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Telefonieren auf dem Heimweg unfallversichert? (Foto: Erik Lucatero/Unsplash)
Unfallversicherung und Recht

Wann ist das Telefonieren (Handy, Festnetz) unfallversichert?

Eberhard Jung
07.02.2019
Der Grundsatz ist einfach: Privates, eigenwirtschaftlich motiviertes Telefonieren steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Ist aber ein Betriebsbezug gegeben bzw. erfolgt das Telefonieren im Zusammenhang mit einer versicherten Tätigkeit, dann besteht Unfallversicherungsschutz. Dazu bietet die Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt am Main ein aktuelles Beispiel.
In diesem Fall war es um folgenden Sachverhalt gegangen: Eine 57-jährige, in Frankfurt am Main als Etagenhausdame beschäftigte Hotelangestellte hatte sich am 4.9.2015 auf dem Nachhauseweg befunden, war aus der U-Bahn ausgestiegen und hatte – mit ihrem Handy am Ohr – auf einem dort befindlichen Fußgängerüberweg die Gleise überschreiten wollen, als sie von der Bahn erfasst und zu Boden geschleudert worden war. Die Ampelanlage hatte für den U-Bahnfahrer „grün“ und für die Fußgängerin „rot“ gezeigt. Sie hatte dabei diverse Verletzungen im Kopfbereich, eine Hirnblutung und eine Knochenfraktur an ihrer linken Hand erlitten. Vom 4. bis zum 21. 9.2015 hatte sie sich in stationärer Behandlung befunden, vom 25.9. bis zum 27.11.2015 in stationärer neurologischer Behandlung in einem Reha-Zentrum. Der zuständige Unfallversicherungsträger hatte das Unfallereignis mit Bescheid vom 2.8.2016/ Widerspruchsbescheid vom 25.11.2016 nicht als Arbeitsunfall anerkannt, da der Unfall wesentlich durch das (unversicherte) Telefonieren und nicht durch den (versicherten) Heimweg verursacht worden sei.

Diese Auffassung vertrat dann auch das Sozialgericht Frankfurt am Main in seinem Urteil vom 18.10.2018 (s. o.), in dem es ganz im Sinne der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Voraussetzungen für die Anerkennung bzw. Nichtanerkennung eines Arbeits-/Wegeunfalls nach § 8 SGB VII prüfte (u. a. unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R -). So sei es für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls erforderlich, dass die Verrichtung der versicherten Person zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sei (innerer oder sachlicher Zusammenhang). Das Verletzungsereignis müsse dabei mit Vollbeweis festgestellt werden (also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit), während für die Ursachenzusammenhänge die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreiche, wenn also den für einen Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukomme. Im vorliegenden Fall sei durch Zeugenaussagen und Videobeweis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Verletzte zwei Verrichtungen gleichzeitig ausgeübt habe, sie sei auf dem direkten Weg nach Hause gewesen (versichert), habe dabei aber auch mit ihrem Handy telefoniert (unversichert). Bei solchen untrennbar miteinander verbundenen Verrichtungen, einer sog. „gemischten Tätigkeit“, komme es darauf an, welche Verrichtung als „Wirkursache“ rechtlich wesentlich den Gesundheitserstschaden verursacht habe. Entscheidend sei dabei, ob sich ein Risiko verwirklicht habe, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand Schutz gewähren solle. Das Gericht vertrat hierzu die Ansicht, dass zwar beide Verrichtungen im Zusammenhang mit dem Unfallereignis gestanden hätten, dass der Unfall aber nicht auf den versicherten Heimweg zurückzuführen sei, sondern auf das private bzw. eigenwirtschaftliche Telefonieren. Die Verletzte sei durch ihr Handy komplett abgelenkt gewesen, sie sei zunächst auf dem Bahnsteig „gemütlich entlang geschlendert“, habe dann ganz plötzlich in spitzem Winkel ihre Laufrichtung geändert und sei direkt in die anfahrende U-Bahn gelaufen, auch ohne wahrzunehmen, dass weitere Passanten am Überweg gestanden und gewartet hätten.

