Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Praxisfall erläutert von Thomas Wilrich
Praxisfall

Der „hartnäckige“ Professor - Teil 1

Thomas Wilrich
09.01.2017
Der vorliegende Praxisfall erläutert in zwei Teilen die Pflichtenübertragung im Öffentlichen Dienst  gemäß Arbeitsschutzrecht und gemäß Beamten- bzw. Hochschulrecht.
Der Universitätsprofessor aus Augsburg, der sich seit 7 Jahren hartnäckig gegen die Übertragung von Arbeitsschutzpflichten gewehrt hat, ist – teilweise – „belohnt“ worden.

Der Professor verlor in zwei Instanzen: das Verwaltungsgericht (VG) Augsburg hielt im Dezember 2012 die Pflichtendelegation des Universitätspräsidenten für rechtmäßig [1]. Der Professor legte Berufung ein: der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München bestätigte im April 2015 das Urteil und wies seine Klage ebenfalls ab, ließ aber wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zu [2]. Das BVerwG fällte in der 3. und letzten Instanz ein bemerkenswertes Urteil [3]: es hält eine Pflichtenübertragung im Beamtenverhältnis nach Dienstrecht für möglich, die Universität sei „diesen Weg vorliegend indes nicht beschritten“, und hebt deshalb die Übertragungsverfügungen wegen Verstoßes gegen Arbeitsschutzrecht auf, weil die Anforderungen des § 13 Abs. 2 ArbSchG nicht erfüllt sind.

Auszug aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG):

§ 3 Grundpflichten des Arbeitgebers

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. …

(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten

1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie

2. Vorkehrungen zu treffen, dass die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die
    betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen
    können.

§ 13 Verantwortliche Personen

(1) Verantwortlich für die Erfüllung der sich aus diesem Abschnitt ergebenden Pflichten sind neben dem Arbeitgeber …
    2. das vertretungsberechtigte Organ einer juristischen Person, …
    4. Personen, die mit der Leitung eines Unternehmens oder eines Betriebes beauftragt sind, im Rahmen der ihnen übertragenen Aufgaben und Befugnisse,
    5. sonstige nach Absatz 2 oder nach einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung oder nach einer Unfallverhütungsvorschrift verpflichtete Personen im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse.

(2) Der Arbeitgeber kann zuverlässige und fachkundige Personen schriftlich damit beauftragen, ihm obliegende Aufgaben nach diesem Gesetz in eigener Verantwortung wahrzunehmen.



Sachverhalt (nach BVerwG)

Mit Schreiben vom 8. April 2009 übertrug der Präsident der Universität dem Professor in seiner Eigenschaft als Dekan der Juristischen Fakultät „die dem Dienstherrn hinsichtlich des Arbeitsschutzes und der Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren obliegenden Pflichten“. Bei manchen Aufgaben, etwa der „Prüfung, ob arbeitsmedizinische Vorsorgeaufwendungen erforderlich sind“, war der Zusatz angebracht: „soweit dies lehrstuhl- und institutsübergreifende Maßnahmen erfordert“.

Ein „gleichlautendes“ Schreiben vom 9. April 2009 erhielt der Professor in seiner Funktion als Lehrstuhlinhaber. Er sollte für den Lehrstuhl die eigenverantwortliche Übernahme einer Reihe im Einzelnen aufgelisteter Pflichten bestätigen.

In der Klage argumentiert der Professor, „Die Wahrnehmung der Dienstherrnpflichten im Bereich der Arbeitssicherheit gehört nicht zu den mit dem Amt eines Universitätsprofessors verbundenen Aufgaben.“
„Es ist zweckwidrig und begründet ein Organisationsverschulden der Universitätsleitung, im Interesse der klaren Verantwortungszuweisung eine Vielzahl nicht klar abgegrenzter ‚Verantwortlichkeitsinseln‘ zu schaffen.“

Urteil des BVerwG
Das BVerwG hält die Pflichtenübertragung für rechtswidrig, weil sie gegen § 13 Abs. 2 GG verstößt (dazu A.). Aber das BVerwG stellt als nur noch über Rechtsfragen entscheidendes Revisionsgericht [4] fest, dass die Pflichtenübertragung gemäß (Landes-)Dienstrecht wirksam ist (dazu B.): das Urteil des VGH München ist (da es um Landesrecht geht) nicht mehr angreifbar („nicht revisibel“), aber das BVerwG hat ohnehin nichts gegen die Pflichtenübertragung nach Dienstrecht einzuwenden, trotzdem hebt das BVerwG die Pflichtenübertragungen auf, weil die Universität „diesen Weg [gemäß Dienstrecht] vorliegend indes nicht beschritten“ ist.

