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Handbuch EMIR

13.10.2016
Europäische Regulierung der OTC-Derivate. Von Rüdiger Wilhelmi / Olaf Achtelik / Dennis Kunschke / Christian Sigmundt (Hrsg.). Erich Schmidt Verlag, Berlin 2015, 670 Seiten, 98,00 Euro, ISBN 978-3-503-163861.
Europäische Regulierung der OTC-Derivate. Von Rüdiger Wilhelmi / Olaf Achtelik / Dennis Kunschke / Christian Sigmundt (Hrsg.). Erich Schmidt Verlag, Berlin 2015, 670 Seiten, 98,00 Euro, ISBN 978-3-503-163861.

Das Handbuch EMIR ist ein MUSS für alle Juristen und Ökonomen, die sich in Unternehmen, Börsen, Regulierungsbehörden oder Kanzleien mit Derivaten beschäftigen, die außerhalb eines geregelten Marktes zur Ausführung gelangen und deshalb als Over-the-counter-Derivate (OTC-Derivate) anzusehen sind. Seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1998 ist das Volumen von etwa 72 Billionen US-Dollar auf ca. 691 Billionen US-Dollar gestiegen (Stand Juli 2014, Seite 14). OTC-Derivate werden als Mitverursacher der Finanzkrise angesehen (Seite 22), Kreditausfallraten und Korrelationen von Immobilienpreisen beruhten, so die heutige Erkenntnis, offensichtlich auf zu optimistischen Annahmen (Seite 23). Die OTC-Derivatgeschäften immanenten Risiken sollten deshalb, so die Beschlüsse des G20- Gipfels von Pittsburgh vom 24./25. September 2009, einer Regulierung zugeführt werden. Dies geschah in Europa durch die VO 648/2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, die sogenannte EMIR. In Pittsburgh wurde beschlossen, dass OTC-Derivate, soweit möglich, zentral gecleart und über Börsen oder elektronische Plattformen gehandelt werden. Letzteres ist nicht Gegenstand der EMIR, sondern der sie begleitenden MiFIR [VO (EU) 600/2014]. Diese Pflichten treten erst am 31. Januar 2017 in Kraft (Art. 55 MiFIR, Seite 3).

Letztlich geht es der EMIR um die Erfassung systemischer Risiken im Zusammenhang mit OTC-Derivaten, um in Zukunft Krisen, wie sie durch Lehmann Brothers am 15. September 2008 ausgelöst wurden, in Zukunft zu vermeiden. Zentrale Problemfelder sind: fehlende Transparenz von OTC-Kontrakten (1); unzureichendes Management des Gegenpartei-Ausfallrisikos und fehlende Besicherung der OTC-Derivate (2) sowie fehlende Standardisierung und unzureichendes Management des operationellen Risikos (3) (vertiefend Wilhelmi/Blum, Seite 24 ff.).

Die EMIR ist also ein wichtiger Baustein zur Erfassung und Gewichtung systemischer Risiken auf nationalen und internationalen Finanz- und Kapitalmärkten. Letztlich dient sie dazu, Risiken dieser Art erkennbar und beherrschbar zu machen (Mitigation). Damit ist die EMIR ein grundlegender Baustein für die deutsche und europäische Finanzordnung.

