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Männergesundheit ist in jeder Lebensphase ein Thema (Foto: Uschi Hering)
Prävention im Betrieb

Männer kommen durch die Hintertür

ESV-Redaktion Arbeitsschutz
15.12.2015
Strategien für mehr Männergesundheit im Betrieb: Männer gehen erst dann zum Arzt, wenn sie schwere gesundheitliche Probleme haben. Im Vergleich mit Frauen ist ihre Lebenserwartung deutlich niedriger. Wie lassen sich die „Gesundheitsmuffel“ zu einem gesünderen Verhalten motivieren? Im Interview geben zwei Experten Auskunft.
Männer gehen erst dann zum Arzt, wenn sie schwere gesundheitliche Probleme haben. Im Vergleich mit Frauen ist ihre Lebenserwartung deutlich niedriger. Diese Ergebnisse sind im Männergesundheitsbericht des Robert Koch-Instituts dokumentiert. Wie lassen sich die „Gesundheitsmuffel“ zu einem gesünderen Verhalten motivieren? Durch Angebote, die in den Betriebsalltag passen und die ihren Wettbewerbsgeist herausfordern. Die BPUVZ sprach mit Dr. med. Peter Kölln, Betriebsarzt und Berater für Betriebliches Gesundheitsmanagement und Stefan Buchner, Geschäftsführer der UBGM – Unternehmensberatung für Betriebliches Gesundheitsmanagement.

Welche Unterschiede gibt es beim Gesundheitsverhalten von Mann und Frau?

Peter Kölln:
Zwischen den Geschlechtern gibt es wahrnehmbare Unterschiede: Männer verbinden mit Gesundheit in erster Linie Fitness, Vorsorge ist eher zweitrangig. Auch neigen Männer dazu, gesundheitliche Beschwerden zu ignorieren oder zu verharmlosen. Das Äußern von Schwächen ist mit dem Rollenverständnis vieler Männer nicht vereinbar. Tendenziell lassen sich Männer seltener krankschreiben als Frauen. Wenn sie aber dann doch irgendwann krankgeschrieben werden, sind sie meist länger raus als Frauen.

Stefan Buchner:
In der Diskussion mit Männern in unseren Firmenseminaren stelle ich fest, dass Männer oftmals an ihre Grenzen gehen und sich zu wenig um ihre Gesundheit sorgen. In unserer Leistungsgesellschaft ist es für den Mann als vermeintlich starkes Geschlecht tabu, über gesundheitliche Beschwerden zu sprechen. Kleine Wehwehchen drücken Männer eher weg, körperliche Schmerzen verschwinden dann oft wieder. Doch genau das ist die Krux: Denn Schmerzen sind Warnsignale für Erkrankungen; ignoriert man sie, kommt es zur Degeneration, also dem beschleunigten Verschleiß des Körpers.

Wie kann man Männer darüber hinaus für ihre eigene Gesundheit sensibilisieren?

Peter Kölln:
Gesundheit ist für viele Männer eine „weibliche“ Sache. Also muss man das Thema so „verpacken“, dass sie sich auch angesprochen fühlen. In meinen Seminaren erzähle ich kleine Geschichten und arbeite mit einprägsamen Bildern und männerspezifischen Begriffen: Zum Beispiel Zuckerstapler statt Insulin oder Autobatterie statt Energie. Das kommt an. Wichtig ist, Männer nicht zu belehren, sondern sie in den Dialog zu bringen. Zum Beispiel über Gesundheitsangebote, die sich speziell an Männer richten. Und indem man sie in ihrer Befindlichkeit abholt: Männer setzen sich dann mit ihrer Gesundheit auseinander, wenn ihnen ihre Endlichkeit bewusst wird.

Stefan Buchner:
Wir machen die Erfahrung, dass man die Aufmerksamkeit der Männer durch harte Fakten und technische Messungen gewinnen kann: Sie werden hellhörig, wenn wir ihnen beispielsweise von Studien über die Leistungsfähigkeit von Managern nach einem Herzinfarkt berichten oder einen „Gesundheits-TÜV“ machen. Identifikation schafft Betroffenheit – und diese zu erzeugen, ist das Ziel. Positive Motivation und Angst in Kombination wirken und motivieren dazu, sich für die eigene Gesundheit zu öffnen. Auch Erfolgsstories von Führungskräften, die zum Beispiel im Rahmen eines Gesundheitstages über persönliche Gesundheitserfahrungen berichten, haben oftmals eine enorme Wirkung auf das Gesundheitsverhalten.

Für welche gesundheitsfördernden Maßnahmen lassen sich Männer gewinnen?

Peter Kölln:
Auch wenn es klischeehaft ist: Männer messen gerne ihre Kräfte im Wettbewerb und vergleichen ihre Werte und Ergebnisse. Aber das wollen sie nicht unbedingt zugeben. Von alleine beteiligen sich Männer an Gesundheitsveranstaltungen eher ungern, man muss sie schicken, und zwar durch die „Hintertür“, also zum Beispiel über den Chef oder den Betriebsarzt. Diese müssen für sie auch in den Arbeitsalltag passen, also zum Beispiel zwischen zwei Schichten oder direkt nach der Arbeit.