A. Arbeitsschutzrechtliche Wirksamkeit
Das BVerwG hebt die Schreiben („Verfügungen“) auf, weil „die für eine derartige Beauftragung erforderlichen Voraussetzungen aus § 13 Abs. 2 ArbSchG nicht vorliegen. Durch das gewählte Übertragungssystem ist weder die hinreichende Fachkunde der Inpflichtgenommenen sichergestellt (dazu I.) noch weist der Übertragungsakt die erforderliche Bestimmtheit auf“ – aber die Pflichtenübertragung ist nicht nur „in formaler Hinsicht zu unbestimmt“, sondern auch „materiell unverhältnismäßig weit abgefasst“ (dazu II.).

I. Fehlende Fachkunde

Das von der Universität „gewählte Übertragungsmodell stellt eine hinreichende Fachkunde der beauftragten Personen nicht sicher“.

1. Die primär Arbeitsschutzverantwortlichen – und Delegationsgeber

Zuständig für den Arbeitsschutz ist der Arbeitgeber – in der Universität primär der Präsident: „Arbeitgeber sind auch juristische Personen, die Beamte beschäftigen. Arbeitsschutzrechtlicher Arbeitgeber der Universität ist damit unmittelbar der Freistaat Bayern als Dienstherr der dort beschäftigten Beamten. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG ist neben dem Arbeitgeber auch das vertretungsberechtigte Organ einer juristischen Person für die Pflichtenerfüllung verantwortlich.
Adressat der Pflichtenstellung aus dem Arbeitsschutzgesetz für eine Universität ist damit auch deren Präsident (Art. 21 Abs. 7 BayHSchG [5]).“
Das BVerwG sagt nicht ausdrücklich, dass der Präsident als primär in der Universität Arbeitsschutzverantwortlicher auch befugt ist, die Arbeitsschutzpflichten zu delegieren: er ist über § 13 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG der Arbeitgeber i.S.d. § 13 Abs. 2 ArbSchG.

2. Weitere Arbeitsschutzverantwortliche

Das BVerwG stellt nun zwei Wege des ArbSchG vor, weitere Arbeitsschutzverantwortliche zu bestimmen.

a) Weg 1: Gesetzliche Pflichtenbegründung = „geborene“ Verantwortlichkeit aus der Position
„Die gesetzliche Pflichtenbegründung aus § 13 Abs. 1 ArbSchG begründet – unabhängig vom Vorliegen einer entsprechenden Fachkunde – eine Inpflichtnahme ausschließlich aufgrund der innerbetrieblichen Leitungsfunktion“. Das „gilt nach § 13 Abs. 1 Nr. 4 ArbSchG auch für Personen, die mit der Leitung eines Unternehmens oder eines Betriebs beauftragt sind. Für den Bereich des öffentlichen Dienstes gelten dabei Dienststellen als Betriebe in diesem Sinn (§ 2 Abs. 5 Satz 1 ArbSchG).“

Sodann sagt das BVerwG nur noch, „im Bereich der Universität ergibt sich hieraus folglich keine weitere Verantwortlichkeit [6]. Insbesondere können die Lehrstühle und Fakultäten nicht als eigener Betrieb betrachtet werden“. Das wiederum heißt: „Die arbeitsschutzrechtliche Inpflichtnahme eines Hochschullehrers oder Dekans kann daher nur durch eine gewillkürte Übertragung begründet werden“.

b) Weg 2: Pflichtenübertragung: „Auserkorene“ Arbeitsschutzbeauftragte
Die Pflichtenübertragung nach § 13 Abs. 2 ArbSchG nennt das BVerwG „gewillkürte Pflichtenstellung“ – „gewillkürt“ nicht weil die Pflicht willkürlich begründet werden kann, sondern es soll im Sinne von „selbst bestimmt“ bzw. „selbst ausgewählt“ [7] zum Ausdruck gebracht werden, dass für die Begründung der Pflichtenstellung ein Übertragungsakt der (Hochschul-)Verwaltung nötig ist.

