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Gelenkbeschwerden durch Zeckenbiss? (Foto: ESV)
Unfallversicherung und Recht

Degenerativer Verschleiß oder gesundheitliche Schädigung infolge einer versicherten Tätigkeit

Eberhard Jung
12.08.2016
Bei einem Unfall oder Erkrankung am Arbeitsplatz: Wie wirken sich bereits vorhandene altersbedingte Beschwerden auf gesundheitliche Beeinträchtigungen aus? Wir veranschaulichen die rechtlichen Aspekte anhand von zwei aktuellen Beispielsfällen – Zeckenbiss und Meniskusschaden.
Zeckenbiss-Fall: Das vom Bayerischen Landessozialgericht (LSG) am 15.04.2015 – L 2 U 40/14 – erlassene Urteil betraf einen land- und forstwirtschaftlichen Unternehmer, der im Mai 2007 bei der Aufarbeitung von Winterschäden bzw. bei der Brennholzgewinnung von einer Zecke gebissen worden war. Erst im Juli 2010 teilte der Forstwirt dem zuständigen Unfallversicherungsträger mit, dass er seit Dezember 2007 unter einer Herzerkrankung (Vorhofflimmern) und Gelenkbeschwerden leide, die auf eine Zeckeninfektion (Lyme-Borreliose) zurückzuführen seien.

Laut Laborbericht vom 10.06.2008 war bei dem Unternehmer allerdings keine Borreliose-Erkrankung vorhanden, es waren aber spezifische Antikörper gegen Borrelien nachweisbar. Die gewerbeärztliche Stellungnahme vom 28.12.2010 sprach sich daher gegen die Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung („Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten“) aus. Dem folgte auch der Unfallversicherungsträger mit Bescheid vom 18.01.2011/ Widerspruchsbescheid vom 22.09.2011: Eine aktive Borreliose habe nicht gesichert werden können. Im Übrigen wäre auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Beschwerden des Forstwirts und einem Zeckenbiss nicht wahrscheinlich.  

Antikörperbefund ist keine Berufskrankheit

Die von dem Unternehmer gegen diese Entscheidungen erhobene Klage hatte das Sozialgericht Landshut mit Urteil vom 28.10.2013 – S 8 U 5063/11 – abgewiesen: Ein Antikörperbefund allein stelle keine Berufskrankheit dar, eine aktive, klinisch manifeste Lyme-Borreliose habe daher nicht ermittelt werden können. Damit fehlte es hier nach Ansicht des Sozialgerichts schon an der ersten Voraussetzung zur Anerkennung einer Berufskrankheit, einer mit Vollbeweis – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachgewiesenen Borreliose-Erkrankung. Die weitere Frage nach deren Kausalität für die Herzerkrankung und die Gelenkbeschwerden stellte sich daher erst gar nicht.

Das LSG ging in seinem Urteil (L 2 U 40/14) ebenfalls davon aus, dass die Anforderungen für eine Anerkennung als Berufskrankheit Nr. 3102 nicht vorgelegen haben. Dabei sei es unstreitig, dass der Unternehmer durch seine Tätigkeit im Wald einem erhöhten Risiko von Zeckenbissen und einer daraus resultierenden Borreliose-Infektion ausgesetzt gewesen sei, selbst wenn diese auch nur bei etwa ein bis zwei Prozent der von einer Zecke gebissenen Personen eine Ansteckung zur Folge habe. Eines objektiven Nachweises des Zeckenbisses vom Mai 2007 als konkreter Infektionsquelle habe es auf Grund der gegebenen Risikolage nicht bedurft. Die Anerkennung als Berufskrankheit scheitere aber dennoch daran, dass bei dem Forstwirt keine Borreliose-Erkrankung, also kein regelwidriger Gesundheitszustand, habe nachgewiesen werden können. Die Bildung von Antikörpern gegen Borrelien stelle im Gegenteil einen regelhaften Zustand dar, ein Krankheitsausbruch sei bei dem Unternehmer erfolgreich abgewehrt worden.

Wie das LSG weiter ausführte, sei die nachgewiesene Herzerkrankung (Vorhofflimmern) nicht auf eine Lyme-Borreliose zurückzuführen, insbesondere auch im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf zwischen dem Zeckenbiss und den Herzbeschwerden. So seien diese erst vier Monate nach dem Zeckenbiss aufgetreten. Als Ursache für das Vorhofflimmern könne eine bei dem Unternehmer schon früher vorhandene Schilddrüsenerkrankung in Betracht kommen, die Gelenkbeschwerden seien altersbedingt auf degenerative Veränderungen zurückzuführen. Die Anerkennung einer Borreliose als Berufskrankheit komme daher nicht in Betracht.

Das LSG sah sich allerdings auf Grund divergierender Auffassungen der Landessozialgerichte dazu veranlasst, die Revision zum Bundessozialgericht (dortiges Aktenzeichen B 2 U 17/15 R) zuzulassen: Während das Hessische LSG mit Urteil vom 18.11.2011 – L 9 U 226/06 – in Bezug auf das Vorliegen einer Borreliose dieselbe Meinung wie das Bayerische LSG vertreten hatte, war das LSG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 08.05.2014 – L 3 U 228/12 – davon ausgegangen, dass alleine schon beim Nachweis von Antikörpern eine Lyme-Borreliose im Sinne der Berufskrankheit Nr. 3102 festzustellen sei.