Stefan Buchner:
Männer stufen sich gern ein und sind ehrgeizig, ihre Kollegen zu übertrumpfen. Diese Motivation muss man kanalisieren. Klimmzug- oder Abnehmwettbewerbe, die man zum Beispiel im Rahmen eines Gesundheitstages als Kick-Off anbieten kann, funktionieren bei Männern gut. Auch Schrittzähler-Wettbewerber mit klarer Zielvorgabe, z.B. 10.000 Schritte am Tag zurücklegen, kommen gut an. Der Wettbewerbsgeist, der zusätzlich durch monetäre Anreize beflügelt werden kann, fördert auch die Gesundheitskultur: Nämlich dann, wenn sich Teams in den Pausen über ihre Ergebnisse austauschen.

Sind spezielle Gesundheitsangebote nur für Männer oder gemischte Gruppen sinnvoller?

Peter Kölln:
Tendenziell rate ich eher zu reinen Männergruppen. Unter ihresgleichen fühlen sie sich wohler, haben da ihren eigenen Humor und lassen sich mitreißen: Beim Basketball-Spiel und anschließendem Entspannungsbier tauschen sie sich auch darüber aus, was ihnen auf der Seele liegt. Das Gemeinschaftsgefühl ist für Männer sehr wichtig.

Stefan Buchner:
Im betrieblichen Gesundheitsmanagement geht die Tendenz dahin, bei bestimmten Themen, z.B. Work-Life-Balance, männerspezifische Angebote zmachen. Wir stellen fest, dass sich Männer eher vertrauen und einen anderen Humor haben, wenn sie unter sich sind. Über den Humor entsteht auch eine Offenheit für die eigenen Schwächen und Ängsten. Und das öffnet die Tür für den weiteren Gesundheitsdialog.

Die psychische Gesundheit rückt stärker ins Blickfeld. Wie gehen Männer mit ihrer Psyche um?

Peter Kölln:
Männer reagieren eher körperlich und somatisieren länger. Das bedeutet zum Beispiel: ihre Rückenschmerzen und -verspannungen sind nicht selten eine Reaktion auf etwas Seelisches. Von ihren Sorgen geben die „Unterberichter“, wie ich sie bezeichne, wenig preis. Ich muss oftmals lange „bohren“, um an ihre Seele heranzukommen. Wichtig ist, sie nicht nur auf den Körper, sondern bewusst auch auf den Kopf anzusprechen, dabei auf Zwischentöne, die Mimik und den Händedruck zu achten. Auch wenn es dem Mann aufgrund seines Rollenverständnisses schwerfällt, über psychische Probleme zu sprechen, negiert er diese auch nicht. Viele sind dankbar, wenn sie sich mit ihrem kritischen Lebensereignis oder -phase – welches oftmals der Auslöser für ein psychisches Problem ist – jemanden anvertrauen können.

Stefan Buchner:
Wenn Männer psychisch erkrankt sind, verhalten sie sich auch im Betrieb oftmals gereizt und aggressiv, was in Niedergeschlagenheit und Depressivität umschlagen kann. Fehlzeiten nehmen zu und im schlimmsten Fall kommt es zum Totalausfall des Mitarbeiters. Das Problem ist: Für viele Männer sind psychische Probleme reine Privatsache. Daher vertrauen sie sich in einem solchen Fall auch selten ihrem Vorgesetzten an. Dahinter steckt oft auch die Befürchtung, dass ihnen zum Beispiel Steine für den nächsten Sprung auf der Karriereleiter in den Weg gelegt werden. Dem Mitarbeiter Rückhalt zu geben und Unterstützungsmöglichkeiten anzubieten, wäre ein wichtiges Signal. „Führen in Teilzeit“ sollte auch für Männer möglich sein und trägt nicht zuletzt auch zu einer guten Unternehmenskultur bei.


Führungskräfte sollten auf psychische Probleme ihrer Mitarbeiter achten. Wie sollte man sie dabei unterstützen?

Peter Kölln:
Suchtprobleme beispielsweise treten in Betrieben immer wieder auf. Sie werden zwar von Führungskräften sehr wohl wahrgenommen, doch wissen sie oftmals einfach nicht, wie sie das Problem ansprechen sollen. Ich vermittle den Führungskräften: Traue Deinem Bauchgefühl, drücke Dich nicht vor dem Gespräch und biete Deine Hilfe an. Gerade männliche Mitarbeiter sind oftmals dankbar, wenn sie sich endlich mitteilen können. Für Führungskräfte ist die Erkenntnis wichtig, dass sie nicht zum Hobby-Therapeuten werden müssen. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, den betroffenen Mitarbeiter an entsprechende Experten, zum Beispiel Ärzte und Therapeuten in Suchtkliniken, zu vermitteln. 

Stefan Buchner:
Sensibilität für die eigene Psyche zu entwickeln ist die Voraussetzung dafür, dass man psychische Probleme seiner Mitarbeiter wahrnimmt. Haben Führungskräfte ein solches Problem erkannt, geht es im nächsten Schritt darum, ihnen ein Basiswissen zu vermitteln: Woran erkenne ich zum Beispiel eine Angststörung oder ein Alkoholproblem, und wann muss ich eingreifen? In unseren Trainings simulieren wir für diese Fälle Mitarbeitergespräche und machen Rollenspiele. So gewinnt die Führungskraft an Sicherheit, unangenehme Themen anzusprechen und richtig zu reagieren. Ganz wichtig ist auch das Thema, was man vorbeugend tun kann: Saisonale Ruhephasen im Betrieb für die Regeneration der Mitarbeiter zu nutzen, ist hier nur ein Beispiel.

Das Interview führte Annette Neumann.

Programmbereich: Arbeitsschutz