Diese Pflichtenübertragung „folgt einem anderen Modell als die gesetzliche Verpflichtung nach § 13 Abs. 1 ArbSchG“ – sie „knüpft gerade nicht an eine ohnehin bestehende Leitungs- oder Führungsfunktion an. Die Verpflichtung folgt nicht aus dieser Stellung, sondern aus dem konstitutiven Übertragungsakt des Arbeitgebers.“

aa. Voraussetzungen der Pflichtenübertragung nach § 13 Abs. 2 ArbSchG
Aber „Voraussetzung für eine Beauftragung nach § 13 Abs. 2 ArbSchG ist, dass es sich beim Übertragungsadressaten um eine zuverlässige und fachkundige Person handelt.

Um den Zweck der arbeitsschutzrechtlichen Pflichten gewährleisten zu können, darf der Arbeitgeber nur solche Personen beauftragen, die in der Lage sind, Gefährdungen für die Sicherung und die Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit erkennen und verhüten zu können.  

Deshalb ist eine ‚Fachkunde‘ in § 13 Abs. 2 ArbSchG ausdrücklich benannt und vorausgesetzt. Verfügt die beauftragte Person nicht über die erforderliche Kenntnis, um die aus den Arbeitsabläufen resultierenden Gefahren erkennen und bewältigen zu können, wird der gesetzliche Schutzzweck verfehlt und der jeweilige Aufgabenbereich faktisch von einer wirksamen Aufsicht ausgenommen. Aus Zweck und Wortlaut der Vorschrift folgt daher auch, dass die erforderliche Fachkunde bereits im Zeitpunkt der Beauftragung vorliegen muss. Umgekehrt soll das Erfordernis einer entsprechenden Fachkunde auch den beauftragten Arbeitnehmer vor einer unsachlichen Pflichtenbegründung bewahren. Nur wenn die beauftragte Person über ‚die erforderlichen Fähigkeiten und Mittel; verfügt, kann sie die Schutzmaßnahmen zur Gefahrverhütung tatsächlich übernehmen [8].“

Doch das BVerwG stellt fest, „welche Anforderungen an die erforderliche Fachkunde der beauftragten Person zu stellen sind, ist in § 13 Abs. 2 ArbSchG nicht normiert. Angesichts der unterschiedlichen Regelungsstruktur kann hierfür nicht auf die (fehlende) Fachkunde der nach § 13 Abs. 1 ArbSchG Verpflichteten zurückgegriffen werden. Bezugspunkt müssen vielmehr die dem Beauftragten übertragenen Aufgaben sein. Hierfür muss ausreichende Fachkunde vorhanden sein. Der Maßstab muss daher auf die Art der Tätigkeit bezogen werden (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 ArbSchG [9]), die den Aufgabenbereich des Beauftragten (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 5 ArbSchG) kennzeichnen.“

Bewertung

Ich sehe folgende Ungereimtheiten in der Begründung des BVerwG:
Wenn das BVerwG sagt, „die Bezugnahme auf eine vom Inpflichtgenommenen selbst erstellte Gefährdungsbeurteilung genügt zur Vermittlung ausreichender Fachkunde nicht“, ist das sicher zutreffend. Aber ich sehe nicht, dass die Universität die Fachkunde des Professors nur damit begründet oder herbeigeführt haben soll. Einerseits gilt natürlich: Auch für die – gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG übertragbare Pflicht gemäß § 5 ArbSchG zur – Erstellung der Gefährdungsbeurteilung, muss vor einer Übertragung von Arbeitsschutzpflichten die Fachkunde vorliegen. Anderseits gilt aber: Was man bei Erstellung der Gefährdungsbeurteilung hinzulernt, gehört damit ab sofort zur Fachkunde. Auch im Bereich des Arbeitsschutzes und an Universitäten gilt das Prinzip des lebenslangen Lernens.

Wenn das BVerwG der Universität entgegenhält, dass sie „die in Bezug genommene Gefährdungsbeurteilung ausdrücklich als nicht abschließend bezeichnet“, dann übersieht es, dass die – gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG übertragbare – Pflicht zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen dynamisch ist: Der Arbeitgeber „hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. Dabei hat er eine Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten anzustreben“ (§ 3 Abs. 1 ArbSchG). „Die Gefährdungsbeurteilung ist regelmäßig zu überprüfen. Dabei ist der Stand der Technik zu berücksichtigen. Soweit erforderlich, sind die Schutzmaßnahmen bei der Verwendung von Arbeitsmitteln entsprechend anzupassen“ (§ 3 Abs. 7 BetrSichV) [10]. Wenn diese Dynamik der Gefährdungsbeurteilung ein Argument gegen eine Arbeitsschutzbeauftragung sein soll, könnte man die Arbeitsschutzpflichten nie übertragen – dann wäre (auch) die Pflichtendelegation eine „never ending story“ und müsste ständig angepasst werden.

