Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

EuGH: Sampling kann in bestimmten Grenzen erlaubt sein (Foto: ra2 studio/Fotolia.com)
Recht auf Sampling gegen Recht des Tonträgerherstellers

EuGH: Sampling in engen Grenzen erlaubt

ESV-Redaktion Recht
06.08.2019
Musikalisches Sampling ist die Übernahme von Tonfolgen in eigene Musikproduktionen. Ob das erlaubt ist, darüber streiten Musikproduzent Moses Pelham und die Gruppe Kraftwerk seit über 20 Jahren. Nun hat der EuGH hierüber aktuell entschieden – und die „Endlos-Schleife“ wohl fortgesetzt.
Bereits seit 1998 dauert der Rechtstreit zwischen dem Rapper Moses Pelham und der Musikgruppe Kraftwerk an. Für seinen Musiktitel „Nur mir“ hat Pelham zwei Sekunden des Kraftwerk-Titels „Metall auf Metall“ kopiert, aus dieser Kopie eine Tonschleife produziert, die sich ständig wiederholt und damit seinen eigenen Song unterlegt. Die Pioniere des E-Pops warfen dem Rapper unzulässiges Sampling vor und klagten auf Unterlassung, Schadenersatz und Herausgabe der Tonträger.

Der Streitfall ging durch etliche Instanzen. Das Landgericht (LG) Hamburg sowie das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg entschieden zugunsten der Band Kraftwerk. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die beiden Entscheidungen in seinem ersten Urteil bestätigt. Danach greift schon die Übernahme „kleinster Tonfetzen“ unzulässig in das Recht des Tonträgerherstellers ein.

BVerfG: BGH-Urteil verletzt Kunstfreiheit

Dieses erste BGH-Urteil hatte das BVerfG mit Urteil vom 31. Mai 2016 (1 BvR 1585/13) aufgehoben. Die obersten Verfassungshüter verwiesen die Sache zurück an das höchste deutsche Zivilgericht. Der Erste Senat des BVerfG begründete seine Entscheidung mit einer Verletzung der Kunstfreiheit nach Art. 5 Absatz 3 GG. Dagegen wäre der Eingriff in das Eigentum der Tonträgerhersteller nur geringfügig, so der Senat.

Der kostenlose Newsletter Recht – Hier können Sie sich anmelden!
Mit redaktionellen Nachrichten zu neuen Entscheidungen und Rechtsentwicklungen, Interviews und Literaturtipps.


Vorlage zum EuGH

So ganz überzeugt schien der BGH von der Entscheidung des BVerfG nicht zu sein. Der I. Zivilsenat setzte das Verfahren aus und bat nun den EuGH um die Klärung folgender Fragen:

  • Ist schon die Übernahme von kleinen Musikfragmenten eine Vervielfältigung?
  • Sind die entsprechenden deutschen Rechtsvorschriften mit Unionsrecht vereinbar?
  • Kann Sampling unter die Ausnahme für Zitate fallen? 


EuGH: Sampling kann in engen Grenzen erlaubt sein

In seinem Urteil vom 29.07.2019 kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass Sampling erlaubt sein kann. Allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Hierzu stellten die Luxemburger Richter folgende Überlegungen an:

Sampling zwar grundsätzlich zustimmungspflichtig: 
Grundsätzlich ist die Vervielfältigung ohne Zustimmung des Tonträgerherstellers nicht gestattet. Auch wenn es sich dabei nur um ein sehr kurzes Audiofragment handelt.

Aber – Ausnahmen möglich: 
Allerdings könne das Sampling unter folgenden Ausnahmen zulässig sein: 

  • Keine Wiedererkennbarkeit der Tonfragmente: Eine Ausnahme liegt vor, wenn dieses Fragment in einen anderen Tonträger in geänderter – und beim Hören nicht wiedererkennbarer – Form eingefügt wurde.
  • Musikalische Zitate: Samples können ohne Erlaubnis ausnahmsweise auch als „Zitat“ zulässig sein. Sie müssen aber mit dem Ursprungswerk „interagieren“.
Nationales Recht nicht mit Unionsrecht vereinbar: Die Entscheidung des EuGH hat auch Auswirkungen auf das nationale Recht. Nach § 24 UrhG wären Werke, die in „freier Benutzung“ eines Werkes eines Dritten geschaffen wurden, keine Rechtsverletzung. Diese Ausnahme ist nach Ansicht der Luxemburger Richter nicht mit Unionsrecht vereinbar. Die Begründung des EuGH: Die unionsrechtlichen Ausnahmen und Beschränkungen sind abschließend geregelt. Für weitere nationale Schranken gibt es keinen Spielraum. Abschließend muss nun wieder der BGH entscheiden und dabei die rechtliche Einschätzung des EuGH berücksichtigen.

