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Forscht über das Heidnische in Texten: Dr. Maren Großbröhmer (Foto: Privat)
Nachgefragt bei: Dr. Maren Großbröhmer

Großbröhmer: „Mal faszinierende Exoten, mal dämonische Teufelsanbeter“

ESV-Redaktion Philologie
13.06.2017
Welche Rolle spielen Religionen und das Heidentum beim Erzählen? Wie wurde im Mittelalter von Religion erzählt, wie wurden Christentum und Islam dargestellt? Maren Großbröhmer im Interview mit der ESV-Redaktion zu den Epen Loher und Maller und Herzog Herpin.

Welche Rolle spielten heidnische Figuren im Mittelalter?

Maren Großbröhmer: Die ‚Heiden‘ sind Teil des Erzählens ganz unterschiedlicher Texte vom 11. bis ins 15. Jahrhundert. Sie sind in der mittelhochdeutschen Literatur eine der prominentesten, wenn nicht die Verkörperung des Anderen. Sie sind der Gegenentwurf zur christlichen Gesellschaft – und als solcher immer abhängig von deren Selbstbild. Mal erscheinen sie als faszinierende Exoten, mal als dämonische Teufelsanbeter. Aber immer sind sie definiert über ihre Nicht-Zugehörigkeit zum Christentum.

Zusammengefasst: Wie wird in den beiden Epen Loher und Maller und Herzog Herpin von Heiden erzählt?

Maren Großbröhmer: Die Texte erzählen von heidnischen Figuren, heidnischen Heeren und von Kämpfen christlicher Helden mit heidnischen Gegnern… aber das ist im Grunde nur der Vordergrund: Mit Hilfe der Heiden erzählen beide Epen von den Christen – vor allem von der Verunsicherung der christlichen Welt durch die osmanische Expansion. Sie entwerfen eine heidnische Welt, die in jeder Hinsicht beherrschbar und überschaubar wirkt – Literatur erscheint hier als eine Bewältigungsstrategie einer als bedrohlich empfundenen Welt.

Trägt eine solche Art des Erzählens heutzutage noch?

Maren Großbröhmer: Gerade weil die Religion der ‚Heiden‘ im Herzog Herpin und im Loher und Maller zahlreiche Parallelen zum Islam aufweist, liegt die Frage nach der aktuellen Dimension dieses Erzählens nahe. Dass die Bestimmung von Identität ganz wesentlich über das geschieht, was wir nicht sind, scheint eine anthropologische Konstante zu sein und gilt auch für uns selbst. Im Zentrum dieses Differenz-fokussierten Erzählens stehen heute nicht mehr die Zugehörigkeit zum Christentum bzw. der Polytheismusvorwurf und auch nicht mehr – wie im 18. und 19. Jahrhundert – die vermeintliche Sinnlichkeit und sexuelle Freizügigkeit des Orients, sondern politische Aspekte wie die Teilhabe an Demokratie und Menschenrechten. Unser Selbstbild hat sich verändert und damit auch die Art und Weise, wie wir über das Andere sprechen und was wir als zu uns gehörig betrachten oder nicht.

Was ist das Besondere an den beiden Epen?

Maren Großbröhmer: Beide Texte waren im 15. und 16. Jahrhundert das, was wir heute einen Bestseller nennen würden. Sie schafften scheinbar mühelos den Sprung ins Druckzeitalter und fanden, auch wenn der Begriff des Volksbuches längst überholt ist, doch eine relativ weite Verbreitung. Wir bekommen mit Loher und Maller und Herzog Herpin also Zugang zu einer Art frühen Populärkultur. Im Rahmen einer Arbeit, die nach kulturellen Imaginationsmustern fragt, ist das natürlich hoch interessant.

Wie kamen Sie persönlich mit dem Thema des Buches in Kontakt?

Maren Großbröhmer: Das Thema begleitet mich tatsächlich schon seit meinem Grundstudium. Es war ein Seminar zum Thema ‚Der Orient in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts‘, das mich für die Frage nach dem Verhältnis von Eigenem und Anderem begeistert hat. In meiner Magisterarbeit habe ich dann die Orientbilder im Willehalm Wolfram von Eschenbachs untersucht und von da aus war der Schritt zu den frühneuhochdeutschen Texten nicht mehr weit.

Zum Band
Der Band Erzählen von den Heiden. Annäherungen an das Andere in den Chanson de geste-Adaptationen „Loher und Maller“ und „Herzog Herpin“ erscheint im Juli im Erich Schmidt Verlag in Print und als eBook. Sie können ihn bequem hier bestellen.
Auch kritische Editionen sowie einen Kommentar der beiden Epen finden Sie im Erich Schmidt Verlag.

Zur Autorin
Dr. Maren Großbröhmer studierte Germanistik, Neuere und Neueste Geschichte und Religionswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Während der Promotion arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für kulturwissenschaftliche Mediävistik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

(ESV/lp)

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik