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Lebenszyklus eines Arbeitsmittels aus Sicht des Arbeitsschutzes (Abbildung: Autoren)
Betriebssicherheitsverordnung

Gebrauchstauglichkeit, Alter, Psyche, Ergonomie

Hans Szymanski, Tobias Berens und Andrea Lange
13.02.2017
Der Beitrag konkretisiert die Anforderungen der Betriebssicherheitsverordnung und erläutert Ihnen die betriebliche Umsetzung der Verordnung bei der Verwendung von Arbeitsmitteln.
Die Neufassung der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) ist am 1. Juni 2015 in Kraft getreten. [1] Die BetrSichV dient der Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Verwendung von Arbeitsmitteln sowie dem Schutz Dritter beim Betrieb von überwachungsbedürftigen Anlagen. Der vorliegende Aufsatz leistet einen Beitrag zur inhaltlichen Konkretisierung der Anforderungen der BetrSichV.

Die Neufassung der BetrSichV:
– beinhaltet Vorgaben zur alters- und alternsgerechten Gestaltung,
– berücksichtigt ergonomische und psychische Belastungen,
– fordert die Umsetzung bzw. die Einhaltung des Standes der Technik,
– trägt besonderen Unfallschwerpunkten Rechnung,
– hat die angemessene Gebrauchstauglichkeit von Arbeitsmitteln zum Ziel.

1. Trennung von Inverkehrbringen (Produkt­sicherheitsgesetz) und Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheits­verordnung) – Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Die Neufassung der BetrSichV beinhaltet die klare Trennung zwischen den Pflichten der Hersteller und denen der Arbeitgeber als Verwender von
Arbeitsmitteln. Der Arbeitgeber hat nach § 5 BetrSichV den Beschäftigten Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen, die unter Berücksichtigung der vorgegebenen Einsatzbedingungen sicher sind.

Um diese Anforderung umzusetzen, hat der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 1 der BetrSichV
„[...] vor der Verwendung von Arbeitsmitteln die auftretenden Gefährdungen zu beurteilen (Gefährdungsbeurteilung) und daraus notwendige und geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten.Das Vorhandensein einer CE-Kennzeichnung am Arbeitsmittel entbindet nicht von der Pflicht zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung. [...]“

Obwohl die BetrSichV als reine Arbeitsschutzvorschrift keine Beschaffenheitsanforderungen im Sinne des EU-Binnenmarktes beinhaltet, hat die Berücksichtigung der Anforderungen nach § 3 Abs. 1 BetrSichV Konsequenzen für den Beschaffungsprozess von Arbeitsmitteln, da die Gefährdungsbeurteilung bereits vor der Auswahl und Beschaffung der Arbeitsmittel durchgeführt werden muss (§ 3, Abs. 3 BetrSichV).

Für die betriebliche Praxis bedeutet dies, dass die Erstellung eines Lasten- bzw. Pflichtenheftes sinnvoll ist, das als Basis für die Risikobeurteilung gemäß Produktsicherheitsgesetz und für die Gefährdungsbeurteilung gemäß Arbeitsschutzgesetz § 5 und BetrSichV § 3 dient (vgl. hierzu Lange; Szymanski; 2006[2]). Damit wird deutlich, dass bereits die Herstellung eines Arbeitsmittels einen intensiven Informationsaustausch zwischen Hersteller und Verwender erfordert, um die spezifischen Anforderungen an das Arbeitsmittel in den Produktions- oder Auswahlprozess zu integrieren.

Das Lastenheft beschreibt nach DIN 69901-5 die „vom Auftraggeber (Arbeitgeber) festgelegte Gesamtheit der Forderungen an die Lieferungen und Leistungen (Arbeitsmittel) eines Auftragnehmers (Hersteller) innerhalb eines Auftrages“, während das Pflichtenheft die „vom Auftragnehmer (Hersteller) erarbeiteten Realisierungsvorgaben aufgrund der Umsetzung des vom Auftraggeber (Arbeitgeber) vorgegebenen Lastenhefts“ beinhaltet.