Wenn das BVerwG kritisiert, dass „flächendeckend für alle Lehrstuhlinhaber und Dekane das Übertragungsverfahren an der Universität praktiziert“ und das „der Voraussetzung hinreichender Fachkunde in § 13 Abs. 2 ArbSchG nicht gerecht“ wird, dann übersieht es, dass die Arbeitsschutzaufgaben und -pflichten lückenlos in den jeweiligen Unternehmen bzw. Institutionen verteilt werden müssen – übrigens gerade es „Verantwortungsinseln“ gibt (wie Universitäten wegen der hohen Eigenständigkeit der Professoren wegen des Selbstverwaltungsprinzips und der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit). Das BVerwG spricht in anderem Zusammenhang auch von einem „geringen Umfang der Verpflichtungen“ (s.u. B.II.).

Schließlich hat die – wie auch das BVerwG betont (s.u. C.) – die Pflichtenübertragung nach § 13 Abs. 2 ArbSchG unmittelbar nur die öffentliche-rechtliche Verantwortlichkeit gegenüber den Arbeitsschutzbehörden zur (Rechts-)Folge. Es geht nicht um zivilrechtliche Schadensersatz-Verantwortung oder um strafrechtliche Sanktionen nach (Arbeits-)Unfällen: wer also nach Haftungsrecht ausführungs- und aufsichtsverantwortlich ist, hängt nicht von einer schriftlichen Pflichtenübertragung ab (s.u. C.). Daher kann mit einer Pflichtenübertragung auch nicht „der gesetzliche Schutzzweck verfehlt“ werden und es wird auch nicht „der jeweilige Aufgabenbereich faktisch von einer wirksamen Aufsicht ausgenommen“. Im Gegenteil: Es wird mit § 13 Abs. 2 ArbSchG gerade für einen bestimmten Bereich innerhalb einer Organisation – wenn man so will: eine „Verantwortungsinsel“ – eine wirksamen Aufsicht ermöglicht. Es geht ja gerade – so selbst das BVerwG – um die „unmittelbare Inanspruchnahme der Personen, die den Arbeitsprozess bestimmen“ (s.u. C.): und das tun im Bereich der Lehrstühle die Professoren.

 
II. Pflichtenübertragung formal zu unbestimmt und materiell zu weitgehend

„Insbesondere aber“ – so das BVerwG –  „sind die vom Professor angegriffenen Beauftragungen nicht hinreichend bestimmt. Das Schriftformerfordernis gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG ‚dient der rechtlichen Absicherung sowohl des Arbeitgebers als auch der beauftragten Person‘ ,[11]. Damit kein Zweifel über die Beauftragung und ihren Inhalt bestehen kann, muss der Umfang der begründeten Pflichten hinreichend präzise niedergelegt werden.“

„Der Verfügungstext indes ist völlig offen, weil hier nicht einmal auf den jeweiligen Zuständigkeitsbereich Bezug genommen wird. Dementsprechend ist die Formulierung bei den Lehrstuhlinhabern und den Dekanen auch identisch“. Aber das BVerwG lässt eine „Auslegung des Inhalts der Verfügungen“ zu. Wird durch andere Dokumente die Pflichtenübertragung hinreichend konkretisiert? Das BVerwG meint nein:

1. Keine Konkretisierung durch spätere Klarstellungen
„Klarstellenden Äußerungen der Universität in der mündlichen Verhandlung“, die der VGH zugelassen hatte, sind – so das BVerwG – „nicht möglich“, denn: „Wie problematisch derartiges wäre, hat der Streit über die Auslegung der vor dem VGH gemachten Angaben in den Schriftsätzen des Revisionsverfahrens exemplarisch deutlich gemacht.“

