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Wirtschaftsstrafrecht: Kommentar mit Steuerstrafrecht und Verfahrensrecht

25.09.2017
Von Robert Esser/Markus Rübenstahl/Frank Saliger/Michael Tsambikakis. Verlag Dr. Otto Schmidt, 2017, Köln, 3789 Seiten, ISBN 978-3-504-40016-3, 299,00 Euro.
Von Robert Esser/Markus Rübenstahl/Frank Saliger/Michael Tsambikakis. Verlag Dr. Otto Schmidt, 2017, Köln, 3789 Seiten, ISBN 978-3-504-40016-3, 299,00 Euro.

I. 1. Mens sana, in corpore sano – der ERST verleiht dem Leitspruch über dem Eingang des Hörsaalgebäudes der Heidelberger Universität neue Aktualität. Seine Lektüre schult nicht nur den Geist, sondern stärkt auch Arm-, Bauch- und Rückenmuskeln: Das schwergewichtige Werk zwingt den Leser zum steten Austarieren seines Gleichgewichts, damit ihm das Buch nicht aus der Hand rutscht:

Handelt es damit bereits um ein Medizinprodukt? Anne Laurinat lässt in ihrer sehr systematisch angelegten Befassung mit Spezialgesetzen für den medizinischen Sektor schnell erkennen, wie wichtig für Ärzte juristische und umgekehrt, für Juristen medizinische Kenntnisse sind – wie sonst soll man die für Verkehrsfähigkeit, Werbung und Gestaltung maßgebliche Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten nach ihrer pharmakologischen, immunologischen oder metabolistischen bzw. – noch dazu nur: überwiegend – physikalischen oder physiochemischen Wirkungsweise vornehmen können (Rn. 20 f. vor §§ 95 ff. AMG und 5-12 vor §§ 40-43 MPG)? Die Lektüre ihrer Ausführungen zeigt: Der ERST ist jedenfalls kein Arzneimittel. Die Eignung zur Verhütung von Krankheiten (Rn. 5) könnte ihn jedoch als Medizinprodukt ausweisen. Abhängig ist das von der Zweckbestimmung des Herstellers. Der Nachforschung beim Otto-Schmidt-Verlag bedarf es jedoch nicht, denn die Zweckbestimmung folgt aus der Kennzeichnung, Gebrauchsanweisung und der Art, wie geworben wird (Rn. 8). Da weder Vorwort noch Umschlag auf die gegen Rückenschmerzen vorbeugende Wirkung hinweisen, bleibt das Buch ein nur Buch und ist nicht zusätzlich noch ein Medizinprodukt. Schade eigentlich, sonst könnte man sich den ERST vom Arzt auf Kosten der Krankenkasse verschreiben lassen!

2. Über 3.700 Seiten Wirtschaftsstrafrecht – knapp die Hälfte davon nehmen Ausführungen zum StGB (ca. 1.000 Seiten) und zur StPO (ca. 800 Seiten) ein. Allein Saliger beschäftigt sich auf etwa 180 kleingedruckten Seiten (aktualisiertes und z. T. komprimiertes update aus dem Matt/Renzikowski, 2013, S. 365-545) mit dem Betrug und auf weiteren gut 100 Seiten (nach dem großenteils wortgleichen SSW, 3. Aufl. 2017) mit der Untreue, S. 613-713, sowie weiteren Vermögensstraftaten, § 263a-265b StGB: S. 545-612; § 266a und b StGB: S. 713-748. Insgesamt erläutern 45 „Praktiker und beratungsnahe Hochschullehrer“ (so die Selbsteinschätzung im Vorwort) 88 Gesetze in 3 Teilen (Allgemeines – 2 Kapitel – und Besonderes – 12 Kapitel – Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Wirtschaftsverfahrensrecht) – und das in einer Weise, die sie weit überwiegend vor dem Vorwurf rein verteidigungsnaher „Lobbyarbeit“ bewahrt.

