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Nicht jede Kündigung von Wohnraum macht Umzug erforderlich (Foto: Robert Kneschke/Fotolia.com)
Leitlinien des BGH zum Eigenbearf

BGH: Wann eine Wohnraumkündigung wegen Berufs- oder Geschäftsbedarfs möglich ist

ESV-Redaktion Recht
30.03.2017
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich im Spannungsfeld zwischen Vermieter- und Mieterinteressen mit den Voraussetzungen für die Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Eigenbedarfs zu (frei-)beruflichen oder gewerblichen Zwecken beschäftigt. Wie der VIII. Senat des BGH mitteilt, hat er hierzu Leitlinien verfasst.
Der Beklagte hatte am 01.07.1977 eine 27 qm große Zweizimmerwohnung in Berlin von der Klägerin angemietet. Der Ehemann der Klägerin betreibt im ersten Geschoss des Vorderhauses des Anwesens ein Beratungsunternehmen. Dort befindet sich auch die vom Beklagten genutzte Wohnung.

Klägerin kündigt Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs für freiberufliche Zwecke

Dieses Mietverhältnis hatte die Klägerin gekündigt. Als Begründung führte sie an, dass ihr Ehemann die Wohnung zur Erweiterung seines Gewerbes benötigt. Die räumliche Kapazität der Räume, die ihr Ehemann hierzu gemietet hat, sei erschöpft. So wären die auch als Beratungsräume genutzten Büroräume überfrachtet mit Aktenregalen. Daher wolle ihr Ehemann in der Wohnung des Beklagten einen weiteren Arbeitsplatz mit Archiv einrichten.

Vorinstanzen: Eigenbedarf für freiberufliche Zwecke ist Kündigungsgrund

Die Vorinstanzen haben das Vorliegen eines Kündigungsgrundes zunächst bejaht. Danach ist der von der Klägerin geltend gemachte Bedarf zwar ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 573 Absatz 1 Satz 1 BGB. Dieses stehe dem Kündigungstatbestand des Eigenbedarfs nach § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB gleich. Wegen der in Berlin geltenden Vorschriften über die Zweckentfremdung von Wohnraum haben die Instanzgerichte die Räumungsklage allerdings abgewiesen. Hiergegen legte die Klägerin Revision zum BGH ein.  

Im Wortlaut: § 573 BGB Ordentliche Kündigung des Vermieters (Auszug)
(1) Der Vermieter kann nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Kündigung zum Zwecke der Mieterhöhung ist ausgeschlossen.

(2) Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn

  1. der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat,
  2. der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder
  3. der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde (…);


BGH: Berufs- oder Geschäftsbedarf keine weitere ungeschriebene Kategorie eines Vermieterinteresses im Sinne von § 572 Absatz 2 BGB

Der BGH sah in dem Begehren der Klägerin allerdings keinen berechtigten Eigenbedarf. Ausgangspunkt ist die Annahme des VIII. Zivilsenats, wonach der Berufs- oder Geschäftsbedarf keine weitere ungeschriebene Kategorie eines Vermieterinteresses an der Beendigung eines Wohnraummietvertrages ist, das typischerweise nach § 573 Absatz 2 BGB anzuerkennen wäre.

Will der Vermieter die Wohnung ausschließlich (frei)beruflich nutzen, ist der Kündigungstatbestand des Eigenbedarfs gemäß § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB somit nicht erfüllt.

Generalklausel des § 573 Absatz 1 Satz BGB anwendbar

Damit ist die Kündigung dem BGH zufolge aber noch nicht endgültig unwirksam. Vielmehr ist die Generalklausel des § 573 Absatz 1 Satz 1 BGB anzuwenden. Damit ist eine einzelfallbezogene Feststellung und Abwägung der beiderseitigen Belange der betroffenen Mietvertragsparteien erforderlich. Für die Bestimmung des berechtigten Interesses müssen die Gerichte künftig daher beachten, dass sowohl die Rechtsposition des Vermieters als auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützt sind. Damit würden sich allgemein verbindliche Betrachtungen verbieten, so der BGH. Allerdings geben die typisierten Regeltatbestände des § 573 Absatz 2 BGB nach Meinung des Senats folgende erste Anhaltspunkte für die erforderliche Interessenbewertung und –abwägung: 

  • Ernsthafter Nutzungsentschluss: Will der Vermieter die Wohnung also aus nachvollziehbaren und vernünftigen Gründen selbst ausschließlich oder überwiegend zu Wohnzwecken nutzen oder diese einem Angehörigen zur Verfügung stellen, reicht dem BGH zufolge schon ein entsprechender ernsthafter Nutzungsentschluss für ein vorrangiges Erlangungsinteresse des Vermieters aus. 
  • Interessenabwägung: Das Interesse des Vermieters, die betreffende Wohnung zu (frei-)beruflichen Zwecken selbst zu nutzen, wäre von der Interessenlage her also regelmäßig zwischen den genannten typisierten Regeltatbeständen anzusiedeln, so die Richter aus Karlsruhe weiter. 


Leitlinien des BGH

Zwar würde sich auch insoweit eine Festlegung allgemein verbindlicher Grundsätze verbieten. Dennoch ließen sich anhand bestimmter Fallgruppen grobe Leitlinien bilden:

  • Eigenbedarf: Entschließt sich der Vermieter dazu, sein Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, dort aber überwiegend einer geschäftlichen Tätigkeit nachzugehen, so liegt eine größere Nähe zum Eigenbedarf nach § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB vor. In solchen Fallgestaltungen will er in der Wohnung auch einen persönlichen Lebensmittelpunkt begründen. In diesen Fällen reicht regelmäßig aus, dass dem Vermieter bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter Nachteil entstünde. Dies dürfte bei einer nachvollziehbaren und vernünftigen Lebens- und Berufsplanung des Vermieters häufig der Fall sein. 
  • Verwertungskündigung: Fälle, in denen der Vermieter oder dessen Ehegatte/Lebenspartner die Wohnung jedoch ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken nutzen möchte, hätten eine größere Nähe zur Verwertungskündigung nach § 573 Absatz 2 Nr. 3 BGB. 
Nach diesen Kriterien ist nach BGH-Auffassung kein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Beendigung des Mietverhältnisses gegeben. Es ist dem Gericht zufolge ersichtlich, dass die Klägerin oder ihr Ehemann durch eine Auslagerung eines größeren Teils des Aktenbestands in andere Räumlichkeiten eine wirtschaftliche Einbuße von einigem Gewicht oder einen erheblichen Nachteil zu fürchten hätte. Daher wäre die Klägerin auf die beabsichtigte Nutzung der Mietwohnung, der bisher der persönliche Lebensmittelpunkt des Beklagten war, nicht angewiesen.

Quelle: PM Nr. 43/2017 des BGH zum Urteil vom 29. März 2017 – AZ:  VIII ZR 45/16


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(ESV/bp)

Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht