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Richter: „Informationsflut, Zeitdruck und Multitasking sind ein Problem” (Foto: Privat)
Nachgefragt bei: Dr. Götz Richter (BAuA)

Richter: „Mitarbeiterorientierte Arbeitsgestaltung und Wirtschaftlichkeit müssen vereint werden“

ESV-Redaktion Arbeitsschutz
18.04.2018
Produktionsunternehmen stehen heute vor der Herausforderung, mit alternden Belegschaften wettbewerbsfähig zu bleiben. Die ESV-Redaktion sprach mit dem Sozialwissenschaftler Dr. Götz Richter über Perspektiven für alter(n)sgerechte Arbeitsgestaltung sowie adäquate Arbeitsbedingungen für die Zielgruppe 50plus.
Produktionsunternehmen stehen heute vor der Herausforderung, mit alternden Belegschaften wettbewerbsfähig zu bleiben. Welche Perspektiven liefert die Arbeitsforschung für eine alter(n)sgerechte Arbeitsgestaltung?

Götz Richter:
Die Arbeitsforschung bietet Analysen und Instrumente, um die Veränderungsrichtung und Dynamik der Arbeitsanforderungen und Belastungen zutreffend zu bewerten. Sie legt nahe, dass wir ein ganzheitliches Vorgehen brauchen, um Antworten auf Demografie und Digitalisierung zu finden und den Produktionsstandort Deutschland auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu halten. Entscheidend dafür ist das besondere Potenzial alternder Belegschaften zu erkennen und im Arbeitsprozess zu nutzen. Die Basis dafür ist das Verständnis, dass mitarbeiterorientierte ergonomische Prozess- und Arbeitsgestaltung sowie Wirtschaftlichkeit miteinander vereint werden müssen und können.

Die Altersforschung zeigt aber auch die Bedeutung des Themas. Zum einen ist Altern beeinflussbar, auch und gerade im Betrieb: Eine alter(n)sgerechte, belastungsarme, ergonomische und individuelle Arbeitsgestaltung kann die Leistungsfähigkeit langfristig sichern. Dann hat Altern positive Effekte: Mit dem Alter wachsen Ressourcen wie Erfahrung, Empfindung, Verantwortung und Erinnerung. Die Arbeit in altersgemischten Teams und lebenslanges Lernen fördern diese Kompetenzen. Schließlich führt die Befassung mit dem Thema Altern und Arbeit Betriebe und Beschäftigte dazu, eine erwerbsbiographische Perspektive einzunehmen. Das bedeutet nicht nur die akuten Folgen von Anforderungen und Belastungen zu betrachten, sondern auch anzuerkennen, dass sich im Erwerbsverlauf neben Ressourcen auch Belastungen aufbauen können.

„Prävention macht Beschäftigte zufriedener”

Diese langfristige Perspektive unterstreicht die positiven Potenziale der Prävention in der Arbeitswelt. Prävention hält Beschäftigte nicht nur fit, sie macht sie auch zufriedener: Zwei Drittel der Mitarbeitenden mit mindestens einer gesundheitsfördernden Maßnahme im Betrieb würden dort gern bis zur Rente bleiben, bei Mitarbeitenden ohne solch eine Maßnahme sind es gut die Hälfte. Gerade Beschäftigte über 50 Jahre schätzen diese Angebote. Das zeigt der Monitor „Sozialer Wandel und mitarbeiterorientierte Unternehmensführung“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

In vielen Betrieben sind nicht alternde Belegschaften, sondern die Arbeitsbedingungen das Problem. Welche Ansatzpunkte bieten sich hier an?

Götz Richter: Nicht das zunehmende Durchschnittsalter der Belegschaften an sich ist problematisch, sondern die damit vielfach verbundenen jahre- oder jahrzentelangen Expositionszeiten können zu Gesundheits- und Leistungseinschränkungen führen. Langfristig negativ wirksame belastende Arbeitsbedingungen sind z.B. körperliche Belastungen durch langes Stehen, schweres Heben, verdrehte Körperhaltungen oder Lärm und schlechte Beleuchtung gefährden die Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Unternehmen, vor allem KMU, berücksichtigen diese Belastungen und die besonderen Bedürfnisse älterer Beschäftigte noch zu wenig. Doch auch psychische Belastungen nehmen mit den Umbrüchen in der Arbeitswelt durch Informationsflut, Zeitdruck und Multitasking zu.

Hier gilt es diese Belastungen zu identifizieren und abzubauen sowie eine lern-, persönlichkeits- und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung zu ermöglichen. Ob und wie die Digitalisierung von Arbeitsprozessen hilft, diese Ziele zu erreichen muss sich noch erweisen. Das technologische Potenzial scheint vorhanden zu sein: Assistenzsysteme können Menschen bei der Arbeit sowohl physisch als auch mental beispielsweise durch Mensch- Roboter-Kollaboration entlasten, adaptive Arbeitssysteme oder autonome Transportsysteme können ebenfalls zur ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen beitragen.

Wie sollte vorgegangen werden, um passende Maßnahmen für die Zielgruppe der 50-Plus-Produktionsarbeiter zu entwickeln?

Götz Richter: Die Herausforderung, anspruchsvolle betriebliche Leistungsziele mit alternden Belegschaften zu erreichen, muss an drei Punkten ansetzen.

1. Es bedarf genauer Analysen, um die Veränderungsrichtung und Dynamik der Arbeitsanforderungen und Belastungen zutreffend einzuschätzen.
2. Müssen Bedingungen und Ausprägungen des Alterns hinsichtlich tätigkeitsspezifischer Gestaltungsanforderungen differenziert betrachtet werden.
3. Beides zusammen mündet in Konzepte und Maßnahmen einer alterns- und altersgerechter Arbeit.

Ziel ist ein fairer Lastenausgleich, der auch gesundheitliche Risiken Jüngerer mindert. Diese profitieren von einer präventiven und erwerbsbiographisch ausgerichteten Arbeitsgestaltung sogar stärker als bereits heute Älteren.

Wie kann der Transfer der Forschungsergebnisse in die betriebliche Praxis gelingen?

Götz Richter: Im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit haben die Fachkreise Demografie und Produktion vor kurzem das Buch „Produktionsarbeit in Deutschland – mit alternden Belegschaften” erarbeitet und herausgegeben. Das Buch beschreibt Chancen und Herausforderungen beim Einsatz älterer Beschäftigter in der Produktion.

Es präsentiert Vorschläge, wie die Arbeit gesund und kompetent gestaltet werden kann, so dass älter werdende Arbeitnehmer länger in der Produktionsarbeit verbleiben können. Es hat den Charakter eines Handbuchs und ist an die Zielgruppe Fachkräfte für Arbeitssicherheit/ Führungskräfte/Personalwesen adressiert. Die Themen sind so fokussiert, dass sie das Handeln anleiten. Ausgehend von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen werden Lösungen für konkrete Belastungssituationen vorgestellt. Herausgeber und Autor/innen stehen Unternehmen und Multiplikatoren gerne unterstützend zur Verfügung.

Zur Person
Dr. Götz Richter, Diplom-Sozialwissenschaftler, Promotion zum Dr. rer. pol., war seit 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Seit Mai 2015 ist Richter Mitglied der strategischen Geschäftsführung der „Initiative Neue Qualität der Arbeit“.

Produktionsarbeit in Deutschland - mit alternden Belegschaften

Herausgegeben von: Dr. Götz Richter, Dr. Christoph Hecker, Dr. Andreas Hinz

  • Das Buch beschreibt Chancen und Herausforderungen beim Einsatz älterer Beschäftigter in der Produktion.
  • Es präsentiert Vorschläge, wie die Arbeit gesund und kompetent gestaltet werden kann, so dass älter werdende Arbeitnehmer länger in der Produktionsarbeit verbleiben können.
  • Es hat den Charakter eines Handbuchs und ist an die Zielgruppe Fachkräfte für Arbeitssicherheit/Führungskräfte/Personalwesen adressiert.
  • Die Themen sind so fokussiert, dass sie das Handeln anleiten. Ausgehend von aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen werden Lösungen für konkrete Belastungssituationen vorgestellt.

(ESV/ck)

Programmbereich: Arbeitsschutz