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Urteil des BVerfG zum beschleunigten Atomausstieg: Nur Teilerfolg für Kraftwerkbetreiber (Foto: eyewave/Fotolia.com)
Atomausstieg

BVerfG: Beschleunigter Atomausstieg grundsätzlich keine Enteignung

ESV-Redaktion Recht
14.12.2016
Atomkraftwerkbetreiber können nach dem jüngsten Urteil des BVerfG zum beschleunigten Atomausstieg wohl deutlich weniger Schadensersatz fordern als erhofft. Möglicherweise ist diese Entscheidung aber der Anstoß dafür, dieses Kapitel auf andere Weise zu beenden.
Nach der 13. AtG-Novelle, die den Atomausstieg beschleunigen sollte, legten die Energiekonzerne Vattenfall, E.ON, RWE und eine Betreibergesellschaft Verfassungsbeschwerde ein. Die Abkehr von der Kernenergie hatte der Gesetzgeber allerdings schon mit seiner Ausstiegsnovelle von 2002 eingeleitet. Damals hatte er den einzelnen Kernkraftwerken Kontingente an Reststrommengen zugeteilt.

Im Anschluss an die Bundestagswahl 2009 änderte die schwarz-gelbe Regierungskoalition jedoch ihr Energiekonzept. Die damalige Bundesregierung meinte, dass die Kernenergie doch noch länger als „Brückentechnologie” notwendig sei.  Die 11. AtG-Novelle gewährte daher allen Kernkraftwerken zusätzliche Reststrommengen. Als Folge daraus sollten sich auch die Laufzeiten der Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre verlängern.

Nachdem der Tsunami vom 11.03.2011 dann bei allen drei Reaktorkernen in Fukushima Kernschmelzen auslöste, legte der Gesetzgeber mit seiner 13. AtG-Novelle erstmals feste Endtermine für den Betrieb der deutschen Kernkraftwerke fest. Ebenso hat diese Reform die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke rückgängig gemacht.

Beschwerdeführer: „Atomausstieg greift rechtswidrig in Eigentumsrecht ein”

Nach Auffassung der Beschwerdeführer verletzt der beschleunigte Atomausstieg die Eigentumsfreiheit. Allerdings betonten die Beschwerdeführer, dass sie den Atomausstieg nicht in Frage stellen. Den Betreibern ging es ausschließlich um Entschädigungszahlungen.

BVerfG: „Stilllegung der Atommeiler grundsätzlich keine Enteignung”

Dem Karlsruher Richterspruch zufolge ist die Stilllegung der Atommeiler zwar grundsätzlich keine Enteignung. Das BVerfG sah aber in zwei Punkten Ausnahmen:
  • Reststrommengen nicht mehr verwertbar: Zwei der Beschwerdeführer konnten Reststrommengen, die ihnen 2002 zugewiesen wurden, bis zu den festgesetzten Abschaltdaten nicht mehr verwerten. Hierdurch würden die Nutzungsmöglichkeiten der Anlagen, die durch die Eigentumsgarantie geschützt sind, unzumutbar beschränkt, so die Karlsruher Richter.
  • Kein Ausgleich für Investitionen: Zudem fehle eine Ausgleichsregelung für Investitionen, die die Betreiber im berechtigten Vertrauen auf Zusatzstrommengen vorgenommen haben. Diese Investitionen seien durch die Streichung der gewährten Stromerzeugungskontingente entwertet worden.

Investitionen im Vertrauen auf Laufzeitverlängerung geschützt

Damit haben die obersten Verfassungshüter anerkannt, dass den Betreibern durch das atompolitische Wechselspiel des Gesetzgebers ein gewisser Schaden entstanden ist. Zwar darf der Gesetzgeber laut dem jüngsten Urteil des BVerfG seine Meinung innerhalb so kurzer Zeit grundsätzlich ändern. Dies gilt auch dann, wenn sich das Bewusstsein der Öffentlichkeit gewandelt hat, obwohl keine neue Gefährdungslage zu erkennen war.

Dennoch muss der Staat gemäß dem Richterspruch den Betreibern diejenigen Investitionen ersetzen, die die Betreiber im Vertrauen auf die Laufzeitverlängerung gemacht haben. Insoweit ist auch die Rede von „frustrierten Investitionen”. Hierbei geht es um einen Zeitraum von etwa dreieinhalb Monaten.