Höchste Zeit, dass endlich ein Handbuch zur Anwendung und Praktizierung dieses außerordentlich wichtigen Steuerungsinstruments auf den Finanz- und Kapitalmärkten vorgelegt wurde. Das Handbuch, so heißt es im Vorwort, will die VO 648/2012 und damit in Zusammenhang stehende Änderungen in anderen Regelwerken in ihrer Gesamtheit erfassen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Die vier Herausgeber sind allesamt renommierte Kenner des Kapitalmarktrechtes. Allen voran Prof. Dr. Rüdiger Wilhelmi, Universität Konstanz, mit einem Forschungsschwerpunkt im Kapitalmarktrecht, gefolgt von Dr. Olaf Achtelik, der im Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken die EMIR-Einführung und EMIR- Umsetzung bei Instituten aus rechtlicher Sicht begleitet hat. Rechtsanwalt Dennis Kunschke, war als Referent bei der BaFin und als Berichterstatter bei der Europäischen Zentralbank tätig und ist heute bei Allen & Overy auf das Finanzaufsichtsrecht spezialisiert. Dr. Christian Sigmundt ist Regierungsdirektor bei der BaFin und arbeitet seit 2013 an der Implementierung der EMIR. Der Herausgeberkreis hat ein Autorenteam von insgesamt 30 in- und ausländischen Spezialisten zusammengestellt, die die Wissenschaft ebenso repräsentieren wie Aufsichtsbehörden, Banken, Investmentgesellschaften, Infrastrukturbetreiber, Rechtsanwaltskanzleien, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und IT-Dienstleister. Das Autorenteam bürgt für Qualität und belegt zugleich die Komplexität der Regelungsmaterien, ebenso wie die praktische Bedeutung des Handbuches. Man kann es auch verkürzen: Alle Behörden, Verbände, Unternehmen und Kanzleien, die Finanz- und Kapitalmarktrecht betreiben, sollten das Handbuch EMIR unbedingt anschaffen.

Das Werk besteht aus neun Teilen – eine kurze, aber prägnante Einführung in die Grundbegriffe einschließlich eines Marktüberblicks (Teil eins). Teil zwei beschäftigt sich mit der EMIR als Regulierung systemischer Risiken (ab Seite 21). Im dritten Teil geht es um die Derivate im Sinne der EMIR und die daraus resultierenden Pflichten der relevanten Parteien (ab Seite 59). Teil vier betrifft nicht-finanzielle Gegenparteien (ab Seite 175). In Teil fünf werden die Anforderungen an die zentralen Gegenparteien (CCPs) dargestellt (ab Seite 209). Das Transaktionsregister ist Schwerpunkt von Teil sechs (ab Seite 323). Die Dokumentation wird – in englischer Sprache – aus der Sicht des Praktikers diskutiert und dargestellt (ab Seite 339). Das Zusammenspiel zwischen EMIR und der VO 575/2013 (CRR) wird im achten Teil präsentiert (ab Seite 523), während der neunte Teil die internationalen Aspekte und die Regulierung in Drittstaaten darstellt (ab Seite 551). Die Regulierung der OTC-Derivate in Australien, Japan, der Schweiz und den USA wird exemplarisch gezeigt. Ein Autorenverzeichnis und ein Stichwortverzeichnis schließen das Werk ab.

Im Zentrum geht es der EMIR um die Schaffung von Transparenz, deren Fehlen die Finanzkrise mitausgelöst hat (Wilhelmi/Blum, Seite 25). Das zweite große Problemfeld betrifft die Frage, dass ein Handelspartner seinen Zahlungsverpflichtungen aus dem OTC-Derivat nicht nachkommen kann (sogenannte Gegenparteiausfallrisiko: Wilhelmi/Blum, Seite 26). Das dritte Problemfeld betrifft die Standardisierung und das operationelle Risiko, also das Verlustrisiko, das sich aus fehlerhaften organisatorischen und systemischen Prozessen sowie menschlichem Versagen ergibt (Wilhelmi/Blum, Seite 28). Alle drei Risiken zusammen werden als systemisches Risiko begriffen, also als Risiken, die die Funktionsfähigkeit oder den Fortbestand des Finanzsystems gefährden können (Wilhelmi/Blum, Seite 29). Die mit der EMIR eingeleiteten Reformen zielen auf eine Verringerung dieser drei systemischen Risiken. Um die Transparenz zu erhöhen, werden Derivate-Kontrakte an ein Transaktionsregister gemeldet (Art. 9 EMIR). Das Gegenparteiausfallrisiko wird durch die Pflicht zum Clearing über CCPs reduziert (Art. 4 ff. EMIR). Eine CCP tritt als juristische Person zwischen Käufer und Verkäufer eines Derivat-Kontrakts auf. Das heißt, das Gegenparteiausfallrisiko geht auf die CCP über, und umgekehrt tragen die Gegenparteien das Ausfallrisiko der CCP. Folglich sind beim zentralen Clearing Vorschriften zum Schutz gegen das Risiko des Ausfalls der CCP erforderlich (Wilhelmi/Blum, Seite 34). Dabei wird das Ausfallrisiko der CCPs reduziert, indem die Möglichkeit des multilateralen Nettings besteht (Wilhelmi/Blum, Seite 34). Die CCPs unterliegen besonderen organisatorischen Anforderungen und Verhaltensregelungen. Dadurch wird das operationelle Risiko reduziert (Art. 26 ff. EMIR). Es geht im Kern um ein Risikomanagement, aber auch um die Unternehmens- und Geschäftsführung sowie die Unabhängigkeit der Mitglieder ihres Leitungsorgans. Schließlich werden die Eigenkapitalanforderungen der CCPs so bestimmt, dass sie den operationellen Risiken entsprechen (Art. 16 EMIR).