Das Lastenheft beschreibt damit den Einsatzzweck und den erforderlichen Funktionsumfang des Arbeitsmittels (‚Was und Wofür‘), während das Pflichtenheft die konkrete technische Umsetzung dieser Anforderungen beschreibt (‚Wie und Womit‘). Für den Arbeits- und Gesundheitsschutz münden Lasten- und Pflichtenheft in ein Sicherheitskonzept, das im Idealfall bereits auch die Einsatzbedingungen beim Verwender berücksichtigt
(z. B. räumliche Gegebenheiten).

Der Hersteller des Arbeitsmittels (z.B. einer Anlage) hat bei der Konstruktion den gesamten Lebenszyklus zu berücksichtigen (siehe Abb. 1). Die Risikobeurteilung des Herstellers soll sicherstellen, dass die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Maschine in der jeweiligen Lebensphase gewährleistet sind.

Folgende ergonomische Erkenntnisse gemäß Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlamentes sind bereits bei der Konstruktion zu berücksichtigen:

▶ „Möglichkeit der Anpassung an die Unterschiede in den Körpermaßen, der Körperkraft und der Ausdauer des Bedienungspersonals;
▶ ausreichender Bewegungsfreiraum für die Körperteile des Bedienungspersonals;
▶ Vermeidung eines von der Maschine vorgegebenen Arbeitsrhythmus;
▶ Vermeidung von Überwachungstätigkeiten, die dauernde Aufmerksamkeit erfordern;
▶ Anpassung der Schnittstelle Mensch-Maschine an die voraussehbaren Eigenschaften des Bedienungspersonals.“

Der Hersteller hat die Risikobeurteilung über alle Phasen des Konstruktionsprozesses iterativ durchzuführen, wobei harmonisierte Normen
zur Ermittlung der Gefährdungen wie z. B. DIN EN ISO 12100 Anhang B (Checkliste zu Gefährdungen, Gefährdungssituationen und -ereignissen) und ergonomische Normen (vgl. BGI 523) zu berücksichtigen sind. Ziel ist die inhärent sichere Konstruktion. Der Hersteller erstellt auf Basis der beim Konstruktionsprozess gewonnenen Erkenntnisse und unter Berücksichtigung der bestimmungsgemäßen Verwendung der Maschine eine Betriebsanleitung, die Restrisiken – sofern sie nicht konstruktiv beseitigt werden konnten – in allen Lebensphasen berücksichtigt und als Basis für die Gefährdungsbeurteilung des Verwenders dient (vgl. Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlamentes, Anhang I, Punkt 1.2.4.2).

Die Risikobeurteilung des Herstellers berücksichtigt aber nicht alle am Arbeitsplatz des Verwenders vorhandenen Bedingungen, die Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten haben, wie beispielsweise die Wechselwirkungen mit anderen Arbeitsmitteln, die Qualifikation der Beschäftigten sowie Umgebungsfaktoren wie Lärm, Klima und Beleuchtung (vgl. hierzu auch: VDMA-Positionspapier: Risikobeurteilung versus Gefährdungsbeurteilung vom 26. August 2010).

Diese Gegebenheiten sind vom Arbeitgeber in einer ganzheitlichen alternskritischen Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung zu berücksichtigen und entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Basis bildet dabei die Betriebsanleitung des Herstellers. Der Arbeitgeber/Verwender erstellt unter Berücksichtigung der Ergebnisse der alternskritischen Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung eine Betriebsanweisung. Diese bildet die Grundlage für die Unterweisung der Beschäftigten.

2. Die ganzheitliche alternskritische Gefährdungs­ und Belastungsbeurteilung und deren Inhalte

Die alternskritische Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung [3] basiert auf einem ganzheitlichen Arbeitsschutz- und Gesundheitsschutzverständnis, in dem alle belastenden und beanspruchenden Faktoren der Arbeitstätigkeit präventiv berücksichtigt werden, um gesundheitsschädigende Belastungen auszuschließen. Die Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung ist gemäß § 5 ArbSchG und § 3 BetrSichV eine Aufgabe des Arbeitgebers. Sie wird bezogen auf die Arbeitsmittel durch die BetrSichV konkretisiert. Die Initiativ-, Vorschlags-, Unterrichtungs-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung sind in allen Phasen zu berücksichtigen (BetrVG §§ 80, 87, 89, 90, 91). Sie beginnen bei der Planung (was wird wann, wie, unter welchen Bedingungen erhoben) und enden bei der Prüfung der umgesetzten Maßnahmen. Darüber hinaus ist die Beteiligung der Beschäftigten ein unverzichtbarer Bestandteil bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung in allen Phasen, um die Arbeit auch aus ihrem Erleben heraus beurteilen und ihr Erfahrungswissen einbeziehen zu können. Dies ist insbesondere bei der Analyse und Beurteilung von psychischen Belastungen eine wesentliche Voraussetzung.

