Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Ob eine Patientenverfügung wirklich Rechtssicherheit verschafft, bleibt offen (Foto:Jürgen Hüls/Fotolia.com)
Patientenverfügung zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen

BGH äußert sich erneut zu bindenden Patientenverfügungen

ESV-Redaktion Recht
28.03.2017
Im Juli 2016 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) sehr hohe Anforderungen an eine Patientenverfügung im Zusammenhang mit dem Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen gestellt. Nun hat sich der XII. Zivilsenat erneut damit befasst. Doch hat er die Anforderungen tatsächlich „präzisiert”, wie er meint?
Laut Sachverhalt hatte die Betroffene im Mai 2008 einen Schlaganfall erlitten. Sie befindet sich in einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand und seit Juni 2008 in einem Wachkoma. Seitdem wird sie über eine Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt. Schon 1998 hatte sie ein Schriftstück mit der Überschrift „Patientenverfügung” unterschrieben. Danach sollten lebensverlängernde Maßnahmen unter anderem dann unterbleiben, wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht. Gleiches gilt, wenn aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleiben würde.

In einem nicht näher festgestellten Zeitraum zwischen 1998 und ihrem Schlaganfall hatte die Betroffene mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten geäußert, sie wolle nicht künstlich ernährt werden. Sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber sterbe sie. Die Betroffene habe aber durch eine Patientenverfügung vorgesorgt, so dass ihr die nicht passieren könne. Hintergrund ihrer Verfügung waren zwei Wachkoma-Patienten nach einem Schlaganfall aus ihrem persönlichen Umfeld.

Betroffene: „Ich möchte sterben!”

In der Zeit zwischen dem Schlaganfall und dem späteren Herz-Kreislaufstillstand im Juni 2008 erhielt die Betroffene einmalig die Möglichkeit, trotz einer Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: „Ich möchte sterben”.

Aufgrund der Patientenverfügung von 1998 regte der Sohn der Betroffenen im Jahr 2012 an, ihr einen Betreuer zu bestellen. Daraufhin bestellte das Amtsgericht den Sohn und den Ehemann der Betroffenen zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern.

Der Sohn der Betroffenen meint seit 2014, im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden Arzt, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden. Dies würde dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen entsprechen. Ihr Ehemann lehnt dies ab.

Amtsgericht und Landgericht lehnen Antrag auf Einstellung ab

Das Amtsgericht (AG) Freising wies den Antrag der Betroffenen auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr ab. Die Betroffene wurde bei diesem Antrag durch ihren Sohn vertreten. Das Landgericht (LG) Landshut hat die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Das LG hatte sich daran gestört, dass die Betroffene germäß ihrer Patientenverfügung offenbar keine aktive Sterbehilfe wünscht. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen und ihres Sohnes zum Bundesgerichtshof (BGH) führte zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das LG Landshut.

Newsletter Recht
Bleiben Sie informiert - mit unserem kostenlosen Newsletter Recht, den Sie hier bestellen können

BGH hebt Entscheidungen der Vorinstanzen auf

Nach Auffassung des BGH bedarf der Widerruf des Sohnes in die Einwilligung zur künstlichen Ernährung nach § 1904 Absatz 2 BGB zwar grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung, wenn die Gefahr des Todes droht. Eine solche ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer bindenden Patientenverfügung nach § 1901 a Absatz 1 BGB niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.

Voraussetzung für die Bindungswirkung im Sinne von § 1901 a Absatz 1 BGB sei aber, dass die Verfügung konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die (Nicht)Einwilligung in bestimmte ärztliche Maßnahmen enthält, die bei Abfassung der Patientenverfügung noch nicht unmittelbar bevorstanden.

BGH: Anforderungen an Patientenverfügung dürfen nicht überspannt werden

Allerdings, so die Richter aus Karlsruhe weiter, dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden könne nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht.

Zu dieser erforderlichen Bestimmtheit der Patientenverfügung hatte der BGH zwar schon in seinem Beschluss vom 06.07.2016 (Az: XII ZB 61/16) entschieden, dass allein die Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen” zu wünschen, nicht hinreichend bestimmt ist. Allerdings könne die erforderliche Konkretisierung gegebenenfalls durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen oder die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen.

Aktuelle Meldungen
Hier bleiben Sie immer auf dem aktuellen Stand im Bereich Recht.

Rechtsprechung präzisiert?

Diese Rechtsprechung will der XII. BGH-Senat nach eigener Einschätzug nun weiter präzisiert haben und meint, dass die erforderliche Konkretisierung im Einzelfall auch bei einer weniger detaillierten Benennung von bestimmten ärztlichen Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen erfolgen kann. Dies wäre durch Auslegung der Patientenverfügung zu ermitteln.

In dem vorliegenden Fall habe sich das Beschwerdegericht allerdings nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob sich der von der Betroffenen errichteten Patientenverfügung eine wirksame Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung entnehmen lässt. Im Einzelnen, so der XII. Senat weiter, komme es dabei auf folgende Gesichtspunkte an:
  • Keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins: Die Betroffene habe in ihrer Patientenverfügung bei ihrem Willen zur Behandlungssituation unter anderem an die medizinisch eindeutige Voraussetzung geknüpft, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht. 
  • Behandlung auch, wenn diese lebensbedrohlich ist? Zudem habe sie die ärztlichen Maßnahmen, die sie ablehnt, dadurch näher konkretisiert, dass sie auch dann eine Schmerzbehandlung oder eine Behandlung von Unruhe und Angst wünscht, wenn diese zu einer Lebensverkürzung führen kann. 
  • Aktive Sterbehilfe? Zwar habe die Betreute in ihrer Patientenverfügung bekundet, dass sie eine aktive Sterbehilfe ablehnt. Insoweit seien ihre Äußerungen aber allenfalls widersprüchlich. Allein deswegen hätte das LG den Antrag der Betreuten nicht ablehnen dürfen. Die Festlegungen der Patientenverfügung könnten dennoch so auszulegen sein, dass sie im Falle eines medizinisch irreversiblen Bewusstseinsverlusts den Abbruch der künstlichen Ernährung wünscht. 

