Bescheinigung über eine vorläufige Impfunfähigkeit“ durch einen Arbeitnehmer zur fristlosen Kündigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses? Diese Frage beantworten sowohl die Ausgangsinstanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein als auch die Kammern des LAG unterschiedlich.
In den Streitfällen waren die jeweiligen Klägerinnen bei der beklagten Klinik als Pflegeassistentin bzw. Krankenschwester beschäftigt. Sie konnten tariflich nicht ordentlich gekündigt werden. Eine der Klägerinnen war seit 1988, die andere seit 2001 bei der Beklagten tätig.
 
Weil die Beklagte die einrichtungsbezogene Impfpflicht umsetzen wollte, verpflichtete sie ihr Personal dazu, einen Impf- oder Genesenenstatus nachzuweisen. Alternativ konnten sie auch ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis vorlegen.
 
Anschließend legten beide Klägerinnen jeweils ein Schriftstück vor, das ihnen eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit bescheinigte und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland enthielt. Die Bescheinigungen hatten die Klägerinnen aus dem Internet heruntergeladen und vorgelegt – und zwar ohne Besprechung mit der Ärztin. Daraufhin informierte die Klinik das Gesundheitsamt über die Vorgänge. Zudem kündigte sie beiden Klägerinnen im Januar 2022 fristlos – und hilfsweise ordentlich zum 31.07.2022 bzw. zum 31.08.2022.
 
Hiergegen wehrten sich die Klägerinnen jeweils mit einer Kündigungsschutzklage. Ihre Begründung. Die Vorlage einer solchen Bescheinigung sei rechtmäßig, weil § 20a IFSG arbeitsrechtliche Maßnahmen der Arbeitgeberin gegenüber ihren Beschäftigten ausschließt. Nach dieser Norm könne ausschließlich das Gesundheitsamt aktiv werden und eine ärztliche Untersuchung der Betroffenen anordnen.
 

Die Entscheidungen der Ausgangsinstanzen

Während das ArbG Lübeck (5 Ca 189/22) eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist für rechtlich zulässig hielt, haben andere Kammern des ArbG Lübeck in vergleichbaren Fällen den Kündigungsschutzklagen vollumfänglich stattgegeben – so etwa in den Verfahren 4 Ca 188/22 und 3 Ca 187/22. Im letztgenannten Verfahren wurde kein Rechtsmittel eingelegt.
 

Die Entscheidungen des LAG Schleswig-Holstein

Auch die vierte und die fünfte Kammer des LAG Schleswig-Holstein haben im Ergebnis unterschiedlich entschieden:
 
  • So hält die vierte Kammer in ihrer Entscheidung vom 24.11.2022 (4 Sa 139/22) die fristlose Kündigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses nach einer Interessenabwägung im Einzelfall für gerechtfertigt.
  • Demgegenüber meint die fünfte Kammer in ihrer Entscheidung vom 07.12.2022 (5 Sa 82/22), dass die Vorlage einer aus dem Internet heruntergeladenen vorläufigen Impfunfähigkeitsbescheinigung schon „an sich“ kein geeigneter Grund für eine außerordentliche Kündigung wäre. Allerdings haben beide Kammern die Revision zugelassen.
 
Gemeinsamkeiten der Kammern des LAG

Der Auffassung der Klägerinnen, nach der § 20a IFSG arbeitsrechtliche Maßnahmen der Arbeitgeberin gegenüber ihren Beschäftigten ausschließen soll, folgten beide Kammern des LAG nicht. Demnach sperrt § 20a IFSG – in der zum Zeitpunkt der Kündigungen geltenden Fassung – arbeitsrechtliche Maßnahmen bei der Vorlage von gefälschten Impfunfähigkeitsbescheinigungen nicht. § 20a Abs. 5 IFSG regelt nicht die Handlungsmöglichkeiten des Arbeitgebers. Damit verstößt die Vorlage von gefälschten Bescheinigungen der Corona-Impfunverträglichkeit gegen gesetzliche Nebenpflichten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn den Bescheinigungen weder eine ärztliche Untersuchung noch wenigstens eine individuelle ärztliche Anamnese zugrunde liegen.
 
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Unterschiede 

Allerdings gewichteten die Kammern die Schwere dieses Pflichtenverstoßes unterschiedlich:

Ansicht der vierten Kammer

  • Täuschungsversuch schwerwiegend: Nach Auffassung der vierten Kammer soll mit der vorgelegten Impfunfähigkeitsbescheinigung bewusst der falsche Eindruck erweckt werden, dass die betreffende Person unter einer Impfunfähigkeit leidet – und zwar unter Vortäuschung einer körperlichen ärztlichen Untersuchung oder wenigstens einer Anamnese. Dieser Versuch, eine gesetzliche Nebenpflicht zur Vorlage einer Impfunfähigkeitsbescheinigung zu umgehen, belastet das Vertrauensverhältnis des Arbeitsverhältnisses schwerwiegend.
  • Aspekt der Gesundheit als überragendes Gemeinschaftsgut überwiegt: Im Rahmen ihrer Interessenabwägung meinte die Kammer dann, dass die Klägerin ihre individuellen Vorbehalte gegen eine Impfung direkt gegenüber der Beklagten hätte äußern müssen. Da die benannte IfSG-Norm mit der öffentlichen Gesundheit ein überragendes Gemeinschaftsgut sichern soll, muss der Arbeitgeber seine Mitarbeiter auch nicht vorher abmahnen.
 
Ansicht der fünften Kammer
 
  • Kein Betrug im strafrechtlichen Sinne: Die fünfte Kammer hält den Verstoß nicht für so schwerwiegend, dass er eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Etwas anderes ergebe auch sich nicht aus einem etwaigen „Betrugsversuch“ zulasten des Arbeitgebers, weil es an einem Vermögensschaden fehlt. Zudem handelte die Klägerin ohne Vorsatz, weil sie an ihre Impfunfähigkeit geglaubt hat.
  • Keine diagnostizierte Impfunfähigkeit: Allein die versuchte Täuschung, nach der das vorgelegte Attest aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erstellt sein soll, reicht der Kammer nicht. Demnach soll das vorgelegte Schreiben gar keine diagnostizierte Impfunfähigkeit belegen. Vielmehr soll es lediglich die allgemeine Meinungsäußerung einer Ärztin wiedergeben. Damit würde es sich offensichtlich nicht als Impfunfähigkeitsbescheinigung eignen.
  • Fehlende Abmahnung: Schließlich wäre vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen, so die Kammer abschließend.
Wie das LAG berichtet, sind beide LAG-Entscheidungen noch nicht rechtskräftig. So gingen beim BAG inzwischen Revisionen ein, die dort unter den jeweiligen Aktenzeichen 2 AZR 55/23 (4 Sa 139/22) und 2 AZR 66/23 (5 Sa 82/22) geführt werden. Es bleibt also spannend.
 
Quelle: PM des LAG Schleswig-Holstein vom 23.02.2023


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(ESV/bp)

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