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Auslandsentsendung unfallversicherungsrechtlich komplex (Foto: Lee Aik Soon - unsplash.com)
Unfallversicherung und Recht

Unfallversichert auch bei Auslandseinsätzen?

Eberhard Jung
15.02.2017
Prof. Jung erläutert in diesem Beitrag den Umfang des Unfallversicherungsschutzes für Personen, die im Rahmen ihrer Beschäftigung in ein Gebiet außerhalb Deutschlands entsandt werden.
Die Vorschriften des deutschen Unfallversicherungsrechts, also insbesondere das SGB VII, gelten unter den Voraussetzungen der „Ausstrahlung“ nach § 4 SGB IV auch für Personen, die im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb Deutschlands entsandt werden, „wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist“. Spezielle Erläuterungen zu dieser vom Wortlaut her sehr weit gefassten Vorschrift enthält die „Gemeinsame Verlautbarung des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Bundesagentur für Arbeit und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zur versicherungsrechtlichen Beurteilung entsandter Arbeitnehmer“ mit Stand vom 18.11.2015 (vgl. außerdem das von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) herausgegebene Merkblatt „Gesetzliche Unfallversicherung bei Entsendung ins Ausland“, Stand: März 2015).

Wie beispielsweise das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17.12.2015 – B 2 U 1/14 R – belegt, erweist sich die Anwendung des § 4 SGB IV in der Praxis nicht immer als einfach. Dem Urteil des BSG lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Ein Zoo in Deutschland hatte mit einem Tierpark in Vietnam, dem Endangered Primate Rescue Center (EPRC) im Cuc Phuong Nationalpark, eine schriftliche Vereinbarung getroffen, wonach ein Tierpfleger aus Deutschland vom 1.1. bis zum 31.12.2009 in Vietnam mit dem Ziel, die Arbeit der dortigen Station zu unterstützen und heimische Pfleger zu schulen, tätig sein sollte. Der deutsche Zoo leistete dafür eine Zahlung in Höhe von 12.000 Euro, für die korrekte Abwicklung der Bezahlung des Tierpflegers sollte das EPRC verantwortlich sein. Nach Ablauf des Jahres sollte der deutsche Zoo über die Fortsetzung der Zusammenarbeit entscheiden. Mit dem Tierpfleger, angestellt durch Arbeitsvertrag vom 21.5.2008, war am 11.12.2008 eine Freistellungsvereinbarung getroffen worden. Danach sollte während der Freistellung das Arbeitsverhältnis mit dem deutschen Zoo ruhen und der Tierpfleger sollte für das Jahr 2009 keine Entgeltansprüche in Verbindung mit seinem deutschen Arbeitsvertrag gegenüber dem deutschen Zoo geltend machen können, auch sollten der Freistellung betriebliche Interessen nicht entgegenstehen.

Am 10.11.2009 erlitt der Tierpfleger während einer Exkursion zum Auffinden geeigneter Futterpflanzen für laubfressende Affen einen Unfall, in dessen Folge ihm das linke Bein zu einem Drittel amputiert werden musste. Der für den deutschen Zoo zuständige Unfallversicherungsträger lehnte mit Bescheid vom 11.12.2009 /Widerspruchsbescheid vom 11.6.2010 die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Eine hiergegen erhobene Klage wurde vom Sozialgericht Gießen mit Urteil vom 6.5.2011 – S 1 U 112/10 – abgewiesen. Demgegenüber ging das Hessische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 17.9.2013 – L 3 U 167/11 – davon aus, dass der Verletzte einen nach deutschem Recht entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall erlitten habe. Die Voraussetzungen einer Ausstrahlung nach § 4 SGB IV seien erfüllt gewesen. Zwar habe nach den vorhandenen schriftlichen Unterlagen nur noch ein Rumpfarbeitsverhältnis mit dem deutschen Zoo vorgelegen, das in der Regel keine genügende Grundlage für die Annahme einer Entsendung darstelle, entscheidend sei jedoch nicht die Schriftform sondern die tatsächlich gelebte Praxis. Im vorliegenden Fall hätten die faktischen Verhältnisse für eine über ein bloßes Rumpfarbeitsverhältnis hinausgehende fortbestehende enge Verknüpfung mit dem (deutschen) inländischen Beschäftigungsverhältnis gesprochen. Schließlich sei auch die Zahlung der 12.000 Euro nach Vietnam zweckgebunden zugunsten des Tierpflegers erfolgt.