Was das Landgericht Landshut noch prüfen soll

  • Gegenwärtiger Gesundheitszustand und bezeichnete Behandlungssituation deckungsgleich? Das Beschwerdegericht habe bislang auch nicht geprüft, ob der gegenwärtige Gesundheitszustand des Wachkomas der konkret bezeichnete Behandlungssituation aus der Patientenverfügung entspricht. Dies werde das LG nachholen müssen, so der BGH weiter.
  • Mutmaßlicher Wille der Betroffenen: Sollte das Gericht dabei zu dem Ergebnis kommen, dass der derzeitige Gesundheitszustand der Betroffenen nicht den Festlegungen der Patientenverfügung entspricht, wird es dennoch prüfen müssen, ob ein Abbruch der künstlichen Ernährung dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entspricht. Dieser sei anhand der konkreten Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand von früheren mündlichen oder schriftlichen Äußerungen, ethischen oder religiösen Überzeugungen oder anhand von sonstigen persönlichen Wertvorstellungen der Betroffenen. Danach kommt es also darauf an, wie die Betroffene selbst entschieden hätte, wenn sie noch in der Lage wäre, über sich selbst zu bestimmen.
Standpunkt von Assessor jur. Bernd Preiß (ESV-Redaktion Recht)
Der BGH hat zumindest ausgesprochen, dass die erforderliche Konkretisierung der Patientenverfügung im Einzelfall auch bei einer weniger detaillierten Benennung von bestimmten ärztlichen Maßnahmen erfolgen kann. Dies könne durch Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen geschehen, was aber durch Auslegung der Patientenverfügung zu ermitteln wäre. Ob dies wirklich zu mehr Klarheit führt, bleibt unkar: 
  • Dem Sachverhalt zufolge hat die Betroffene in der Patientenverfügung im Wesentlichen und anhand späterer Äußerungen sogar ausdrücklich genau die Situation umschrieben, die sie ablehnt und in der sich bereits seit 2008 befindet. Hintergrund ihrer Verfügung und ihrer Äußerungen waren schließlich andere Wachkomapatienten nach einem Schlaganfall. Auch die Betroffene befindet sich nach einem Schlaganfall in einem Wachkoma. Insoweit soll sie sich sogar dahingehend geäußert haben, dass „ihr so etwas nicht passieren kann". 

  • Zudem hatte die Betroffene bereits im Juni 2008 nach ihrem Schlaganfall einmalig die Möglichkeit, trotz einer Trachealkanüle zu sprechen. Bei dieser Gelegenheit sagte sie ihrer Therapeutin: „Ich möchte sterben”. Diese Situation entsprach noch nicht einmal ihrem späteren Wachkomazustand. Dennoch wollte sie sterben. Deutlicher kann ein Patient seinen Willen kaum zum Ausdruck bringen.

  • Auch der behandelne Arzt hatte im Einvernehmen mit dem Antrag des Sohnes der Betreuten erklärt, dass die in der Verfügung beschriebene Krankheitssituation dem aktuellen Zustand der Betroffenen entspricht. Allerdings meint der XII. Senat des BGH, dass diese Frage nun noch ein Sachverständiger zu klären habe. Diese Klärung wird das LG nun nachholen müssen. 

  • Auch nach dieser Entscheidung bleiben die Anforderungen an die Patientenverfügung sehr hoch. Zudem ist nun völlig unklar, in welchem Verhältnis der bereits 2008 ausdrücklich erklärte Wille der Betroffenen, den diese in einer konkreten Behandlungssiuation kundgetan hat, zu der viel früher verfassten Patientenverfügung steht, die einen noch schlimmeren Zustand beschreibt.

  • Der Gang zu einem beratenden Arzt wird nach wie vor notwendig sein, da möglichst alle denkbaren Behandlungssituationen konkret erfasst werden müssen. Dennoch verschafft auch dieser Gang keine Rechtssicherheit.

Zum BGH Beschluss vom 08.02.2017 - AZ: XII ZB 604/15      -      Beschluss des BGH vom 06.07.2016 

Auch interessant: BGH: Patientenverfügung muss konkret sein

Weiterführende Literatur
Welche Vollmachtsform ist richtig? Unterscheidet sich eine Vorsorgevollmacht von der Betreuungsverfügung und der Patientenverfügung? Welche Vor- und Nachteile haben die einzelnen Vollmachten? Das Buch Vorsorgevollmacht – Betreuungsverfügung – Patientenverfügung, von Prof. Dr. Walter Zimmermann, beantwortet zahlreiche Fragen aus diesem Rechtsgebiet. Der praxiserprobte Experte erläutert ausführlich die verschiedenen Vorsorgemodelle und Anwendungsbereiche sowie die Verfahrensabläufe und Kosten. Kommentierte Musterformulare zu den drei Vorsorgemodellen runden das Werk ab.

(ESV/bp)

Programmbereich: Sozialrecht und Sozialversicherung