Werke zum Thema Wirtschaftschaftsstrafrecht gibt es zahlreiche. In den Erläuterungsbüchern zum materiellen Strafrecht und zum Strafprozessrecht bilden wirtschaftsbezogene Themen nicht selten Schwerpunkte. Manche Veröffentlichungen befassen sich nur mit bestimmten Gesetzen oder abgrenzbaren Bereichen, andere (Hand-)Bücher mit dem gesamten Wirtschaftsstrafrecht und seinem Umfeld. Bis 2016 gab es aber nur einen einschlägigen Gesamtkommentar zum Thema (Graf/Jäger/Wittig). Dessen Erscheinen in 2. Auflage Anfang diesen Jahres fällt zeitlich nahe mit den Erstauflagen des zweiten (Leitner/Rosenau) und dritten Gesamtkommentars (ERST) zum Wirtschaftsstrafrecht zusammen. Ob das Zufall ist oder nicht, sei dahingestellt – sie alle hatten jedoch mit der Kreativität des Gesetzgebers zu kämpfen und konnten doch nicht vermeiden, von der Aktualität der Veröffentlichung weiterer Gesetze im Bundesgesetzblatt bis zum Ende der Legislaturperiode überholt zu werden. Dankenswerterweise kündigte der Otto-Schmidt-Verlag an, alsbald eine gesonderte Kommentierung der grundlegenden Reform der Vermögensabschöpfung online zugänglich zu machen.

Das Neue am vorliegenden Kommentar beschreiben die Herausgeber mit seiner Systematik. Damit ist weniger der Aufbau der einzelnen Darstellungen gemeint als die äußere Ordnung, d.h. die Einteilung des Werkes insgesamt. Beleg dafür ist das Aufgreifen von als Ordnungswidrigkeit ahndungsfähigen Tatbeständen im Zusammenhang mit dem jeweiligen, auch Straftatbestände aufweisenden Rechtsgebiet (pars pro toto: 26 Gesetze Arbeitsstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht auf gut 150 Seiten, Esser, S. 1183-1341). Die Ausstattung ist komfortabel – 4 Bearbeiter- und Gesetzesverzeichnisse unter verschiedenen Gesichtspunkten, ein nach Sachgebieten unterteiltes allgemeines Literaturverzeichnis, ergänzt von Hinweisen auf Spezialliteratur vor Einzelgesetzen, bei den großen sogar vor einzelnen Paragraphen, dazu ein Abkürzungs- und mit knapp 40 Seiten solides Stichwortverzeichnis. Vor längeren Darstellungen finden sich Detailübersichten und die insgesamt 15 Kapitel sind auf der äußeren Papierschnittseite mit schwarzen Balken sichtbar gemacht. Die Praxisorientierung zeigt sich auch in der Gestaltung der Literaturhinweise: Etliche Autor(inn)en stellten nicht die Vollständigkeit in den Vordergrund, sondern wählten jeweils nur eine oder wenige repräsentative Fundstellen aus – ob es hier und da bessere gegeben hätte, ist eine Frage des Geschmacks, über den sich bekanntlich nicht streiten lässt. Einschlägige Rechtsprechung ist hingegen umfassend dokumentiert – eine sachgerechte und konsequent auf die Bedürfnisse der Praxis zugeschnittene Entscheidung.

II. 1. Der Europäisierung Rechnung tragend befasst sich Tine Schauenburg im Zuge der Kommentierung des Allgemeinen Teils des StGB intensiv mit dem örtlichen Anwendungsbereich wirtschaftsstrafrechtlich relevanter Tatbestände (S. 19-31). Rübenstahl erläutert die Personen- und Sachbegriffe des § 11 StGB (S. 31-46), gefolgt von Mansdörfers monographieähnlichen Darstellung des materiellen Tatbegriffs (S. 47-69) und der Unterlassungsdogmatik (S. 69-80). Trüg stellt § 14 StGB vor (S. 80-103), B. Gercke Regeln zur Strafzumessung (S. 172-187). Saliger/Schweiger (Rn. 10 zu § 78a StGB) belegen die Aktualität ihrer Darstellung zur Verjährung mit dem Hinweis auf die Entscheidung des BGH (NJW 2016, 1525 ff.) zur Beendigung von Insolvenzstraftaten natürlicher Personen erst mit Feststellung der Restschuldbefreiung. Andere Abschnitte werden vorgestellt von Esser, Eidam und Helen Schilling.

Die Kommentierung des Besonderen Teils des StGB eröffnet Rübenstahl mit der Befassung von Korruptionsdelikten (§ 108e StGB, S. 266-276; §§ 299-299b StGB zusammen mit Teubner, S. 824-875; §§ 331-335 StGB mit Ausnahme von § 335a StGB, S. 978-990, zusammen mit Hannah Milena Piel, S. 924-1005), gefolgt vom Daten-Strafrecht (M. Gercke, S. 276-321, 748- 752 und 875-884, sowie außerhalb des StGB S. 1539-1562). Das Insolvenzstrafrecht kommentieren Alexander Schork und Sonja Fingerle recht knapp (S. 752-788 und 1867-1909), das Wettbewerbsrecht Tsambikakis (S. 817-824), das Umweltstrafrecht Kubiciel (S. 884-923), weitere Tatbestände (außer bereits erwähnten) Mückenberger (vor §§ 257-262 StGB, S. 321-365) und Leimenstoll (§§ 284-287 und 291 StGB, S. 788-816).