Investitionszeitraum für „Frustrierte Investitionen”
  • Beschluss der Laufzeitverlängerung durch den Deutschen Bundestag: 08.12.2010
  • Atommoratorium, dass alles wieder rückgängig gemacht hat: 16.03.2011

Neuregelung bis 30.06.2018

Unmittelbare Entschädigungsansprüche aus dem Urteil heraus wird es aber nicht geben. So muss der Gesetzgeber die Frage der Entschädigung in einem neuen Gesetz regeln. Hierfür hat der Gesetzgeber bis zum 30.06.2018 Zeit. Vorgaben zur Höhe der Entschädigung hat das Gericht in seinem Urteil nicht gemacht. Sind die Betreiber mit der neuen gesetzlichen Lösung nicht einverstanden, bleibt ihnen nur der erneute Klageweg.

Keine große Entschädigung

Große Entschädigungssummen stehen dem Urteil zu Folge nun nicht mehr im Raum. Bei der Entschädigungsregelung darf der Gesetzgeber nämlich berücksichtigen, dass der Strom aus den damals bewilligten Kontingenten heute weniger als die Hälfte wert ist. Dies wird auch in Fachkreisen so gesehen:
  • So erwartet der Berliner Atomrechtsexperte Olaf Däuper, Prozessbevollmächtigter dreier Bundesländer, allenfalls einen oberen dreistelligen Euro-Millionenbetrag.
  • Ebenso glaubt der Prozessbevollmächtigte der Bundesregierung, der Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers, dass es in Bezug auf die Reststrommengen nur um einen Bruchteil der bisher im Raum stehenden Entschädigungssummen gehen werde. 

Abgeltung durch Vergleich oder längere Laufzeiten?

Die Entschädigungsansprüche könnten auch durch einen Vergleich ausgehandelt werden. Ebenso kommt eine längere Laufzeit einzelner Kraftwerke in Betracht. Eine Ausstiegsregelung wäre somit politisch verhandelbar.

Koppelung mit Verhandlungen über die Finanzierung des Atomausstiegs?

Möglicherweise könnte das Urteil noch in die Verhandlungen über die Neuordnung des Kernenergieausstiegs einfließen. Hierzu hat die Bundesregierung am 19.10.2016 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung verabschiedet.  

Dieser Entwurf greift einen Vorschlag der Atomkommission auf, nachdem E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW zusammen etwa 23 Milliarden Euro in einen Staatsfonds stecken sollen. Als Gegenleistung würde der Staat den Unternehmen die Verantwortung für die Endlagerung des Atommülls abnehmen.

Aktuellen Medienberichten zufolge haben die Energiekonzerne in diesem Zusammenhang bereits angekündigt, den größten Teil ihrer Klagen zurückzuziehen. 

Zudem wollen die Unternehmen auf Schadensersatz für das kurzfristige Herunterfahren von acht Atommeilern nach Fukushima verzichten. Darüber hinaus sollen folgende Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel fallengelassen werden:
  • Widersprüche gegen Vorausleistungen für das Atomendlager Konrad.
  • Widersprüche gegen Zahlungen für das Atommülllager Gorleben.
  • Verfassungsbeschwerden gegen Vorgaben zur Zwischenlagerung von strahlenden Abfällen.
Nachverhandlungen möglich

Schadenersatzansprüche, die das obige Urteil des BVerfG betreffen, wären von dieser Lösug aber nicht erfasst. Insoweit bietet sich aber die Chance der Nachverhandlung.

Urteil des BVerfG vom 6.12.2016 – AZ: 1 BvR 2821/11, 1 BvR 1456/12, 1 BvR 321/12 – Rdn: 1 bis 407    

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Weiterführende Literatur
Im Berliner Kommentar EEG, herausgegeben von Frenz/Müggenborg/Cosack/Ekardt, erläutern Ihnen versierte Experten anschaulich und praxistauglich die weitverzweigten Regeln. Gleiches gilt für das Buch EEG II Anlagen und Verordnungen, herausgegeben von Prof. Dr. Walter Frenz. Im Kommentarpaket empfehlen sich beide Werke als verlässliche Begleiter durch das Regelungsregime des EEG und führen Sie sachkundig durch die komplexe Materie der zahlreichen Anlagen und Verordnungen.

(ESV/bp)

Programmbereich: Energierecht