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Kein besonderer Schwierigkeitsgrad durch Arbeitssicherheits-Verantwortung (Foto: Malaya Sadler/Unsplash)
Unfallversicherung und Recht

Keine „besonderen Schwierigkeiten“ bei Gefährdungsbeurteilung durch Schwimmmeister

Thomas Wilrich
19.01.2022
In dieser Kolumne erläutert Thomas Wilrich die Klage eines Schwimmmeisters, der auf Höhergruppierung u.a. wegen seiner Arbeitsschutzverantwortung klagte.
Ein Badleiter in einem Frei- und Hallenbad ist in der Entgeltgruppe 8 Teil B III. der Anlage 1 der Entgeltordnung des TVöD-V vergütet und erhält 3.246,12 EUR. „Nach dem Organisationshandbuch erfüllt er als Sonderfunktionsträger die Aufgaben des Ausbilders nach § 14 BBiG, ist beauftragte Person für Gefahrengut und Koordinator gemäß § 13 BetrSichV und § 15 GefStoffV“. Er begehrt Vergütung gemäß Entgeltgruppe 9b, denn „sein Arbeitsbereich sei besonders schwierig“ – unter anderem wegen der Arbeitsschutzverantwortung.

Das Arbeitsgericht Iserlohn wies die Klage ab[1]. Dem Schwimmmeister „ist nicht gelungen, schlüssig im Einzelnen darzulegen, dass er mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge ausübt, die die Tatbestandsmerkmale der Entgeltgruppe 9 b erfüllen“. Es „fehlt eine Darstellung zu den Zeitanteilen dieser angeblich qualifizierten Tätigkeiten“.

Das Landearbeitsgericht Hamm bestätigte das Urteil[2]: „Die Tätigkeit des Klägers erfüllt schon nicht die Tarifmerkmale der Entgeltgruppe 9a. Er hat den erforderlichen wertenden Vergleich nicht vorgenommen.“

Und das LAG geht jetzt (erst) auf die Arbeitsschutzaspekte ein:

„Die Tätigkeit des Klägers stellt einen einheitlichen Arbeitsvorgang dar. Die Einzeltätigkeiten, die zu der Leitung des Bads gehören, können nicht von vornherein auseinander gehalten und organisatorisch voneinander getrennt werden. Alle Arbeitsschritte dienen dem Ziel, einen störungsfreien Badbetrieb zu gewährleisten.“ Auch die in der „Arbeitsbeschreibung aufgeführten Tätigkeiten wie Personalführung, Planung und Organisation des Betriebsablaufs, Arbeitsschutz, Umgang mit Chemikalien dienen dem Ziel, Publikum anzuziehen, ihm eine gefahrlose Nutzung des Bades zu ermöglichen und dieses wirtschaftlich zu betreiben. Dazu gehören Aufgaben der Arbeitssicherheit.“

Diese Aussagen entgeltrechtlicher Art decken sich mit dem straf- und haftungsrechtlichen Grundprinzip, dass alle Beschäftigten automatisch auch ohne Schriftform aus ihren Aufgaben und Positionen arbeitsschutz- und sicherheitsverantwortlich sind[3]. Die folgende Aussage verstehe ich aber nicht:  

„Dem Vortrag des Klägers lässt sich nicht entnehmen, ob es sich bei der Gefährdungsbeurtei­lung und der Koordination nach §§ 13 BetrSichV, 15 GefStoffV um eigene Arbeitsvorgänge handelt.“ Wieso muss der Kläger dazu vortragen? Man könnte doch ins Gesetz schauen! Eine Gefährdungsbeurteilung ist ein „abgrenzbares Arbeitsergebnis“ i.S.d. Protokollerklärung des TVöD – nicht zuletzt, weil sie dokumentiert wird (§ 6 ArbSchG und z.B. § 3 Abs. 8 BetrSichV)[4].