2. Der Schwerpunkt der weitgehend aus der Feder von Engelhart stammenden Erläuterungen des Ordnungswidrigkeitengesetzes liegt auf dessen § 30 (Engelhart/Rübenstahl/Tsambikakis, S. 1065-1100) und 130 (Engelhart, S. 1161-1179). Es folgen Kapitel zum Arzneimittel- (Anne Laurinat, S. 1345-1452), Außenwirtschafts- (Nina Nestler, S. 1455-1536), Gesellschafts- (fast 300 Seiten, 1565-1863, aufgeteilt zwischen Lauterwein, Xylander, Tsambikakis und Christian Brand), Kapitalmarkt- und Kreditwesen- (Theile, mehr als 170 S., 1913-2087), Lebens- und Genussmittel- (Knierim, S. 2091-2165), Produkt- und Verbraucherschutz- (Lenz, S. 2169-2191) Steuer- (fast 450 S., 2195-2634 aufgeteilt zwischen Barbara Fleckenstein-Weiland, Rübenstahl, Gaede, Hunsmann, Bach und Güntge) Wettbewerbsund Kartell- (Kubiciel, Tsambikakis und Lenz, S. 2737-2792), sowie Urheber- und des Strafrechts des gewerblichen Rechtschutzes (Esser, S. 2637-2734). Dem Strafverfahrensrecht widmen sich Corsten, Güntge, Gerst, Kirch-Heim, von Saucken, Lena Santoro, Szesny, Friederike Goltsche, Bott, Dann, Münkel, Nuzinger, Teubner, Knierim, Sauer, Tine Schauenburg, Rübenstahl und Helen Schilling, S. 2795-3695).

III. 1. Sehr praxisfreundlich haben Piel/Rübenstahl in einem Anhang zu §§ 338 StGB Fallgruppen der Amtsträgerkorruption mit ausführlicher Dokumentation vor allem der Rechtsprechung zusammengestellt, S. 991-1005.

2. Verstöße gegen das AufenthG können auch im Zusammenhang mit Wirtschaftskriminalität auftreten. Es ist deshalb völlig sachgerecht, es (auszugsweise) im ERST zu erläutern. Dies geschieht nicht ohne inneren Grund im Kapitel über das Arbeitsstrafrecht (S. 1220-1235). Allerdings hätte es die Anwenderfreundlichkeit weiter gesteigert, hätte Esser die jeweilige Relevanz für den Arbeitssektor noch stärker herausgestellt. Seine Vorstellung des § 9 Schwarz- ArbG, Erschleichen von Sozialleistungen im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen (S. 1315 f.), stellt zu Recht das Verhältnis zum vorrangigen § 263 StGB in den Vordergrund (Rn. 4 und 7). Die Auffangfunktion gewinnt dort besondere praktische Bedeutung, wo die Quantifizierung des Betrugsschadens im sozialrechtlichen Gestrüpp aus verschiedenen Anträgen, unterbliebener Korrektur, unterschiedlicher Bemessungsgrundlage, (ggf. unzulässiger) Verrechnung mit Überzahlungen und Einfluss von Verhältnissen Dritter (z.B. Kinder, Bedarfsgemeinschaft) nicht (ohne weiteres) möglich ist.

3. Die Kommentierung des Insolvenzstrafrechts liegt in den Händen von Alexander Schork und Sonja Fingerle. Den für dies Thema eingeräumten Umfang könnte man im Vergleich zu anderen Erörterungen als etwas stiefmütterlich bezeichnen (S. 752-788; 1867-1909 – 18 Seiten davon sind allein schon § 97 InsO gewidmet, 11 weitere dem BauFordSiG). Zudem bleibt sowohl gestalterisch als auch inhaltlich durchaus noch Luft nach oben. Rn. 44-60 vor §§ 283 ff. StGB befassen sich gewiss nicht zu üppig mit den Krisenmerkmalen Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit. Darauf hätte (durchaus auch zugunsten weiterer Intensivierung) im Zuge der Insolvenzverschleppung (Rn. 23-29 zu § 15a InsO) verwiesen werden können. Insbesondere für Berater verdienstvoll ist allerdings der Hinweis, dass rechtzeitige Verlegung des wirtschaftlichen Schwerpunkts aus dem Anwendungsbereich deutschen Insolvenzrechts zur Straflosigkeit führen kann (Rn. 12 a.E. zu § 15a InsO).