Das BSG hat in seinem Revisionsurteil vom 17.12.2015 (s. o.) das Urteil des LSG vom 17.9.2013 (s. o.) aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen. Zur Begründung hat das BSG erklärt, dass die bislang festgestellten Tatsachen für eine abschließende Entscheidung noch nicht ausreichten. So sei zunächst einmal nicht ermittelt worden, ob vor dem Auslandsaufenthalt tatsächlich ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem deutschen Zoo bestanden habe, das dann durch die Tätigkeit in Vietnam lediglich unterbrochen worden sei. Zwar komme bei einer Entsendung neben den schriftlichen Regelungen auch den faktisch gelebten Verhältnissen eine besondere Bedeutung zu, diese müssten aber eindeutig belegt werden können (Eingliederung in einen fremden Betrieb, Fortbestehen des Weisungsrechts (auch) des deutschen Zoos während der Zeit der Entsendung, Ermittlung des Schwerpunktes des Beschäftigungsverhältnisses, Vergütungsanspruch gegenüber dem deutschen Zoo, Handeln als Beschäftigter im Zeitpunkt des Unfalls).

Sowohl das LSG als auch das BSG beziehen sich beide in ihren Entscheidungen mehrfach auf das Urteil des BSG vom 5.12.2006 – B 11a AL 3/06 R -, in dem eine Konkretisierung der Merkmale vorgenommen worden war, die gegeben sein müssen, um bei tatsächlicher Arbeitsleistung im Ausland von einem weiter bestehenden Beschäftigungsverhältnis mit dem entsendenden inländischen Arbeitgeber und damit den Voraussetzungen der Ausstrahlung im Sinne von § 4 SGB IV ausgehen zu können. Betroffen von dieser zur Bewilligung von Arbeitslosengeld ergangenen Entscheidung war ein in Deutschland von 1985 bis 1992 bei einer AG versicherungspflichtig Beschäftigter, der ab 1.7.1992 als „Vice President Marketing und Sales“ in die USA versetzt worden war, dort bis 1997 gearbeitet hatte und dann nach einer weiteren Tätigkeit bei der deutschen AG im Anschluss an seine Kündigung im Jahr 1998 arbeitslos geworden war. Nach den grundlegenden Ausführungen des BSG in diesem Urteil bedarf es neben einer genauen Aufklärung der gegenseitigen Abhängigkeiten der beiden in- und ausländischen Unternehmungen einer speziellen Prüfung der Frage, wo sich bei dem Betroffenen der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale seines Beschäftigungsverhältnisses befunden hat (mit der Ermittlung aller Einzelumstände zu Eingliederung, Weisungsabhängigkeit und Entgeltzahlung). Wie das BSG u. a. bereits in seinem Urteil vom 10.8.1999 – B 2 U 30/98 R –, das den Tod eines in einem Stahlwerk in Venezuela tätigen technischen Beraters betraf, festgestellt hatte, unterliegen Personen, die ausschließlich für eine Verwendung im Ausland eingestellt werden, in keinem Fall den Ausstrahlungsregelungen des § 4 SGB IV.