2. Keine Konkretisierung durch Gefährdungsbeurteilungen
„Eine hinreichend bestimmte Konkretisierung der arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen erfolgt auch nicht durch die sog. Gefährdungsbeurteilungen. Diese enthalten im Wesentlichen nur eine vom Verfügungsadressaten selbst vorgenommene Beschreibung des Status Quo. Allenfalls aus den im Vordruck enthaltenen Kategorien lässt sich entnehmen, auf welche Gegenstände das Augenmerk zu richten ist. Im Hinblick auf darüber hinausgehende und künftig womöglich entstehende Gefahrenquellen enthält der Vordruck jedoch keine Hilfestellung. Nach dem Inhalt der angefochtenen Verfügung ist der Vordruck zur Gefährdungsbeurteilung aber gerade nicht abschließend.“

3. Unbestimmte – und zu weitreichende – Pflicht, Einrichtungen zu schaffen und zu erhalten
Dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt „insbesondere nicht der in allen Verfügungen gleich abgefasste Anfangsteil, nach dem eine Pflicht übertragen wurde, in eigener Verantwortung ‚Einrichtungen zu schaffen und zu erhalten‘. Es bleibt für den Adressaten völlig unklar, welche konkrete Verpflichtung sich hieraus ergeben soll. Unklar erscheint beispielsweise auch, welche konkreten Anforderungen damit verbunden sein sollen, dass der Professor zu prüfen hat, ob arbeitsmedizinische Vorsorgeaufwendungen erforderlich sind. Die derartig weitgefassten Formulierungen stehen nicht nur in Widerspruch zu dem gesetzlichen Aufgabenkreis und Schutzzweck des ArbSchG. Für eine derartige weitgehende Pflichtenstellung wäre vielmehr auch eine spezifische Fachkunde erforderlich, die nicht durch eine bloße Einweisung im Rahmen der Ermittlung von arbeitsplatzspezifischen Gefährdungslagen vermittelt werden könnte.“ Es „erscheint widersprüchlich, bei der Prüfung der erforderlichen Fachkunde nur auf allgemeine Anforderungen abzustellen, den Pflichtenkatalog dann aber spezifisch und umfassend auszulegen“.

4. Fehlende Abgrenzung der Verantwortungsbereiche
„Keinerlei Abgrenzung erfolgt schließlich hinsichtlich der Frage, wie der Pflichtenumfang des Professors von demjenigen der anderen Beauftragten abzugrenzen ist. Einziger Bezugspunkt hierfür ist die einleitende Formulierung, in der auf den jeweiligen Lehrstuhl Bezug genommen wird. Inwieweit aber für diesen Lehrstuhl eigenständige Betriebsanweisungen, arbeitsmedizinische Untersuchungen oder Einrichtungen erforderlich sind oder dies etwa im Rahmen der Fakultät oder der gesamten Universität erfolgen kann oder soll, bleibt völlig offen. Dies gilt namentlich im Verhältnis und in Abgrenzung zur angestrebten Verantwortlichkeit des Dekans. Nach der Verfügung soll der Dekan für gewisse Aufgaben (nur) zuständig sein, ‚soweit dies lehrstuhl- und institutionsübergreifende Maßnahmen erfordert‘. Wann dieses ‚Erfordernis‘ vorliegt, bleibt unbestimmt.“

5. Ergebnis
„Die Aufgabenübertragung in Gestalt der Verfügungen des Präsidenten der Universität vom 8. und 9. April 2009 ist daher in formaler Hinsicht zu unbestimmt und materiell unverhältnismäßig weit abgefasst.“

6. Bewertung
Es stimmt zwar: „es ist nachteilig, einen Mitarbeiter mit Aufgaben zu betrauen, die  noch gar nicht durchdacht sind“ [12] und man soll nicht ‚einfach‘ alle Pflichten im Arbeitsschutz auf den untersten Beschäftigten übertragen“ [13].

Aber wenn das BVerwG vermisst, dass der Vordruck zur Gefährdungsbeurteilung „im Hinblick auf darüber hinausgehende und künftig womöglich entstehende Gefahrenquellen keine Hilfestellung enthält“ und „nach dem Inhalt der angefochtenen Verfügung der Vordruck zur Gefährdungsbeurteilung gerade nicht abschließend“, dann übersieht es, dass die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung im ArbSchG und in den Rechtsverordnungen [14] dynamisch ausgestaltet ist und nicht erst die Universität sie für „nicht abschließend“ erklärt (siehe zu dieser Kritik schon oben A.I.3.). Es können vor einer Inpflichtnahme eines Mitarbeiters im Interesse der Sicherheit seiner eigenen Mitarbeiter nicht erst alle „künftig womöglich entstehende Gefahrenquellen“ aufgedeckt werden – ganz einfach weil eine Prognose immer sehr schwierig ist, vor allem wenn sie in Zukunft geht. Auch die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung gehört zu den gemäß § 13 Abs. 2 ArbSchG übertragbaren Aufgaben. Dabei geht es gerade auch um „künftig womöglich entstehende Gefahrenquellen“. Dann kann auch keine „abschließende Hilfestellung“ insoweit geleistet werden, um – erst – auf dieser Grundlage Arbeitsschutzpflichten zu übertragen.

