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Die Bewertung betrieblicher Gemeinschaftsaktivitäten (Foto: Klaus Eppele/Fotolia.com)
Unfallversicherungsrecht

Die Weihnachtsfeier als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung

Eberhard Jung
14.11.2016
Auch eine Weihnachtsfeier im Betrieb steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen erfüllt sind. Aber welche sind das? Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil eine wichtige Änderung vorgenommen.
Auch eine Weihnachtsfeier im Betrieb steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) mit seinem Urteil vom 5. Juli 2016 (AZ: B 2 U 19/14 R) eine bedeutsame Änderung vorgenommen.

Der Entscheidung des BSG lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Eine Angestellte der Dienstelle der Deutschen Rentenversicherung in Kassel mit insgesamt 230 Mitarbeitern war anlässlich einer Weihnachtsfeier im Jahr 2010 gestürzt und hatte sich an Ellbogen und Handgelenk verletzt. Der Belegschaft war – wie in den Jahren zuvor – durch eine Vereinbarung der Behördenleitung in einer Dienstbesprechung mit den jeweiligen Sachgebietsleitern gestattet worden, dass sie zusätzlich zum Weihnachtsumtrunk für die gesamte Dienststelle auch an abteilungsinternen Weihnachtsfeiern teilnehmen durfte. Von dem 13 Personen umfassenden Sachgebiet der Verletzten hatten sich nach einem gemeinsamen Kaffeetrinken in den Räumen der Dienststelle 10 Personen, darunter auch die Sachgebietsleiterin, auf den Weg zu einer gemeinsamen Wanderung gemacht, bei der es dann zu dem Unfall gekommen war. Die zuständige Berufsgenossenschaft hatte dessen Anerkennung als Arbeitsunfall mit der Begründung abgelehnt, dass die Wanderung nicht allen Betriebsangehörigen offen gestanden habe.

Landessozialgericht: Teilnahme erfolgte ohne Unfallversicherungsschutz

Dem folgten sowohl das Sozialgericht als auch das Hessische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 29. Juli 2014 (AZ: L 3 U 125/13), das dazu noch weiter ausführte: Auch wenn die Teilnahme an einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung freiwillig sei, könne sie dennoch der versicherten Tätigkeit zugeordnet werden, weil solche Veranstaltungen den Zusammenhalt innerhalb der Belegschaft und zur Unternehmensführung zu fördern geeignet seien. Eine wichtige Voraussetzung für diese Erstreckung des Unfallversicherungsschutzes sei es daher, dass die Zusammenkunft allen Beschäftigten offen stehe und dass sie von der Unternehmensführung als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung angesehen werde.

Dabei könne bei großen Betrieben an die Stelle des Gesamtbetriebes auch eine einzelne Abteilung treten. Für die Deutsche Rentenversicherung Hessen mit etwa 2.350 Beschäftigten wäre dies deren örtliche Dienststelle in Kassel mit etwa 230 Beschäftigten, nicht aber eine kleine Unterabteilung mit lediglich 13 Mitarbeitern. Zudem könne mit der Wahl einer Aktivität, die von vornherein nur für einen eng begrenzten Personenkreis umsetzbar sei, kein Unfallversicherungsschutz herbeigeführt werden.

Bundessozialgericht: Teilnahme ist versichert, sofern dem gesamten Team die Teilnahme offen gestanden hat

Diese an der bisherigen Rechtsprechung orientierte Auffassung hat das BSG mit seinem Urteil vom 5. Juli 2016 korrigiert und festgestellt, dass auch die in den einzelnen Sachgebieten durchgeführten Weihnachtsfeiern im Einvernehmen mit der Betriebsleitung und damit im dienstlichen Interesse stattgefunden hätten. Soweit bislang darauf abgestellt worden sei, dass die Unternehmensleitung persönlich an einer Gemeinschaftsfeier teilnehmen müsse, werde an diesem Kriterium nicht länger festgehalten, denn auch Veranstaltungen kleinerer betrieblicher Untergliederungen förderten das Betriebsklima und stärkten den Zusammenhalt der Beschäftigten untereinander.

Voraussetzung für den Versicherungsschutz sei es allerdings, dass die Beteiligung an der Weihnachtsfeier der gesamten Unterabteilung bzw. diesem Team offen gestanden habe und dass die jeweilige Sachgebiets- oder Teamleitung teilgenommen habe. Dies sei hier der Fall gewesen, weil die von der Dienststellenleitung ermächtigte Sachgebietsleiterin alle Beschäftigten des Sachgebiets eingeladen und die Feier durchgeführt habe. Auf die tatsächliche Anzahl der Teilnehmenden sei es nicht angekommen.

Anerkannte Zielsetzung: Förderung der Betriebsgemeinschaft

Mit seiner geänderten Rechtsprechung folgt das BSG dem allgemeinen Wandel in der Bewertung betrieblicher Gemeinschaftsaktivitäten: Während bislang der für die Einbeziehung von betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erforderliche Gemeinschaftszweck in der Pflege der Verbundenheit zwischen der Unternehmensleitung und der Belegschaft gesehen wurde, rückt jetzt immer mehr die Förderung der Betriebsgemeinschaft, also die Verbundenheit der Belegschaftsmitglieder untereinander, in den Vordergrund; dies entspricht letztlich der besonderen Anerkennung der Bedeutung eines gesunden Betriebsklimas für das gesamte Betriebsleben, auch in Bezug auf Verantwortungsbewusstsein und Leistungsbereitschaft (vgl. dazu ausführlich Ziegler, in: Becker/Franke/Molkentin, Lehr- und Praxiskommentar zum SGB VII, 4. Auflage 2014, § 8 SGB VII Rn. 74 bis 93).

