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Auf welche Weise lässt sich Orthographie am besten erlernen? (Foto: GaToR-GFX – stock.adobe.com)
Auszug aus: „Orthographieerwerb im Übergang“

Das Phänomen des „Übergangs“ in der deutschsprachigen Orthographiedidaktik

ESV-Redaktion Philologie
15.02.2022
Wie lässt sich die deutsche Rechtschreibung optimal erlernen? Wie kann institutionell auf die Bedürfnisse der Lernerinnen und Lerner eingegangen werden? Im Erich Schmidt Verlag erscheint ein Sammelband, dessen Beiträge verschiedene empirische Zugänge beleuchten. Diese erstmalige Betrachtung des Phänomens „Übergang“ nimmt dabei die deutschsprachige Orthographiedidaktik sowie die Gestaltung institutioneller Übergänge aus fachdidaktischer Perspektive in den Fokus.
Lesen Sie im Folgenden einen Auszug aus Hrvoje Hlebecs und Said Sahels Band „Orthographieerwerb im Übergang – Perspektiven auf das Rechtschreiben zwischen Primar- und Sekundarstufe“ von Dirk Betzel zu strukturellen und empirischen Grundlagen sowie Ansätzen zur Förderung der dass-Schreibung unter Berücksichtigung des Übergangs von der Primar- zur Sekundarstufe.

3. Thematisierung der dass-Schreibung in Unterrichtslehrwerken

[…]

3.2 Ergebnisdarstellung und -diskussion

Ergebnisse von Sprachbuchanalysen lassen keine Aussagen über die tatsächliche Behandlung eines Themas im Unterricht zu, bestenfalls können
sie als Hinweise auf eine zugrundeliegende Konzeption interpretiert werden. Unter dieser Prämisse stelle ich im Folgenden zentrale Ergebnisse entlang der Leitfragen (Tabelle 3) dar und diskutiere sie anschließend anhand der nachfolgenden Abbildung 2.

  • Leitfrage 1: In zwei von vier Lehrwerken wird die Subjunktion <dass> erstmalig in Klasse 6 thematisiert, ansonsten in Klasse 7. Alle Lehrwerke greifen das Thema zumeist im Folgejahr noch einmal auf, um es zu vertiefen. Das Lehrwerk Praxis Sprache bildet hierbei eine Ausnahme: Das Thema <das/dass> wird in diesem Lehrwerk in den Klassen 6, 7, 8 und 9 behandelt. Es bleibt somit als Lerngegenstand über weite Teile der Sekundarstufe I erhalten.
  • Leitfrage 2: Drei von vier Lehrwerken weisen auf Verben des Sagens, Meinens, Fühlens hin, nach denen häufig ein <dass> stehe. Zumeist schließt sich daran die Aufgabe an, eigene Sätze mit <dass> zu den aufgelisteten Verben zu bilden oder vorgegebene Satzanfänge (Ich glaube, …) entsprechend zu vervollständigen. Das prototypische Muster aus 1. Pers. Sing. + subjektives Verb des Sagens, Meinens + dass-Objektsatz steht dabei im Zentrum. Eine Verknüpfung solcher Übungen mit z. B. kommentierenden oder argumentativen Texten, an denen die textpragmatische Funktion von dass-Konstruktionen erfahrbar wird, erfolgt kaum.
  • Leitfrage 3 und 4: In allen Lehrwerken wird die Subjunktion mit anderen [das]-Formen kontrastiert. Das Relativpronomen steht dabei eindeutig im Mittelpunkt, sodass davon auszugehen ist, dass eine Verwechslung mit einer Relativsatzstruktur als Ursache fehlerhafter Subjunktionsschreibungen (<*das>) angenommen wird. Die Kontrastierung mit dem Relativpronomen <das> geht dabei stets mit der Einführung der Ersatzprobe einher, die in allen Lehrwerken als ‚Strategie‘ zur Unterscheidung von [das]-Formen vermittelt wird. Bis auf ein Lehrwerk, welches die Ersatzprobe gleich zu Beginn thematisiert, erfolgt ihre Einführung ansonsten in einem zweiten, aufbauenden Schritt. Im Lehrwerk Praxis Sprache wird die Ersatzprobe erst in Klasse 8 eingeführt, nachdem in den Klassenstufen 6 und 7 zunächst unterschiedliche Zugänge zu dass-Sätzen angeboten wurden.
  • Leitfrage 5: Mit Ausnahme von Praxis Sprache finden sich in den jeweiligen Kapiteln zur das-/dass-Schreibung kaum Übungen, in denen semantische und syntaktische Besonderheiten von dass-Sätzen fokussiert werden. Ergänzungssätze werden zwar in Klasse 6 in separaten Kapiteln unter der Rubrik Nebensätze knapp thematisiert, ohne jedoch die Schreibung <dass> explizit damit zu verknüpfen oder Verbindungen zwischen den Kapiteln herzustellen. Insgesamt bildet also die Ersatzprobe in drei von vier Lehrwerken die zentrale Strategie zur Unterscheidung verschiedener [das]-Formen.
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Nachgefragt bei Vertr.-Prof. Dr. Hrvoje Hlebec und Dr. Said Sahel 17.02.2022
„Die Rechtschreibprobleme einer Dritt- und einer Sechstklässlerin unterscheiden sich nicht wesentlich voneinander“
Erinnern Sie sich noch daran, wie Ihnen die deutsche Rechtschreibung in der Grundschule nähergebracht wurde? Und wie sieht es mit dem Beginn der weiterführenden Schule aus: erhielten Sie weiterhin Hilfestellungen oder wurde Rechtschreibung von da an als Allgemeinwissen behandelt? Für ein Verständnis des Orthographieerwerbs stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt, zu dem die Einleitung orthographischer Lernprozesse sinnvoll ist und wie diese am besten didaktisch vermittelt werden können. Im Erich Schmidt Verlag erscheint nun ein Sammelband, in dem sich 16 Autorinnen und Autoren mit dem Orthographieerwerb im Übergang zwischen Primar- und Sekundarstufe auseinandersetzen. Wir haben mit den Herausgebern Vertr.-Prof. Dr. Hrvoje Hlebec und Dr. Said Sahel gesprochen. mehr …

