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Institutionelle Korruption und Arzneimittelvertrieb

30.07.2019
Von Ralf Kölbel (Hrsg.), Springer Verlag, Heidelberg 2018, 355 Seiten, 89,99 Euro, ISBN 978-3-662-57415-7.
Das von Kölbel, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, herausgegebene Buch befasst sich mit Interessenkonflikten, die dazu führen können, dass Ärzte andere als rein medizinische Erwägungen bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. Insbesondere wird auf den Vertrieb von pharmazeutischen Produkten eingegangen. Da Maßnahmen des Vertriebs Einfluss auf die Verschreibungspraxis von Ärzten haben können, gibt es vielfältige ethische und andere weit über die rechtliche und wirtschaftliche Betrachtung hinausgehende Aspekte, die dazu geführt haben, dass die Politik sich inzwischen zum Verbot vieler Praktiken entschlossen hat. Begleitet werden die staatlichen Sanktionen durch viele freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie, die naturgemäß auch helfen sollen, eine schärfere staatliche Sanktionierung zu vermeiden. Die Studie konzentriert sich auf den besonders sensiblen Bereich der Verbindung zwischen Industrie und Arzt, womit der Besonderheit des Marktes für verschreibungspflichtige Arzneimittel Rechnung getragen wird. Es ist der Arzt als Mittler zwischen Hersteller und Konsument (dem Patienten), der die Entscheidung trifft, welches Produkt eingesetzt wird. Damit richten sich die Vertriebsbemühungen auch in der Regel an die Ärzte. Der Druck, hier Marketing umfassend und effektiv zu machen, wird im einführenden Kapitel des Werks eindrucksvoll dargestellt: Immer mehr Innovationen bringen nur geringen therapeutischen Fortschritt. Der Druck durch Generika nach Ablauf des Patentschutzes wird größer. Für die meisten Arzneimittel verbleibt nur eine Vermarktungszeit von circa acht Jahren, daher muss das Marketing schnell und erfolgreich sein. Dies erfolgt vor dem Hintergrund des immer stärker regulierten Bereiches Pharmamarketing. Insbesondere die Einführung des Tatbestands Bestechung/ Bestechlichkeit im Gesundheitswesen (§§ 299a ff. StGB) hat die Möglichkeiten des Pharmamarketings eingeschränkt.

Im dritten Kapitel befasst sich der Herausgeber mit der Entwicklung der Strafbarkeit, insbesondere mit der Entstehung der §§ 299a ff. StGB und den genauen Tatbestandsmerkmalen. Vor diesem Hintergrund wird im vierten Beitrag des Bandes von Passarge beschrieben, in welcher Weise Unternehmen sich selbst regulieren können, zum Beispiel in dem sie ihr Compliance-Management-System durch externe Auditoren zertifizieren lassen. Im fünften Kapitel befasst sich wiederum der Herausgeber des Bandes mit der Frage, inwiefern die Androhung von Bestrafung im Gesundheitssektor tatsächlich wirksam ist, also ob durch neue Regulierungen das Ausmaß der Marketingaktivitäten zurückgeht oder nicht. Die empirische Evidenz aus der Literatur ist widersprüchlich. Zum einen wird auf eine amerikanische Studie verwiesen, nach der allein das Verbot der Vergabe von Geschenken zu einem Rückgang der Verschreibungen geführt hat. Zum anderen wird darauf hingewiesen, dass eine hohe Rückfallquote bei zu Geldstrafen verurteilten amerikanischen Pharmaunternehmen auf eine geringe Abschreckungswirkung der verhängten Sanktionen hindeutet. Des Weiteren zeigt Kölbel in einer umfassenden Bestandsaufnahme der einschlägigen Literatur, dass die Implementierung eines Kodex in einem Unternehmen allein nicht ausreicht. Die Regelkonformität zeigt sich erst durch begleitende Maßnahmen – allerdings wird zu Recht auf die methodischen Schwächen der referierten Untersuchungen hingewiesen, die auch deren Aussagegehalt infrage stellen.

In den weiteren Kapiteln des Bandes werden dann die Erkenntnisse aus der eigenen Untersuchung vorgestellt. Mit qualitativen Forschungsstrategien wurde versucht herauszufinden, welche Formen der Ärzteansprache heute gewählt werden – und wie sich das Verhalten der Pharmaunternehmen nach den gesetzlichen Verschärfungen verändert hat. In einem ersten Zwischenfazit beschreibt Herold, dass die Pharmabranche sich klar zur Beeinflussung von Ärzten bekennt, sie aber die konkrete Form der Ansprache von Ärzten in einer Weise verändert hat, dass Sanktionen vermieden werden. Die Ansprache ist subtiler geworden. Koch et al. belegen das in einem weiteren Beitrag: Sie identifizieren bei Anwendungsbeobachtungen zumeist Marketinggründe als Auslöser für die Studien. Hierzu passt auch die Erkenntnis, dass viele vermeintlich wissenschaftliche Schriften oder Veranstaltungen einen starken Marketingbezug aufweisen, der allerdings soweit wie möglich verbrämt wird. Dazu nutzt die Pharmaindustrie auch die gesetzlich auferlegte Pflicht zur ärztlichen Weiterbildung. Auch hier finden sich subtil versteckte Marketinginhalte. Ebenfalls in diese Richtung geht die Beobachtung, dass mehr Marketingmaßnahmen sich direkt an den Patienten wenden, damit dieser partizipativ mit dem Arzt über eine Behandlungsstrategie entscheiden kann. Hier zeigt sich, dass immer mehr Budgets in solcherart Marketing gesteckt werden.

Insgesamt ist das Urteil der Studie ernüchternd. Viele der heute angewandten Verfahren sind doch korruptionsähnlich. Sie sind nicht strafbewehrt sondern Verwenden die Technik des Nudging – also des Aufbaus einer Verpflichtung durch kleine Geschenke. Im Gegenzug erhofft sich die Pharmaindustrie die Verschreibung ihres Präparates. Dies ist nicht strafbar, der Sinn der Gesetzgebung wird aber verfehlt, da es eben doch zu Beeinflussungen kommt.

Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch. Für alle, die im Pharmabereich arbeiten, ist es eine praktisch relevante Studie über Praktiken und zu den dahinterliegenden Intentionen im Marketing. Für alle, die sich wissenschaftlich mit Compliance befassen, ist es eine exemplarische Studie über eine Branche, die auch als Vorbild für weitere Forschungsaktivitäten dienen kann.

Prof. Dr. Stefan Behringer, NORDAKADEMIE, Hochschule der Wirtschaft, Elmshorn und Hamburg

Quelle: ZRFC Risk, Fraud & Compliance Heft 3/2019

Programmbereich: Management und Wirtschaft