Abweichung von Auffassung des Generalanwalts: Der EuGH entschied gegen die Ansicht des Generalanwalts Maciej Szpunar. In seinen Schlussanträgen argumentierte dieser, dass das gesamte Werk und damit auch kurze Audiofragmente geschützt sind und eine Ausnahme nicht greife. Das ausschließliche Recht des Tonträgerherstellers verstoße nicht gegen die Freiheit der Kunst der Grundrechte-Charta der EU. Der EuGH entschied jedoch anders.

Quelle: PM des EuGH zum Urteil vom 29.07.2019 – C-476/17
 
Standpunkt - Bernd Preiß Ass. jur. ESV Redaktion Recht

Die EuGH-Entscheidung verwirrt: Wer nun glaubt, Rechtsklarheit gewonnen zu haben, wird enttäuscht sein:

  • Der EuGH spricht von der Übernahme eines Werkes, „um es in geänderter und beim Hören in nicht wiedererkennbarer Form in ein neues Werk einzufügen“. In diesem Fall liege keine urheberrechtlich geschützte „Vervielfältigung“ vor. Wie aber begrifflich noch von der Übernahme einer Tonsequenz die Rede sein kann, die niemand wiederkennt, bleibt wohl das Geheimnis des EuGH.
  • Die praktische Relevanz dieser Fallgruppe dürfte wohl gegen Null tendieren, denn der ursprüngliche Komponist/Produzent darf sein Werk dann ja auch nicht wiedererkennen.
  • Auch die Hinweise auf „musikalische Zitate“ bleiben diffus. Jedenfalls werden die Grenzen des erlaubten Zitatrechts und die „Interaktion“ mit dem Ursprungswerk nur müsam im Einzelfall auszuloten sein.
  • Also: Keine leichte Aufgabe für den BGH und ggf. die Tatsacheninstanzen. Damit wird der Fall seine „Endlos-Schleife“ wohl nicht so schnell verlassen.


Update – BGH setzt EuGH-Entscheidung um

Urheber-und Leistungsschutzrecht 12.05.2020
BGH erlaubt Sampling nur unter engen Voraussetzungen

Nur zwei Sekunden lang dauert ein kleiner Tonschnipsel, der die Gerichte schon länger als 20 Jahre beschäftigt. Allein der BGH musste sich nun vier Mal mit der Frage auseinandersetzen, ob Musikproduzent Moses Pelham die Tonfolgen von Kraftwerk übernehmen durfte. Dennoch ist die scheinbare Endlosschleife noch nicht ganz beendet. mehr …



Mehr zum Thema:

Generalanwalt am EuGH: Sampling kann Eingriff in Rechte des Tonträgerherstellers sein

In dem über 20-jährigen Streit zwischen Moses Pelham und der Gruppe Kraftwerk um eine Tonsequenz von zwei Sekunden hat nun der Generalanwalt Maciej Szpunar seine Schlussanträge vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gestellt. mehr …


Handbuch Urheberrecht

Das Berliner Handbuch Urheberrecht, herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Marcel Bisges, stellt das Urheberrecht unter besonderer Berücksichtigung der praktischen Aspekte umfassend dar.  Hervorzuheben sind die digitalen Verwertungsmöglichkeiten und weitere besondere Schwerpunkte liegen auf:

  • dem Werkbegriff und seiner Entwicklung,
  • der Kleinen Münze und ihren ökonomische Komponenten,
  • dem Schaffen eines Werks in Teamarbeit,
  • Fragen der Erschöpfung bei der elektronischen Verwertung,
  • den Schrankenregelungen bei neuen medialen Entwicklungen,
  • sowie den Auswirkungen der Digitalisierung bei Leistungsschutzrechten.

Hilfreiche Extras: Text- und Vertragsmuster, Klauselbeispiele sowie Checklisten werden Ihnen in editierbarer Form zur Verfügung gestellt. Daneben lassen die Autoren immer wieder anschauliche Beispiele in ihre Darstellungen einfließen.

Verlagsprogramm Weitere Nachrichten aus dem Bereich Recht

(ESV/bp)

Programmbereich: Wirtschaftsrecht