Aber entscheidend ist das nicht. Das Gericht redet (nicht unüblich[5]) die Arbeitsschutzpflichten recht klein – sie haben keine Bedeutung im Entgeltrecht:

·      „Die Verantwortung für die Einhaltung der Arbeitssicherheitsvorschriften und die Aufsicht über die Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten für Gebäude und Gelände sind typische Aufgaben des geprüften Schwimmmeisters.“

·      „Welcher besondere Schwierigkeitsgrad mit den Aufgaben der Fachkraft für Gefährdungsbeurteilung verbunden ist, erschließt sich allein aus dem Hinweis des Klägers auf seine besondere Verantwortlichkeit in diesem Bereich nicht. Die besondere Verantwortlichkeit ist kein Tatbestandsmerkmal der Entgeltgruppe 9a.“

·      „Soweit der Kläger die Koordination gemäß §§ 13 BetrSichV, 15 GefStoffV übernommen hat, hat er nicht weiter verdeutlicht, welche besonderen Schwierigkeiten sich aus diesen Aufgaben ergeben[6].“

Durchgeschriebene Fassung des TVöD für den Bereich Verwaltung im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-V) vom 7. Februar 2006 in der Fassung der Änderungsvereinbarung Nr. 13 vom 18. April 2018

§ 12 Eingruppierung

Die/Der Beschäftigte ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr/ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen.

Protokollerklärung zu Absatz 2:

Arbeitsvorgänge sind Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der/des Beschäftigten, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (z.B. unterschriftsreife Bearbeitung eines Aktenvorgangs, eines Widerspruchs oder eines Antrags, Erstellung eines EKG, Fertigung einer Bauzeichnung, Konstruktion einer Brücke oder eines Brückenteils, Bearbeitung eines Antrags auf eine Sozialleistung, Betreuung einer Person oder Personengruppe, Durchführung einer Unterhaltungs-oder Instandsetzungsarbeit). Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.

Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA)

Teil B Besonderer Teil III. Beschäftigte in Bäderbetrieben

Entgeltgruppe 8

1. Geprüfte Meisterinnen und Meister für Bäderbetriebe mit entsprechender Tätigkeit.

2. Fachangestellte für Bäderbetriebe mit Abschlussprüfung als Badbetriebsleiterinnen oder -leiter.

Entgeltgruppe 9a

Beschäftigte der Entgeltgruppe 8 Fallgruppe 1, die besonders schwierige Arbeitsbereiche zu beaufsichtigen haben, in denen Fachangestellte für Bäderbetriebe beschäftigt werden.

Entgeltgruppe 9b

Beschäftigte der Entgeltgruppe 8 Fallgruppe 1, die in einem besonders bedeutenden Arbeitsbereich mit einem höheren Maß von Verantwortlichkeit beschäftigt sind und deren Aufgabengebiet sich durch den Umfang und die Bedeutung sowie durch große Selbstständigkeit wesentlich aus der Entgeltgruppe 9a heraushebt.

Protokollerklärungen: …

2. Besonders schwierige Arbeitsbereiche sind solche, die erheblich über den normalen Schwierigkeitsgrad hinausgehen.


 
Fußnoten
[1] ArbG Iserlohn, Urteil vom 17. Januar 2019 (Az. 4 Ca 1093/18).
[2] LAG Hamm, Urteil vom 10. Oktober 2019 (Az. 17 Sa 176/19).
[3] Vgl. Wilrich, Arbeitsschutz-Strafrecht – Haftung für fahrlässige Arbeitsunfälle: Sicherheitsverantwortung, Sorgfaltspflichten und Schuld – mit 33 Gerichtsurteilen, 2020.
[4] Vgl. Wilrich, Praxisleitfaden Betriebssicherheitsverordnung, 2. Aufl. 2020.
[5] Siehe die Urteilsbesprechungen „Alles ganz einfach“ in Wilrich, Verantwortung und Haftung der Sicherheitsingenieure: Unterstützungs-, Beratungs-, Berichts-, Prüfungs-, Warn- und Sorgfaltspflichten der Fachkräfte für Arbeitssicherheit als Stabsstelle und Unternehmerpflichten in der Linie – mit 15 Gerichtsurteilen und Strafverfahren zu Fahrlässigkeit und Schuld nach Arbeitsunfällen, 2021.
[6] Wie schwierig Koordinationspflichten sein können, wird geschildert in Wilrich, Bausicherheit: Arbeitsschutz, Baustellenverordnung, Koordination, Bauüberwachung, Verkehr.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich ist tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung und Arbeitsschutz einschließlich Betriebsorganisation, Führungskräftehaftung, Vertragsgestaltung und Strafverteidigung. Er ist an der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht und Autor von Fachbüchern: Sicherheitsverantwortung (Erich Schmidt Verlag), Arbeitsschutz-Strafrecht (Erich Schmidt Verlag), Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), Rechtliche Bedeutung technischer Normen.   


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