Zugleich ist die EMIR in das System der europäischen Finanzaufsicht (European System of Financial Supervision, ESFS) eingebettet. Dies bedeutet, die EMIR ist nur ein Baustein eines sektoralen Regulierungsansatzes (Kunschke, Seite 38). Das ESFS selbst besteht aus dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB), der Europäischen Bankaufsichtsbehörde (EBA), der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersvorsorge (EIOPA), dem Gemeinsamen Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden, sowie den nationalen Aufsichtsbehörden.

ESMA, EBA und EIOPA werden zusammen als Europäische Aufsichtsbehörden (European Supervisory Authorities, ESA) bezeichnet (Kunschke, Seite 38). Hauptanliegen der europäischen Finanzaufsicht (ESFS) ist die angemessene der für den Finanzsektor geltenden Vorschriften, um die Finanzstabilität zu erhalten und um für Vertrauen in das Finanzsystem insgesamt und für einen ausreichenden Schutz der Kunden zu sorgen (Kunschke, Seite 38, 39). Hintergrund dieser heute vollständig umgesetzten Struktur des ESFS ist der De-Larosière-Bericht vom 15. Februar 2009.

Große Bedeutung hat das Transaktionsregister, das Zeitz (Seite 323 ff.) vorstellt. Das Gleiche gilt für den Praktikerfokus Dokumentation beginnend mit der Kundenclearingdokumentation (Scholl, Seite 339 ff.). Die Beziehung zur ISDA 2013 wird sodann (in englischer Sprache) durch Huertas (Seite 379 ff.) präsentiert. Grundlegend sind auch die Eigenmittelanforderungen, die neben der EMIR in der VO 575/2013 (CRR) geregelt sind. Das Zusammenspiel zwischen EMIR und dieser Verordnung wird von Achtelik/Steinmüller (Seite 523 ff.) entwickelt.

Die EMIR gilt in Deutschland und Europa, nicht jedoch in Drittstaaten. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie andere Staaten mit den Beschlüssen des G20-Gipfels umgegangen sind. Einen Überblick gibt Teil neun, eingeleitet von Wilhelmi (Seite 551 ff.). Dargestellt wird Australien (White/Cohn-Urbach/ Luo, Seite 559 ff.), Japan (Hamano, Seite 571 ff.), die Schweiz (Favre, Seite 581 ff.) und die USA (North/ Baer/Plotnick, Seite 618 ff.).

Das Handbuch EMIR ist für jeden, der im Kapitalmarktrecht mit Derivaten zu tun hat, unverzichtbar. Es ist hochkompetent geschrieben, gibt vertiefende und weiterführende Informationen auf vielen Ebenen und sorgt hoffentlich dafür, dass OTC-Derivate in Zukunft niemals mehr Finanzkrisen auslösen. Eine Prognose in diesem Sinne kann vielleicht gewagt werden, weil eines jedenfalls auffällt: Rechtsprechung zur EMIR gibt es bisher nicht – das heißt, die EMIR scheint als Teilbaustein der europäischen Finanzrechtsarchitektur zu funktionieren. Das vorliegende Handbuch wird dafür sorgen, dass sich hieran möglichst nichts ändert.

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Geschäftsführender Direktor des Institutes für Energie- und Wettbewerbsrecht in der kommunalen Wirtschaft e. V. (EWeRK), Humboldt-Universität, Berlin

Quelle: ZRFC Risk, Fraud & Compliance Heft 5/2016

Programmbereich: Management und Wirtschaft