Dass die neue Sichtweise des BSG in seinem Urteil vom 5. Juli 2016 (s. o.) nicht zu einer unbegrenzten Ausweitung des Versicherungsschutzes führt, belegt sehr anschaulich das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 18.3.2015 – L 3 U 252/11 - zur Beendigung betrieblicher Gemeinschaftsveranstaltungen bzw. deren Überleitung in Zusammenkünfte mit überwiegend privatem Charakter. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Versicherungs-AG hatte 34 Außendienstmitarbeiter für den 6.9.2006 – 10 bis 18 Uhr – zu einem Sicherheitstraining mit anschließendem gemeinsamen Abendessen und Übernachtungsmöglichkeit in einem Hotel eingeladen. Gegen Mitternacht begaben sich die Mitarbeiter, die sich für eine Hotelübernachtung entschieden hatten, in dieses Hotel, wo sie sich noch in der Hotelbar bis gegen 2 Uhr aufhalten wollten. Einer der Teilnehmer stürzte am 7.9.2006 gegen 0.45 Uhr auf der von der Bar zur Toilette führenden Treppe und erlitt eine schwere Hirnschädigung. Sein Blutalkoholgehalt betrug 2,5 Promille. Der zuständige Unfallversicherungsträger lehnte mit Bescheid vom 27.2.2007/Widerspruchsbescheid vom 31.1.2008 die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab, da der Treppensturz allein auf alkoholbedingtes Fehlverhalten zurückzuführen sei. Demgegenüber vertrat das Sozialgericht Lüneburg mit Urteil vom 7.11.2011 – S 2 U 26/08 – die Auffassung, es habe sich bei dem Sturz um einen Arbeitsunfall gehandelt, Fahrsicherheitstraining, Abendveranstaltung und Ausklang in der Hotelbar seien als eine versicherte dreigliedrige Veranstaltung anzusehen gewesen. Auch habe der Alkoholkonsum des Verletzten nach Angabe aller Beteiligten nicht zu alkoholbedingten Ausfallerscheinungen geführt.

Anders entschied dann das LSG Niedersachen-Bremen mit Urteil vom 18. März 2015 (s. o.), das im Übrigen davon ausging, dass es sich nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt habe, sondern um eine Dienst- bzw. Geschäftsreise (für die aber in Bezug auf die Beendigung des Versicherungsschutzes die gleichen Regeln gelten): Der Verletzte sei bei seinem Treppensturz nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst gewesen.

Wie eine umfangreichen Beweisaufnahme ergeben habe, könne das „Ausklingenlassen“ im Hotel nicht als eine Fortsetzung beruflicher Verrichtungen angesehen werden, auch sei das Treffen an der Hotelbar nicht im Veranstaltungsprogramm vorab angekündigt gewesen. Es habe sich vielmehr um eine unversicherte Veranstaltung mit überwiegend privatem Charakter gehandelt.

Das LSG hat die Revision zum BSG zugelassen (dortiges Aktenzeichen B 2 U 15/15 R –).

Praxishinweis
Der Unfallversicherungsschutz umfasst nicht nur die Tätigkeit am Arbeitsplatz sondern erstreckt sich unter anderem auch auf betriebliche Gemeinschaftsveranstaltungen, auf die Ausübung von Betriebssport sowie auf Dienst- und Geschäftsreisen, soweit jeweils ein sachlicher Zusammenhang zum Beschäftigungsverhältnis besteht. Hierzu hat die Rechtsprechung bestimmte Kriterien entwickelt. So mussten bislang für die Anerkennung des Unfallversicherungsschutzes bei betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltungen (Betriebsfesten, Betriebsausflügen, Weihnachtsfeiern, etc.) folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
  • Vorhandensein eines Gemeinschaftszweckes (Stärkung des Zusammenhalts zwischen der Unternehmensführung und der Belegschaft, aber auch der Belegschaft untereinander),
  • Öffnung der Veranstaltung für alle Betriebsangehörigen,
  • Teilnahme der Unternehmensführung bzw. von dieser beauftragter Personen sowie
  • eine gewisse Mindestbeteiligung.

Seit dem Urteil des BSG vom 5. Juli 2016 (s. o.) wird nunmehr verzichtet auf 
  • das Erfordernis der Anwesenheit der Unternehmensführung (es genügt die Anwesenheit der jeweiligen Sachgebiets- oder Teamleitung) und
  • die Notwendigkeit einer bestimmten Mindestbeteiligung.
Unverändert geblieben ist aber der konkrete Nachweis des jeweiligen sachlichen Zusammenhangs mit der betrieblichen Tätigkeit. Dies erweist sich – wie als Beispiel das Urteil des LSG Niedersachsen - Bremen vom 18. März 2015 (s. o.) zeigt – insbesondere für die Ermittlung des Zeitpunktes der Beendigung einer betrieblichen Gemeinschaftsveranstaltung (und damit des Versicherungsschutzes) als schwierig und hängt jeweils von den (im Detail nachzuweisenden) speziellen Gegebenheiten des Einzelfalls ab.

Fazit: Die Förderung des Betriebsklimas und die Stärkung des Zusammenhalts der Beschäftigten untereinander werden auch erreicht, wenn kleinere Untergliederungen eines Betriebes Gemeinschaftsveranstaltungen durchführen.

Der Autor
Prof. Dr. jur. Eberhard Jung ist Hochschullehrer am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Gießen und unterrichtete an der Ärzteakademie der Landesärztekammer Hessen, Bereich Arbeits- und Sozialmedizin. Außerdem war Prof. Jung viele Jahre lang Verwaltungsdirektor bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft und Dozent an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Fachbereich Sozialversicherung.

 
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Programmbereich: Arbeitsschutz