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Prof. Dr. Markus W. Exler: „Das Ziel wird sein, die Effizienzsteigerung im Restrukturierungsprozess zu erreichen.” (Foto: privat)
Nachgefragt bei: Prof. Dr. Markus W. Exler

Exler: „Auch größere Unternehmen im Blindflug unterwegs”

ESV-Redaktion/ConsultingBay
15.04.2020
Im zweiten Teil des Interviews mit Prof. Dr. Markus W. Exler, ESV-Autor und Partner der Quest Consulting AG, Rosenheim, geht es hauptsächlich um den Nachweis der coronabedingten finanziellen Schwierigkeiten, um die Dokumentation der Geschäftsplanung und um das Schutzschirmverfahren als besonderes Insolvenzverfahren.
Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews.

Herr Prof. Exler, was raten Sie den Unternehmen und wie lässt sich etwa nachweisen, dass aktuelle Zahlungsunfähigkeit entscheidend durch Corona hervorgerufen wurde?


Markus W. Exler: Kurzfristig sollten die Unternehmen die Instrumente Kurzarbeit und die vom Staat bereitgestellten KfW-Kredite in Anspruch nehmen. Das ist aber nur für Unternehmen ratsam, die keine strukturelle Krise haben, also das Geschäftsmodell intakt ist. Die als Initiator agierenden Hausbanken müssen grundsätzlich überzeugt werden. Das setzt eine entsprechende Regulatorik voraus. Auch müssen diese natürlich schnell reagieren können. Da sich aber auch die Belegschaft der Kreditinstitute im Homeoffice befindet, kann so ein Antrag schon mal dauern.

„Wer schreibt, der bleibt!“

Grundsätzlich gilt die von Juristen gelebte Devise „Wer schreibt, der bleibt!“. Soll heißen, genau zu dokumentieren, wie der Business Case, die Geschäftsplanung zum Jahresende 2019 für die Geschäftsjahre 2020/21 ohne Corona ausgesehen hat. Je fundierter das dargestellt werden kann, desto sicherer wird die Abgrenzung stattfinden können. In meinem Beratungsalltag erlebe ich aber sehr viele, auch größere Unternehmen, bei denen das Management im Blindflug unterwegs ist und es keine quantitative Transparenz gibt, mit welchem Produkt oder welcher Dienstleistung das Unternehmen mit welchen Kunden tatsächlich Geld verdient oder Verluste schreibt.

„Schutzschirmverfahren als besonderes Insolvenzverfahren”

Für die anderen sollte über eine geordnete Neuorientierung im gesetzlich festgelegten Rahmen nachgedacht werden, also über eine Insolvenz. Das scheint der Eigentümer von Galeria Karstadt-Kaufhof mit 28.000 Mitarbeitern sehr geschickt zu machen. Mit dem Begeben in ein so genanntes Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO), was ein aus Marketinggesichtspunkten wunderbarer Begriff für ein besonderes Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ist, kann sich das Unternehmen neu aufstellen. In diesem bleibt das Management bestehen, wird unterstützt von erfahrenen Sanierern und kann sich im Insolvenzzeitraum den Gläubigeransprüchen entziehen. Darüber hinaus kann Insolvenzgeld für das dreimonatige Bezahlen der Gehälter oder auch das Kündigen und Nachverhandeln von Verträgen, wie beispielsweise Mietverträgen, zu einer Liquiditätsentspannung beitragen und sich fit für die Zukunft machen. Trotz eines genialen Wordings für so ein Verfahren bleibt es im Kern natürlich ein Insolvenzverfahren mit allen auch negativen Begleiterscheinungen.

Welche Chancen bietet die aktuelle Krise in Bezug auf die Digitalisierung?

Markus W. Exler: Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. In meinen Vorträgen, die ich noch jüngst gehalten habe, musste ich immer wieder akzentuieren, dass insbesondere der unternehmerische Mittelstand in Deutschland bezüglich Digitalisierung noch nicht wirklich gut entwickelt ist. In einzelnen Untersuchungen konnten wir nachweisen, dass das Thema Digitalisierung bei den Unternehmen zunehmend mehr Interesse findet, eine Durchdringung aber noch nicht festzustellen ist. Mittelständische Unternehmen sind in Deutschland im Wesentlichen auf der ersten Digitalisierungsstufe, d.h. mit einer breiten Durchdringung einer PC‐Infrastruktur sowie ERP‐ und CRM‐Nutzung. Cloud‐Lösungen, Big-Data‐Analysis und vernetzte Informations‐ und Kommunikationssysteme kennzeichnen die zweite. Nur etwa acht Prozent der mittelständischen Unternehmen sind auf der Digitalisierungsstufe drei, bei der das Geschäftsmodell auf digitalisierten Produkten und Dienstleistungen aufgebaut ist und autonome Entscheidungen generiert werden können.

Über den Autor
Prof. Dr. Markus W. Exler ist Partner der Quest Consulting AG in Rosenheim sowie wissenschaftlicher Beirat im BDU-Fachverband Sanierungs- und Insolvenzberatung. An der Hochschule in Kufstein verantwortet er das von ihm gegründete Institut für Grenzüberschreitende Restrukturierung.