Wie im Übrigen das Urteil des BSG vom 19.12.2013 – B 2 U 14/12 R – zeigt, sollten vor einem Aufenthalt im Ausland nicht nur die arbeitsvertraglichen Details geregelt werden, es sollten auch alle unfallversicherungsrechtlichen Aspekte geklärt sein. Wird dies versäumt, können später Schadenersatzansprüche in Betracht kommen oder auch die Geltendmachung eines „sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs“: Ein in Deutschland für ein Bauprojekt in Kasachstan für zwei Jahre angestellter Montageleiter war dort am 2.12.2009 auf einem Weg zur Baustelle verunglückt und hatte sich eine Sprunggelenksfraktur zugezogen. Der für die Firma zuständige deutsche Unfallversicherungsträger war davon ausgegangen, dass kein Fall einer Ausstrahlung vorgelegen habe. Dieser Auffassung hatte sich das BSG in seinem Urteil vom 19.12.2013 (s. o.) angeschlossen, das auch noch geprüft hatte, ob der Verletzte möglicherweise einen Herstellungsanspruch hätte geltend machen können. Das wäre der Fall gewesen, wenn der Verletzte oder dessen Arbeitgeber von dem Versicherungsträger nicht ausreichend über die unfallversicherungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, wie z. B. den Abschluss einer speziellen Auslandsunfallversicherung, beraten worden wären. Unfallverletzten würde dann ein Anspruch gegen den Unfallversicherungsträger auf Herstellung des Zustandes zustehen, der bestehen würde, wenn sie zutreffend informiert worden wären (vgl. zu diesem Urteil Jung, BPUVZ 2014, S. 424 f.).

Praxishinweis:
Eine Entsendung im Sinne von § 4 SGB IV setzt eine nur vorübergehende Betätigung im Ausland voraus, mit fortwirkendem Schwerpunkt der Tätigkeit in Deutschland. In jedem Entsendungsfall ist aber zunächst zu prüfen, ob diese Vorschrift überhaupt in Betracht kommt und ob nicht überstaatliches Recht (insbesondere die EG-Verordnung Nr. 883/2004 und die Durchführungsverordnung Nr. 987/2009) oder zwischenstaatliche Sozialversicherungsabkommen heranzuziehen sind. § 4 SGB IV kann nämlich bei Entsendungen in Staaten, gegenüber denen die Bundesrepublik Deutschland durch zwischenstaatliche Übereinkommen oder durch überstaatliches Recht gebunden ist, nicht angewendet werden. Für das Unfallversicherungsrecht sind außerdem die Sonderregelungen des § 2 Abs. 3 SGB VII zu beachten, die die Heranziehung des deutschen Rechts auf bestimmte Personengruppen, wie beispielsweise Entwicklungshelfer, festlegen.

Das am 17.12.2015 ergangene Tierpfleger-Urteil des BSG (s. o.) zeigt für den Fall einer direkten Anwendung von § 4 SGB IV, dass im Einzelfall sämtliche (arbeits-) vertraglichen Regelungen genau geprüft werden müssen. Dies betrifft einmal die Frage, ob überhaupt ein Beschäftigungsverhältnis der verletzten Person bestanden hat oder ob diese selbständig tätig war. Sodann muss geklärt werden, mit wem dieses Beschäftigungs-/Arbeitsverhältnis bestanden hat (mit einem entsendenden Arbeitgeber oder mit einem Arbeitgeber im Ausland), ob und mit welcher Dauer eine zeitliche Befristung vereinbart war, ob und wie es zur Eingliederung in einen Betrieb gekommen ist, wer weisungsbefugt gewesen war und wer für die Zahlung des Arbeitsentgelts in Betracht kam. Auch muss ermittelt werden, für wen die verletzte Person im Zeitpunkt unmittelbar vor dem Unfall tätig sein wollte (objektivierte Handlungstendenz). Geprüft werden sollten möglicherweise auch die Voraussetzungen für das Bestehen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (s. o.).

Für die Bejahung der Ausstrahlung eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses ins Ausland genügt ein bloßes Rumpfarbeitsverhältnis in Deutschland nicht.

Prof. Dr. jur. Eberhard Jung ist Hochschullehrer am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Gießen und unterrichtete an der Ärzteakademie der Landesärztekammer Hessen, Bereich Arbeits- und Sozialmedizin. Außerdem war Prof. Jung viele Jahre lang Verwaltungsdirektor bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft und Dozent an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Fachbereich Sozialversicherung.


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