Demnach wird das Thema schwerpunktmäßig in Klassenstufe 7 behandelt. Auch wenn manche Lehrwerke bereits in der 6. Klasse dass-Schreibungen erstmalig thematisieren, so findet die schwerpunktmäßige Behandlung doch insgesamt nach der zeitlichen Phase statt, die Feilke (2015) als erwerbssensible und für den Unterricht zu nutzende Phase kennzeichnet. Folglich wäre nicht erst in der 7. Klasse mit dem Thema zu beginnen, sondern bereits in der 4. bzw. 5. Klassenstufe (vgl. Küttel 2003: 389).

Bedeutsamer als die zeitliche Verortung ist die inhaltliche Fundierung. Abbildung 2 entsprechend lassen sich die in den Sprachbüchern vermittelten Lerninhalte zur dass-Schreibung vereinfacht in zwei grundsätzliche Schritte aufteilen: Im ersten Schritt werden Schüler/innen auf prototypische dass-Kontexte aufmerksam gemacht, die sie anhand verschiedener Übungen reproduzieren sollen. Dabei geht es jedoch nicht darum, semantischsyntaktische Merkmale von dass-Ergänzungssätzen in den Mittelpunkt zu rücken, vielmehr scheint es um eine Annäherung an prototypische dass-Kontexte zu gehen, die bestenfalls subjektive Schematisierungsprozesse in Gang setzen können. Der zweite Lernschritt folgt zumeist erst im darauffolgenden Schuljahr und ist dadurch gekennzeichnet, dass nun die Ersatz probe eingeführt wird. Daran schließen sich in der Regel verschiedene Übungen an, die mittels neu eingeführter Probe eine Schreibentscheidung zwischen <das> und <dass> einfordern.

Die grundsätzliche Schwierigkeit dieses zweiteiligen Vorgehens lässt sich pointiert wie folgt beschreiben: Zwischen der vorbereitenden Beschäftigung mit prototypischen dass-Satz-Mustern einerseits und der Einführung der schematisch anzuwendenden Ersatzprobe andererseits fehlt ein wesentlicher Schritt. Es müsste zunächst darum gehen, Lernenden semantische und syntaktische Merkmale von dass-Sätzen zugänglich zu machen, sodass sie überhaupt die Möglichkeit erhalten, ein dass-Satz-Konzept auszubilden, bevor ihnen Schreibentscheidungen abverlangt werden. Auf den Punkt gebracht: Bei dem beschriebenen Vorgehen fehlt eine grundlegende inhaltliche Fundierung von dass-Sätzen, die ein „tieferes Verstehen“ erst ermöglicht (Funke 1987).

Da die Ersatzprobe in den untersuchten Lehrwerken offensichtlich das zentrale Hilfsmittel für die das-/dass-Rechtschreibung ist, wird sie abschließend genauer beleuchtet. Abgesehen davon, dass die Ersatzprobe keinen inhaltlichen Zugang zu dass-Nebensätzen ermöglicht, macht die damit verknüpfte ‚Regel‘ – Schreibe <das>, wenn sich das Wort durch <dieses> oder <welches> ersetzen lässt – bereits deutlich, dass Schreiber/innen potentiell mehrere Proben durchführen müssen, um eine gesicherte Schreibentscheidung treffen zu können. Ein negatives Ergebnis nur eines Ersatzwortes – z. B. bei der Einsetzung von <welches> – lässt noch keinen Rückschluss auf die tatsächliche Schreibung zu, weil sich Artikel und Demonstrativpronomen ebenfalls nicht durch <welches> ersetzen lassen. In keinem Fall kann die Subjunktion jedoch positiv bestimmt werden, nur negative Ergebnisse (bzw. Nicht-Ergebnisse) führen per Ausschlussverfahren zur Schreibung <dass>. Es handelt sich deshalb um eine „einseitige Betrachtungsweise“ (Funke 2017: 115), weil die Probe nur im Falle der Ersetzbarkeit strukturerhaltend funktioniert, während sie beim Vorliegen der Subjunktion <dass> in jedem Fall zu einem negativen Ergebnis und somit zu einem ungrammatischen Satz führt, was ihre Anwendung zusätzlich erschweren kann (vgl. ebd.).