Der VGH hatte noch geurteilt, die Pflichtenübertragung habe „die erforderliche Klarheit und Verständlichkeit“: Dass die Aufgaben und Befugnisse bzw. Kompetenzen nicht detailliert umschrieben seien, „ist der hohen Abstraktion des ArbSchG und der zugrundeliegenden EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz geschuldet, die bewusst Spielraum für die an die Situation der Betriebe angepasste Arbeitsschutzmaßnahmen lässt und den einzelnen Betrieben an die konkrete Gefährdungssituation angepasst Arbeitsschutzmaßnahmen erlaubt“ [15].

Wenn ein Arbeitgeber nicht auch in einer – ein Stück weit allgemeinen, selbstverständlich nicht zu pauschalen – Art und Weise übertragen darf, kann er sie gar nicht übertragen. Das BVerwG scheint ein komplett durchdachtes Konzept des Arbeitsschutzes im jeweiligen Bereich des Pflichtenempfängers inklusive Gefährdungsbeurteilung zu wollen.

Anmerkungen
[1] Ausführliche Besprechung als „Der haftungsscheue Professor“ in Thomas Wilrich, Sicherheitsverantwortung: Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung – mit 25 erläuterten Gerichtsurteilen, 2016, Fall 17 – und in BPUVZ und sicher ist sicher (sis) Heft 4/2014.
[2] Ausführliche Besprechung als „Der fachunkundige Professor“ in: BPUVZ Heft 10/2015.
[3] BVerwG, Urteil v. 23.6.2016 – Az. 2 C 18/15.
[4] § 137 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) lautet: (1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht ... beruht.
(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.
[5] § 21 Abs. 7 Bayerisches Hochschulgesetz lautet: „Der Präsident oder die Präsidentin vertritt die Hochschule, beruft die Sitzungen der Hochschulleitung ein, hat deren Vorsitz und vollzieht die Beschlüsse der Hochschulleitung und der weiteren zentralen Organe der Hochschule.“
[6] Man könnte noch auf Art. 6 Abs. 5 Satz 1 (Bayerisches Personalvertretungsgesetz (BayPVG) verweisen: „Die Gemeinden, Gemeindeverbände und die sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts bilden je eine Dienststelle im Sinn dieses Gesetzes.“
[7] Im Erbrecht spricht man beim Testament von „gewillkürter Erbfolge“.
[8] Hier verweist das BVerwG auf Art. 7 Abs. 5 Spiegelstrich 1 der „Rahmen“-Richtlinie 89/391/EWG.
[9] § 5 Abs. 2 Satz 1 ArbSchG lautet: „Der Arbeitgeber hat die Beurteilung je nach Art der Tätigkeiten vorzunehmen“.
[10] Zur Gefährdungsbeurteilung ausführlich Thomas Wilrich, Praxisleitfaden Betriebssicherheitsverordnung – mit 20 Gerichtsurteilen aus der Rechtsprechungspraxis, 2015.
[11] Hier zitiert das Gericht die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 13/3540 S. 19.
[12] Nöllke/Zielke/Kraus, Praxiswissen Management, 2015, S. 36.
[13] BG ETEM, Verantwortung in der Unfallverhütung, 2016, S. 9.
[14] Zur BetrSichV siehe Thomas Wilrich, Praxisleitfaden Betriebssicherheitsverordnung – mit 20 Gerichtsurteilen aus der Rechtsprechungspraxis, 2015.
[15] Der VGH verweist hier auf BT-Drs. 13/3540, S. 12.

Weiter mit Teil 2

 

Der Autor Prof. Dr. Thomas Wilrich 
Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich ist tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkt- und Instruktionshaftung und Arbeitsschutz einschließlich der entsprechenden Betriebsorganisation, Vertragsgestaltung und Strafverteidigung.
Kontakt: Rechtsanwalt Dr. Thomas Wilrich, E-Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de; Webseite: rechtsanwalt-wilrich.de


Programmbereich: Arbeitsschutz