Meniskus-Fall: Das LSG Baden-Württemberg hatte sich in seinem – Meniskusschaden-Beschluss vom 22.07.2015 – L 6 U 2394/15 – (an Stelle eines Urteils ergangen nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz) mit der Frage zu befassen, inwieweit eine durch einen Arbeitsunfall erfolgte Zerrung des rechten Kniegelenks als tatsächlich nachgewiesene Schädigung eine Meniskusverletzung hätte verursachen können.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Baggerfahrer hatte am 19.10.2011 beim Herabsteigen vom seinem Fahrzeug bei einer Drehbewegung einen starken Schmerz im rechten Knie verspürt, hatte aber noch weiter gearbeitet und sich erst am nächsten Tag einem Durchgangsarzt vorgestellt. Dieser hatte eine Kniegelenksschädigung diagnostiziert, mit Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion, wobei Hergang und Befund gegen einen Arbeitsunfall sprächen. Die Meniskusschädigung beruhe nicht auf dem Arbeitsunfall vom 19.10.2011, sondern sei zurückzuführen auf einen verschleißbedingten Degenerationsprozess, der jahrelang „klinisch stumm“ verlaufen sei, denn der Baggerfahrer hatte bis zum Unfalltag keine Schmerzen am rechten Knie verspürt.

Den Menikusbeschwerden ging kein Arbeitsunfall voraus

Weitere ärztliche Untersuchungen hatten dann bestätigt, dass es am Unfalltag arbeitsbedingt lediglich zu einer leichten Zerrung des rechten Kniegelenks gekommen sei, bei vorbestehenden anlagebedingten Verschleißerscheinungen, u. a. einem Riss des Innenmeniskushinterhorns. Der zuständige Unfallversicherungsträger stellte daraufhin mit Bescheid vom 18.12.2012/Widerspruchsbescheid vom 21.03.2013 fest, dass die fortbestehenden Meniskusbeschwerden des Verletzten nicht auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien.

Dieser Auffassung schlossen sich dann sowohl das Sozialgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 22.04.2015 – S 1 U 2302/13 – als auch das LSG Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 22.07.2015 an – jeweils unter detaillierter Abwägung des wissenschaftlich-medizinischen Kenntnisstandes: Die Meniskusschädigung beruhe mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (es spreche mehr gegen als für einen Ursachenzusammenhang) nicht auf dem Arbeitsunfall vom 19.10.2011. Es habe sich hier um eine Gelegenheitsursache gehandelt, also um einen zufällig bei der beruflichen Tätigkeit erstmalig aufgetretenen, bislang nur latent vorhandenen Gesundheitsschaden.

Praxishinweis: Beweisanforderungen
Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit unterliegen unterschiedlichen Beweisanforderungen. So müssen sämtliche Tatsachen, also insbesondere das Unfallereignis bzw. die schädigende Einwirkung, der Gesundheitserstschaden und die Folgewirkungen mit Gewissheit bewiesen sein (Vollbeweis: mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit). Für die kausalen Zusammenhänge, also für die Fragen, ob das Ereignis bzw. die Einwirkung auf einer bestimmten versicherten Tätigkeit beruht, und ob der eingetretene Schaden auf dieses Ereignis bzw. die Einwirkung zurückgeführt werden kann, genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Dies bedeutet, dass mehr für als gegen einen Kausalzusammenhang sprechen muss, eine bloße Möglichkeit reicht nicht aus.

In dem vom Bayerischen LSG entschiedenen Borreliose-Fall scheiterte daher die Anerkennung einer Berufskrankheit schon daran, dass bereits die Tatsache einer Borreliose-Erkrankung nicht (mit Vollbeweis) nachgewiesen werden konnte – zumindest nach der von diesem LSG vertretenen Auffassung in Bezug auf die vorhandenen Antikörper.

Demgegenüber war in der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg zum Meniskusschaden die Tatsache dieser Erkrankung (mit Vollbeweis) nachgewiesen bzw. unstrittig, hier ging es um die Frage, ob dieser Gesundheitsschaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückgeführt werden konnte. Dies wurde vom Gericht mit der Begründung verneint, dass mehr gegen als für einen Ursachenzusammenhang spreche, der Meniskusschaden beruhe auf einem verschleißbedingten Degenerationsprozess.

Diese Entscheidung ist zugleich ein Beleg dafür, in welch hohem Maße die Gerichte auf den jeweils aktuellen wissenschaftlich-medizinischen Kenntnisstand angewiesen sind (vgl. dazu die einschlägigen juristisch/medizinischen Standardwerke, wie z. B. Mehrtens/Valentin/Schönberger, Arbeitsunfall und Berufskrankheit – Rechtliche und medizinische Grundlagen für Gutachter, Sozialverwaltung, Berater und Gerichte –, 8. Auflage 2010; zu den Beweisanforderungen vgl. Jung, Probleme der Kausalitätsermittlung im Verfahren zur Feststellung eines Arbeitsunfalls, Wege zur Sozialversicherung (WzS) 2011, S. 263 ff., und Jung, Aktuelle Probleme bei der Feststellung vom Berufskrankheiten, WzS 2011, S. 319 ff.).


Der Autor
Prof. Dr. jur. Eberhard Jung ist Hochschullehrer am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Gießen und unterrichtete an der Ärzteakademie der Landesärztekammer Hessen, Bereich Arbeits- und Sozialmedizin. Außerdem war Prof. Jung viele Jahre lang Verwaltungsdirektor bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft und Dozent an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Fachbereich Sozialversicherung.

Programmbereich: Arbeitsschutz