Wie eine weitere Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt am Main (Urteil vom 23.11.2017 – S 8 U 47/16 - ) belegt, ist auch bei Festnetz-Telefonaten genau zu prüfen, ob ein betrieblicher bzw. dienstlicher Zusammenhang besteht, oder ob es um rein privates, eigenwirtschaftliches Handeln geht. In diesem Fall hatte eine 62jährige städtische Behindertenvertreterin auf Veranlassung ihres Arbeitgebers an einer Konferenz zum barrierefreien Bauen teilgenommen. Während der vom 17. bis zum 19. 6.2015 stattfindenden Veranstaltung hatte die Frau in einem Hotel am Tagungsort gewohnt. Mit Genehmigung ihres Arbeitgebers hatte sie am 20.6.2015 von dort abreisen wollen, um direkt anschließend in den Urlaub nach Portugal zu fliegen, der Rückflug nach Frankfurt am Main war für den 2.7.2015 gebucht worden. Als die Behindertenvertreterin am 20.6.2015 gegen 13.00 Uhr ein Taxi zur Fahrt zum Flughafen hatte rufen wollen, war sie in ihrem Hotelzimmer auf dem Weg zum Telefon gestürzt und hatte sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Der zuständige Unfallversicherungsträger hatte mit Bescheid vom 24.8.2015/Widerspruchsbescheid vom 2.2.2016 die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall abgelehnt, die Dienstreise habe am 19.6.2015 geendet, ein innerer Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit sei daher am 20.6.2015 nicht mehr gegeben gewesen.

Das Sozialgericht vertrat in seinem Urteil vom 23.11.2017 (s. o.) ebenfalls die Auffassung, dass die Verletzte mit ihrem Sturz zwar einen Unfall und dadurch unstreitig einen Gesundheitserstschaden erlitten habe, dass sie als Beschäftigte auch kraft Gesetzes versichert gewesen sei, dass aber ihre Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses – der Gang zum Telefon – nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. dazu beispielsweise das Urteil vom 18.11.2008 – B 2 U 31/07 – R) sei auch bei Dienstreisen zwischen Betätigungen zu unterscheiden, die mit dem Beschäftigungsverhältnis wesentlich zusammenhängen, und solchem Verhalten, das der Privatsphäre des Dienstreisenden zugehörig ist. Die Handlungstendenz im Unfallzeitpunkt sei eindeutig auf das eigenwirtschaftlich motivierte Telefonieren ausgerichtet gewesen, daher sei es auch ohne Belang, ob die Dienstreise schon am 19. oder erst am 20.6.2015 geendet habe, der Gang zum Telefon sei in jedem Fall auf ein privates Handeln ausgerichtet und daher nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst gewesen.

Praxishinweis:

Kommt es im Zusammenhang mit dem Telefonieren (Handy oder Festnetz) zu einem Unfall, ist genau zu ermitteln, ob das Telefonat privat oder dienstlich motiviert war. Im Fall der Behindertenvertreterin ergab sich eindeutig eine private bzw. eigenwirtschaftliche Handlungstendenz, trotz Dienstreise. Im Fall der Hotelangestellten war dagegen festzustellen, dass sich der Unfall sowohl auf dem versicherten Heimweg, als auch beim privaten Telefonieren ereignet hatte – zwei Verrichtungen: „gemischte Tätigkeit“. Hier war wie geschehen eine Zuordnung des Unfalls zum Privat- oder Betriebsbereich zu treffen. Zu beachten ist, dass es aber auch Fälle einer „gemischten Motivationslage bzw. gespaltenen Handlungstendenz“ gibt: Dann wird nur eine einzige Verrichtung ausgeübt, die aber gleichzeitig sowohl einen privatwirtschaftlichen als auch betrieblichen, auf die Erfüllung eines Versicherungstagbestandes gerichteten Zweck verfolgt. Eine solche Verrichtung mit gespaltener Handlungstendenz steht dann im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, wenn die konkrete Verrichtung auch dann vorgenommen worden wäre, wenn die private Motivation des Handelns entfallen wäre. Ein Beispiel dazu bietet das Urteil des BSG vom 9.11.2010 – B 2 U 14/10 R - : Ein mit der Verkehrsüberwachung beschäftigter städtischer Angestellter verrichtete nicht seine versicherte Tätigkeit, während er mit seinem Motorrad von einer Werkstatt zu seiner Wohnung fuhr, auch wenn er damit zugleich das Ziel verfolgte, zum nächsten beruflichen Einsatzgebiet zu gelangen, hier überwog die private Motivation der Fahrt zur Wohnung (weitere Abgrenzungsbeispiele: Urteile des BSG vom 18.6.2013 – B 2 U 7/ 12 R – und vom 26.6.2014 – B 2 U 4/13 R -).

Die Klägerin hat sich sowohl auf dem Heimweg und damit versichert fortbewegt als auch eigenwirtschaftlich und damit unversichert telefoniert.


Der Autor
Prof. Dr. jur. Eberhard Jung unterrichtete viele Jahre lang am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Gießen und an der Ärzteakademie der Landesärztekammer Hessen, Bereich Arbeits- und Sozialmedizin. Außerdem war Prof. Jung Verwaltungsdirektor bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft und Dozent an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Fachbereich Sozialversicherung.

Programmbereich: Arbeitsschutz