Die Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung erfordert damit interdisziplinäre Zusammenarbeit, bei der die Verantwortlichen des jeweiligen Arbeitsbereichs, Betriebsrat, Sicherheitsfachkraft, Arbeitsmediziner, Sicherheitsbeauftragter und Beschäftigte gemeinsam die Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung durchführen und in dafür festgelegten Arbeitsgruppen die Themen bearbeiten. 

Inhalt einer alternskritischen Gefährdungs- und Belastungsanalyse im Rahmen der BetrSichV ist, die Arbeitsmittel der ausgewählten Bereiche im Unternehmen zu analysieren und die erhobenen Belastungen zu bewerten, um Maßnahmen für die alters- und alternsgerechte Gestaltung zu erhalten.
Maßnahmen zur Arbeitsmittelgestaltung müssen alternsbedingte, negative Veränderungen, wie z.B.:
▶ die Abnahme von Muskelkraft und Bewegungs- und Reaktionsgeschwindigkeit,
▶ die Minderung des Seh- und Hörvermögens,
▶ das Absinken der Dauer- und Höchstleistungsfähigkeit
berücksichtigen.

Leistungsfaktoren, die im Alter eher zunehmen, sind gleichzeitig Ressourcen, die zur alternsgerechten Arbeitsgestaltung genutzt werden können (siehe Abbildung 2). Sie sind insbesondere bei vielen erfolgskritischen Instandhaltungstätigkeiten von großer Bedeutung.

Die alternskritische Gefährdungs- und Belastungsanalyse baut auf dem Katalog der Faktoren der Gefährdungsbeurteilung der Berufsgenossenschaften auf, die allerdings mit alternskritischen Elementen unterlegt sind. Alternskritische Elemente sind diejenigen, die Beschäftigte in verschiedenen Lebensphasen physisch oder psychisch dauerhaft unter- bzw. überfordern können.

Die alternskritische Gefährdungs- und Belastungsbeurteilung hat eine Betrachtung aller Elemente des Arbeitssystems, ihrer gegenseitigen Wechselwirkungen und der daraus resultierenden Gefährdungen und Belastungen zum Inhalt. Die Beurteilung bildet die Grundlage für die Maßnahmenplanung und -durchführung sowie die Wirksamkeitskontrolle. Gefährdungen im Rahmen dieser Betrachtung können sich insbesondere ergeben aus (siehe Abbildung 4):

▶ den Arbeitsmitteln (ihrer ergonomischen Gestaltung, wie z. B. ungünstige Körperhaltung und den an ihnen vorhandenen Gefahrstellen und -quellen),
▶ der Arbeitsumgebung (Gefahrstoffe, Lärm, Klima, Beleuchtung),
▶ dem Arbeitsgegenstand (z.B. Gewicht, Abmessungen),
▶ dem Arbeitsablauf (z.B. Heben & Tragen)
▶ der Arbeitsorganisation und der aus ihr abgeleiteten Arbeitsaufgabe (kurzzyklische Tätigkeiten, unvollständige Aufgaben mit nur ausführenden Tätigkeiten, Kontrolle und Verantwortung, Unter- und Überforderung, Lernerfordernisse).

Die Analyse der aus der Verwendung der Arbeitsmittel resultierenden Gefährdungen und Belastungen muss es ermöglichen, Maßnahmen abzuleiten, die sowohl physische als auch psychische Belastungen und Gefährdungen in die Betrachtung und Gestaltung einbeziehen.
...

Lesen Sie den vollständigen Beitrag samt Abbildungen hier.