IoT, das Internet der Dinge, kennzeichnet vollautomatisierte, sich selbst organisierende Prozesse innerhalb der gesamten industriellen Wertschöpfungskette. Die Vernetzung erfolgt unternehmensübergreifend. Es beinhaltet die Parameter systematische Datenerfassung, Ablösung eines analogen durch einen digitalen Workflow und ein digitales Geschäftsmodell mit digitalisierten Produkten bzw. Dienstleistungen sowie eine automatisierte Entscheidungsfindung über Algorithmen, Sensoren und Strichcodes. Für die Unternehmen gilt:
  • der Lead von Digitalisierungsprojekten muss innerhalb der Geschäftsleitung angesiedelt sein, diese stellt die Rahmenbedingungen und die Budgets
  • mindestens 5 Prozent des Jahresumsatzes müssen jährlich für Digitalisierungsbemühungen angesetzt werden
  • die Mitarbeiter müssen für den technischen Wandel befähigt werden
  • eine funktionierende ERP-Infrastruktur sowie Kompetenz mit Datenanalytik ist eine unabdingbare Voraussetzung
  • die Unternehmen benötigen den Mut, sich von einer veralteten Softwarelandschaft zu trennen, um die Organisationsstrukturen an die Erfordernisse der technischen Architektur anzupassen (und nicht umgekehrt) sowie
  • digitale Produkte müssen entwickelt werden
Spielt die Digitalisierung auch in der Unternehmensberatung eine Rolle?

Markus W. Exler: Ja, auf jeden Fall. Nur weil wir jetzt alle Zoom oder MS-Teams verwenden, um gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten, sind wir noch lange nicht digital, sondern haben gerade einmal unsere Visualisierung auf den Stand gebracht. Eine sehr wesentliche Veränderung wird sein, die Herangehensweise und die Kommunikation im Beratungsprojekt zu verändern. Hat sich das papierlose Büro, einhergehend mit der Verfügbarkeit von Dokumenten und Daten in Cloudlösungen, die dann über verschiedene Endgeräte abgerufen und visualisiert werden können, bereits durchgesetzt, könnte das Agieren über Prozessplattformen der nächste Entwicklungsschritt sein. Die klassische Kommunikation mit den im Projekt Beteiligten erfolgt noch Großteils über Mails und anhängenden Dateien.

„Miteinander Agieren auf Prozessplattformen”

Analoges Arbeiten wird künftig ersetzt. Der Restrukturierungsberater wäre dann beim Start des Projekts der Initiator und Treiber, eine entsprechende Prozessplattform einzurichten, um das Projektmanagement darüber abzuwickeln.

Es wird darum gehen, eine über mehrere Jahrzehnte gut eingespielte Form der Kommunikation und des miteinander Agierens mit einem „anderen” Miteinander abzulösen. Das Ziel wird sein, die Effizienzsteigerung im Restrukturierungsprozess zu erreichen. Das physische Zusammenkommen von Menschen wie Abstimmungs-­ oder auch Bankenrunden könnten via Einloggen auf die Prozessplattform und über Bildschirmkonferenz stattfinden. Das physische Treffen an einem Ort wird nur initiiert, wenn kreative Prozesse angestoßen oder Lösungsansätze zu finalen Ergebnissen verhandelt werden müssen. Funktionieren kann das aber nur, wenn alle Beteiligten über eine entsprechende IT-­Infrastruktur verfügen und diese auch bedienen wollen und können. Letzteres sollten wir ja jetzt ein wenig trainiert haben.

Zum ersten Teil des Interviews auf ESV.info

Restrukturierungs- und Turnaround-Management

Herausgegeben von: Prof. (FH) DDr. Mario Situm, Prof. Dr. Markus W. Exler

Um Krisensituationen in Unternehmen frühzeitig zu erkennen und geeignete Reorganisationsmaßnahmen zur Erhaltung von Rendite- und Wettbewerbsfähigkeit einzuleiten, sind heute äußerst vielseitige strategische, operative und kommunikative Qualitäten erforderlich.

In der 2. Auflage ihres Praxisbuchs vermitteln Ihnen die Experten um Markus W. Exler und Mario Situm alle für Turnaround- und Transformationsprozesse typischen Perspektiven aus Geschäftsleitung und Interim Management, von Kreditinstituten und weiteren Stakeholdern.

    • Krisenerkennung und -analyse: Krisenindikatoren, Analysemethodik, Identifikation von Wertschöpfungspotenzialen
    • Initiation von Turnaround-Prozessen: Anforderungen an Leadership und Stakeholder-Kommunikation
    • Planung und Umsetzung: z.B. Generierung von „Quick-Wins“; analytische, kommunikative und organisatorische Funktionen
    • Strategische Restrukturierung: Change Management, M&A, Wertorientierte Managementkonzepte
    • Sanierungskonzepte nach IDW S 6 sowie insolvenzrechtliche Besonderheiten
      "ein ablauforientierter Überblick über alle relevanten (…) Besonderheiten, um Veränderungsprozesse im Unternehmen professionell umsetzen zu können."
      Zur Vorauflage in: Zeitschrift Controlling (ZC), 2/2014

(ESV, uw)

Programmbereich: Management und Wirtschaft