Überdies setzt die Anwendung der Ersatzprobe ein nicht unerhebliches Maß an Sprachgefühl bei Lernenden voraus. Betzel/Droll (2017) haben hierzu in vier Klassen einer innerstädtischen Werkrealschule einen Akzeptabilitätstest durchgeführt. Hierbei wurden unter anderem Relativsätze mit einleitendem <das> und strukturgleiche Relativsätze mit <welches> kontrastiert. Die Aufgabe der Schüler bestand darin, anzukreuzen, ob der jeweilige Satz „richtig“ oder „falsch“ klingt. Für knapp 50% der Lernenden klangen Relativsätze mit welches-Anschluss falsch, wohingegen die strukturgleichen Sätze mit <das> mehrheitlich als „richtig“ beurteilt wurden (vgl. ebd.: 94). Die Ergebnisse lassen erahnen, dass insbesondere weniger sprachversierte Kinder, die jedoch den größten Unterstützungsbedarf haben, die schulisch angebotene Hilfe zur das-/dass-Unterscheidung kaum nutzen können, weil Ersatzproben mit <dieses> oder <welches> nicht in ihrem Sprachgefühl verankert sind.

4. Vorschläge zur Förderung des dass-Erwerbs

Auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen werden abschließend Vorschläge diskutiert, wie Erwerbsprozesse in Bezug auf die dass-Schreibung unterstützt werden können. Dabei wird zum einen berücksichtigt, dass das Thema früher als bisher in den Fokus rücken sollte. Zum anderen wird es darum gehen, das Profil von dass-Nebensätzen in stärkerem Maße zu konturieren. In Kapitel 4.1 erfolgt zunächst ein Vorschlag, wie das Thema in der Grundschule erstmalig aufgegriffen werden kann, sodass es eine Brückenfunktion zur Sekundarstufe erfüllt. In Kapitel 4.2 geht es um verschiedene Möglichkeiten, die Struktur von dass-Nebensätzen zu beleuchten, bevor in einem weiter fortgeschrittenen Erwerbsprozess auch Unterschiede zwischen Subjunktion und Relativpronomen thematisiert werden können.

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Sie sind neugierig, wie es weitergeht? Der Titel erscheint im Februar 2021 und kann hier vorbestellt werden.

Die Herausgeber
Hrvoje Hlebec hat an der Universität Hildesheim mit einer Arbeit zum Thema „Aufgabentheorie und grammatisches Lernen“ promoviert und ist aktuell Vertretungsprofessor an der Universität Leipzig. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten in Forschung und Lehre gehört neben Lernaufgaben und Grammatik der Bereich Orthographiedidaktik, sowohl mit Blick auf den frühen Schriftspracherwerb als auch auf den weiterführenden Rechtschreibunterricht.
Said Sahel ist Akademischer Rat für Germanistische Linguistik an der Universität Bielefeld. Zu seinen Forschungs- und Lehrschwerpunkten gehört die Schriftlinguistik aus sprachsystematischer und erwerbstheoretischer Perspektive. Publiziert hat er mehrere Arbeiten zur schriftlichen Wortproduktion bei gesunden und hirngeschädigten Erwachsenen. Er ist Mitherausgeber des Bandes „Schriftlinguistik“ in der De-Gruyter-Reihe „Wörterbücher der Sprach- und Kommunikationswissenschaft“.
Orthographieerwerb im Übergang – Perspektiven auf das Rechtschreiben zwischen Primar- und Sekundarstufe
Herausgegeben von: Vertr.-Prof. Dr. Hrvoje Hlebec, Dr. Said Sahel

Das Buch enthält Beiträge, die den Rechtschreiberwerb in verschiedenen orthographischen Bereichen aus der Perspektive des Übergangs von der Primar- in die Sekundarstufe behandeln.
In den teils theoretisch, teils empirisch ausgerichteten Beiträgen wird vor dem Hintergrund der aktuellen Daten- und Forschungslage diskutiert, wie die vorliegenden Erkenntnisse für die Gestaltung und Weiterentwicklung von didaktischen Konzepten zur Vermittlung bzw. Aneignung orthographischer Kompetenzen im Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe nutzbar gemacht werden können.

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik