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Insolvenzdelikte

05.08.2016
Von Raimund Weyand/Judith Diversy. 10. Aufl. 2016, Erich Schmidt Verlag, 44,60 Euro, ISBN 978-3-503-16612-1.
Von Raimund Weyand/Judith Diversy. 10. Aufl. 2016, Erich Schmidt Verlag, 44,60 Euro, ISBN 978-3-503-16612-1.

In der mittlerweile zehnten Auflage ist ein Klassiker des Insolvenzstrafrechts, das von Raimund Weyand und Judith Diversy bearbeitete Werk „Insolvenzdelikte – Unternehmenszusammenbruch und Strafrecht“, erschienen. Von den zahlreichen insolvenzstrafrechtlichen Fragestellungen, die Verf. thematisieren, seien die nachfolgenden besonders hervorgehoben:

a) Da die GmbH zu den insolvenzanfälligsten Rechtsformen zählt (zu diesem Befund s. nur Scholz-GmbHG/Tiedemann/Rönnau, 11. Aufl. 2015, Vor §§ 82 ff. Rdnr. 3), verwundert es nicht, dass an den insolvenzstrafrechtlichen Sachverhalten, die die Praxis beschäftigen, diese Gesellschaft überproportional häufig beteiligt ist. Vor diesem Hintergrund und angesichts der als Geschäftsleitersonderdelikt ausgestalteten strafbaren Insolvenzverschleppung – § 15a Abs. 1, 4 InsO adressiert im Unterschied zu §§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG a.F. zwar nicht mehr den Geschäftsführer, sondern nennt als Täter ganz allgemein die „Mitglieder des Vertretungsorgans“ – nimmt es des Weiteren nicht wunder, dass Fragen der faktischen Geschäftsführung in insolvenzstrafrechtlichen Konstellationen eine große Rolle spielen. Auch Verf. zeichnen die Diskussion zur faktischen Geschäftsführung nach (Rdnrn. 27 ff.) und verbinden sie mit einem Plädoyer zugunsten der von der Rechtsprechung vertretenen Sichtweise (Rdnr. 29). Einwände des Schrifttums, wonach die Rechtsprechung zum faktischen Organ gegen das Analogieverbot verstößt, weisen sie dezidiert zurück (Rdnr. 29). Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings § 14 Abs. 3 StGB. Seinem eindeutigen Wortlaut nach stellt § 14 Abs. 3 StGB den ordnungsgemäß bestellten Vertretern als Zurechnungsadressaten des § 14 Abs. 1, 2 StGB nur solche Personen gleich, deren Bestellungsakt unwirksam ist. Das heißt, Personen, die ihre Geschäftsleiterposition ohne einen intentionalen, wenn auch unwirksamen Bestellungsakt erlangt haben, kommen als Adressaten der von § 14 Abs. 1, 2 StGB ermöglichten Zurechnungsoperation nicht in Betracht (zutr. Münch- Komm-StGB/Radtke, 2. Aufl. 2011, § 14 Rdnr. 118, 123 f.). Kriminalpolitische Erwägungen vermögen an diesem Befund de lege lata nichts zu ändern. Freilich betrifft dieser Einwand nur einen Ausschnitt der Lehre vom faktischen Organ – über die Möglichkeit, den faktischen Geschäftsleiter wegen Insolvenzverschleppung zu bestrafen, ist damit bspw. noch nichts gesagt – zeigt aber die Schwierigkeiten, die es bereitet, eine allgemeingültige, für alle Bereiche gleichermaßen geltende Figur des faktischen Organs zu kreieren.

b) Bekanntlich macht sich wegen Bankrotts nur strafbar, wer entweder bei (drohender) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung eine Bankrotthandlung (vgl. § 283 Abs. 1 Nrn. 1-8 StGB) begeht oder aber durch die Vornahme einer dieser Bankrotthandlungen die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung herbeiführt (vgl. § 283 Abs. 2 StGB). Dieser „Krisentrias“ bestehend aus drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit sowie der Überschuldung widmen Verf. ein ausführliches Kapitel (Rdnrn. 33-55). Zu Recht nehmen sie dabei die insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen dieser Krisenmerkmale (vgl. §§ 17 ff. InsO) zum Ausgangspunkt ihrer Ausführungen. – Das schwierigste und in seiner Legitimität zugleich umstrittenste Krisenmerkmal ist der Überschuldungstatbestand (zu rechtspolitischer Kritik am Überschuldungstatbestand s. Hölzle, ZIP 2008, 2003 [2004 f.]; Rokas, ZInsO 2009, 18 [21]). Seine wechselvolle Geschichte zeichnen Verf. klar verständlich nach (Rdnrn. 34 ff.) und geben dem Leser sodann einen höchst informativen Überblick darüber, welche Positionen ein Überschuldungsstaus auf der Aktiv- und der Passivseite enthalten kann (Rdnrn. 38 ff.). Widerspruch fordert aus Sicht des Rezensenten lediglich der Vorschlag zur Behandlung von Altfällen heraus: Verf. wollen auf Taten, die bei Inkrafttreten des heute geltenden § 19 InsO am 18.10.2008 bereits beendet waren, nicht den günstigeren modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff anwenden, sondern den bis dahin geltenden nicht modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO a.F. Zur Begründung verweisen sie auf Art. 103d EGInsO, dem zufolge Insolvenzverfahren, die vor dem 1.11.2008 eröffnet wurden, nach dem damals geltenden Recht zu beurteilen sind (Rdnr. 37). Trotz der Insolvenzrechtsakzessorietät der Krisenmerkmale, die Verf. zutreffend herausstreichen, überzeugt es nicht, § 2 Abs. 3 StGB mithilfe des Art. 103d EGInsO unangewendet zu lassen. Denn strafrechtliche Besonderheiten – und dazu zählt neben dem in-dubio-Grundsatz und dem Bestimmtheitsgebot eben auch § 2 Abs. 3 StGB – werden von einer insolvenzrechtsakzessorischen Interpretation richtigerweise nicht tangiert. Mehr spricht deshalb zugunsten der Ansicht, die die Altfälle gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach dem modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 InsO n.F. beurteilt (zutr. deshalb BGH wistra 2010, 219 [220]; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, 29. Aufl. 2014, § 283 Rdnr. 51).

c) Strafbar macht sich der Schuldner, der eine Bankrotthandlung im Stadium der Krise begangen oder das Krisenstadium durch die Vornahme der Bankrotthandlung herbeigeführt hat, nur, wenn er seine Zahlungen einstellt oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet bzw. mangels Masse nicht eröffnet wird (vgl. § 283 Abs. 6 StGB). Seit jeher umstritten ist, ob zwischen der Bankrotthandlung und dem Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung ein Zusammenhang bestehen muss. Nach Ansicht der Verf. ist kein wie auch immer gearteter Zusammenhang zwischen der Bankrotthandlung und der Strafbarkeitsbedingung erforderlich. Entscheidend sei vielmehr, dass die Krisensituation in Form von (drohender) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung in den durch § 283 Abs. 6 StGB näher umschriebenen Unternehmenszusammenbruch münde (Rdnr. 59). Da § 283b Abs. 1 StGB anders als § 283 Abs. 1 StGB die Vornahme der dort gelisteten Tathandlungen auch außerhalb einer Krisensituation sanktioniert, ist hier vom Standpunkt der Verf. ein Zusammenhang zur objektiven Strafbarkeitsbedingung (vgl. § 283b Abs. 3 StGB) naturgemäß entbehrlich (Rdnr. 128). Mit Blick auf die Historie des Bankrottstrafrechts – den Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und objektiver Strafbarkeitsbedingung forderte die Rspr. erstmals zu einer Zeit, als die Vornahme von Bankrotthandlungen noch unabhängig vom Bestehen einer Krise bankrottstrafrechtliche Sanktionen zeitigte und deshalb Bedenken an der Vereinbarkeit des Bankrotttatbestandes mit dem Schuldgrundsatz aufkamen (s. etwa Heidland, KTS 1958, 161 [163 ff.]) – spricht allerdings mehr dafür, auf den Zusammenhang bei § 283 StGB heute ganz zu verzichten, ihn hingegen bei § 283b StGB zu fordern (dazu näher Brand, in: Bittmann [Hrsg.], Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. im Erscheinen, § 13 Rdnr. 224 m.w.N.).

d) Wer seine Bücher/Bilanzen nicht führt, macht sich – den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung (vgl. §§ 283 Abs. 6, 283b Abs. 3 StGB) vorausgesetzt – innerhalb einer Krise gemäß § 283 Abs. 1 Nrn. 5 Var. 1, 7b Var. 1 StGB und außerhalb einer Krise gemäß § 283b Abs. 1 Nrn. 1 Var. 1, 3b Var. 1 StGB strafbar. Die vier Tatbestände sind als echte Unterlassensdelikte konstruiert, setzten also voraus, dass die Pflichterfüllung möglich und zumutbar ist. Fehlen dem kaufmännisch organisierten Schuldner die Mittel, um seine Buch- bzw. Bilanzführungspflicht an einen kompetenten Dritten zu delegieren und ist er intellektuell nicht in der Lage, die Bücher und Bilanzen selbst zu erstellen, steht der Einwand im Raum, die Pflichterfüllung sei dem Schuldner unmöglich gewesen. Während die frühere Rspr. diesen Einwand zumeist akzeptierte und den Schuldner vom Vorwurf der §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 Var. 1, 7b Var. 1, 283b Abs. 1 Nrn. 1 Var. 1, 3b Var. 1 StGB freisprach (exemplarisch BGHSt 28, 231 [233]; BGH wistra 2007, 308 [309]; NStZ 2003, 546 [548] = wistra 2003, 232 [233]), tendiert die neuere Rspr. dahin, vom Schuldner zu verlangen, finanzielle Vorsorge zu treffen, um der Buch- und Bilanzführungspflicht auch in der Krise nachzukommen (BGH NStZ 2012, 511). Verf. stimmen dieser Rechtsprechungslinie, die die Vorrangthese, wie sie von § 266a Abs. 1 StGB wohlbekannt ist, auf die §§ 283 Abs. 1 Nrn. 5 Var. 1, 7b Var. 1, 283b Abs. 1 Nrn. 1 Var. 1, 3b Var. 1 StGB erstreckt, ausdrücklich zu (Rdnr. 86). Jedoch überzeugt die Vorrangthese schon bei § 266a Abs. 1 StGB nicht (s. nur Brand, WM 2010, 1783 [1785] m.w.N.) und stimmt es angesichts dessen bedenklich, diese Rspr. auch noch auf andere Delikte auszudehnen (Renzikowski, in: Festschr. f. Weber, 2004, S 333 [345 f.]).

e) Es gäbe noch viel mehr zu dem von Weyand/Diversy verfassten Werk über die Insolvenzdelikte zu sagen; dies würde aber den Rahmen dieser Besprechung sprengen. Resümierend bleibt jedenfalls festzuhalten, dass die „Insolvenzdelikte“ von Weyand/Diversy fundiert, aktuell und gut lesbar über die zahlreichen Probleme des Insolvenzstrafrechts informieren und deshalb unbedingt auf den Schreibtisch eines jeden Insolvenzstrafrechtlers gehören!

Quelle: WiJ Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. Heft 2/2016

Programmbereich: Management und Wirtschaft