Anmerkungen
[1] Zur Hervorhebung des fachlichen Schwerpunktes der Verordnung wurde ein neuer Titel gewählt: „Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Verwendung von Arbeitsmitteln (Betriebssicherheitsverordnung – BetrSichV).

[2] Lange, A.; Szymanski, H.: Leitfaden zur Umsetzung des CE – Kennzeichnungsverfahrens für Maschinen. Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Forschung Fb 1051, Dortmund/Berlin/Dresden, 2006, 2. Auflage, S. 35ff.

[3] Die alternskritische Gefährdungsbeurteilung ist ein Teilergebnis der Projekte: „A – Flex: Alternsflexible Arbeitssysteme“ gefördert mit finanzieller Unterstützung des Landes NRW und der EU. „Erfolgreiche Personalpolitik zur Förderung und zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit (Employability) im Zuge des demografischen Wandels – Bilanz erprobter Vorgehensweisen und Nachnutzung“ – Projekt F 2167, gefördert von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Die Autoren
Dipl.-Ing. (TU) Hans Szymanski ist Vorstandsvorsitzender und Gründungsmitglied des BITe. V.
Tobias Berens ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim BIT e.V.
Andrea Lange ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin beim BIT e. V.
 

Literaturempfehlungen aus dem Erich Schmidt Verlag

Dr. Gerald Schneider
Die Gefährdungsbeurteilung
Im Laufe der Jahre hat sich unter dem Eindruck neuer Technologien, neu erkannter Gefährdungssituationen sowie gestiegener arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse der Charakter der Gefährdungsbeurteilung verändert. Im Vordergrund steht weniger die isolierte Erfassung von Einzelgefährdungen, sondern vielmehr die Integration der Beurteilung in einen allgemeinen Organisationsrahmen von Schutzmaßnahmen, um Arbeit sicherer und gesundheitsförderlicher zu gestalten.

Daher unterscheidet sich diese Darstellung von vielen anderen, weil sie eine Neubewertung der einzelnen Teile der Gefährdungsbeurteilung vornimmt, moderne Erkenntniswege aufzeigt und insbesondere die Verschränkung zwischen Erkenntnisgewinn und betrieblicher Praxis besonders in den Fokus nimmt. Es versteht sich sowohl als Hintergrundinformation als auch als Handlungshilfe für:
- Arbeitgeber/Führungskräfte
- Fachkräfte für Arbeitssicherheit
- Betriebsärzte
- Betriebsräte
- Aufsichtspersonen
- und andere im Arbeitsschutz Verantwortung tragende Personen.

Fähnrich/Mattes
Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) 2015
Geräte, Maschinen, Anlagen, Werkzeuge: Als eine der wichtigsten, von jedem Betrieb einzuhaltenden Vorschriften ist die Betriebssicherheitsverordnung immer dann anzuwenden, wenn Arbeitsmittel gleich welcher Art beschafft und genutzt werden.

Alles zur neuen BetrSichV 2015

Als BetrSichV 2015 wurden diese Regelungen jetzt umfassend novelliert – mit entsprechend neuen Pflichten für alle, die für die Umsetzung der Verordnung in die tägliche Betriebspraxis zuständig sind. Dieser nützliche Ratgeber stellt Ihnen systematisch zusammen, wie Sie
die Einhaltung der BetrSichV sicherstellen und kostspielige Fehler und insb. Unfälle vermeiden helfen, dadurch
Fehlinvestitionen und unnötige Betriebskosten reduzieren, durch den Kauf der richtigen Arbeits- und Betriebsmittel,
den Rechtstext richtig verstehen, anwenden und einordnen, was der Gesetzgeber mit einzelnen Vorschriften beabsichtigt – mit vielen praxisnahen Erläuterungen,
Handlungshilfen nutzen, die sich zur Schadensabwendung und Pflichterfüllung bewährt haben,
Haftungsfälle minimieren, strafrechtliche Relevanz ausschließen und angemessen über bestehende Rechtsrisiken aufklären.
Wer mit der Anwendung der lebenswichtigen Vorschriften der BetrSichV professionell betraut ist, ist hier erstklassig beraten – und könnte sich nicht zuletzt manch Ärger mit Vorgesetzten oder sogar dem Staatsanwalt sparen.



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