a) Es gibt zwar Rechtsprechung in diese Richtung, gleichwohl wünscht man sich als Leser eine Erklärung dazu, wie ein nicht mehr im Amt befindlicher Geschäftsführer von Rechts wegen dafür Sorge tragen soll, dass ein Insolvenzantrag gestellt wird, (Rn. 11 a.E. zu § 15a InsO). In Rn. 1 und 14 wurde die (rechtsklärende) Existenz des seit 1.7.2014 gültigen § 15a Abs. 6 InsO (inzwischen: Abs. 7) nicht erwähnt. Die Darstellung des Einflusses des ESUG weist in Rn. 2 und 19 kleinere Differenzen auf. Rn. 21 könnte (ohne Berücksichtigung von Rn. 36 und 38) dahingehend verstanden werden, dass sich Gesellschafter in den Fällen des § 15a Abs. 3 StGB auch strafrechtlich hinsichtlich ihrer Unkenntnis von Führungslosigkeit oder Insolvenzreife exculpieren müßten. Zur Bedeutung eines Gläubigerantrags setzen Rn. 23 a.E. und Rn. 32 unterschiedliche Akzente. Bei all diesen Aspekten lässt sich zudem fragen, warum sie nicht jeweils an einer Stelle behandelt wurden.

Zur Hinweispflicht des Insolvenzgerichts bei unvollständigem Insolvenzantrag gibt es entgegen Rn. 34 mit Fn. 2 nicht nur Literaturstimmen, sondern auch Rechtsprechung, BGHZ 153, 205 ff. (deren Kodifizierung mit Wirkung vom 26.6.2017 konnte naturgemäß noch nicht berücksichtigt werden). Dass komplexe Rechtsfragen zum Tatbestandsirrtum führen können (Rn. 37 zu § 15a InsO), ist nicht falsch, aber doch präzisierungsbedürftig. Die pauschalierende Behauptung, die Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung verbrauche bei deren Fortsetzung die Strafklage nicht, blendet die dazu auf der Basis gegenteiliger Positionierung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, StraFo 2007, 369 f.) und des Bundesgerichtshofs (BGHSt 53, 24 ff.) geführte Diskussion aus (Rn. 42 zu § 15a InsO).

Fragen hinterlassen Literaturhinweise auf Weyand, Insolvenzdelikte, obwohl im allgemeinen Lizteraturverzeichnis zutreffend Weyand/Diversy angegeben werden und ohne nähere Erklärung aus dem Münchener Kommentar-StGB mal Kiethe/Hohmann und mal nur Hohmann zu § 15a Inso angegeben werden. Dazwischen liegen 5 Jahre – die Zweitauflage verantwortet Hohmann allein.

b) Deutlich engagierter stellt sich die Befassung mit § 97 InsO dar – zeigen sich die vertretenen Ergebnisse jedoch allzu sehr als Herzensangelegenheit, so ist das jedenfalls dann nicht unproblematisch, wenn die Auseinandersetzung mit ernsthaften Gegenargumenten unterblieb (Bedeutung des nach der InsO verabschiedeten JuMiG als Basis für die MiZi? Warum sollen falsche Auskünfte – wer entscheidet über die fehlende Richtigkeit und wie verhält sich das Prüfungsgebot zum in Rn. 27 und 33 befürworteten, auf eine Vorauswirkung gestützten Erhebungsverbot und dieses wiederum zur Ablehnung eines das Insolvenzgericht treffenden Offenbarungsverbots, Rn. 32? – einerseits strafbar, Rn. 60-66, andererseits aber mangels jeglicher in der Kommentierung erwähnter Einschränkung unverwertbar sein? Pflicht zur Erteilung falscher Auskünfte???).

aa) Für eine strafrechtliche Kommentierung ungewöhnlich ist es, sich mit dem § 97 InsO insgesamt, d.h. auch mit seinen rein insolvenzrechtlichen Implikationen zu befassen. Dieser das Verständnis des Lesers sehr förderlichen Tendenz folgend wäre es jedoch konsequent gewesen, auch den Text der häufiger in Bezug genommenen Ergänzungs- und Parallelnormen der InsO mitabzudrucken (z.B. §§ 20, 22 Abs. 3, 98, 101 und 274 InsO).

bb) Beschreibt man Anfangs- und Endpunkt des Zeitraums, über welchen hinweg Auskünfte zu erteilen sind (Rn. 7), so darf man für Letzteres auch hier einen Hinweis auf die zu § 78a StGB erwähnte strafrechtliche Entscheidung BGH NJW 2016, 1525 ff. erwarten. Bei Ersterem ist gewiss das Stellen des Antrags zu erwähnen. Ergänzend hätte es jedoch einer Befassung mit dem Erfordernis „richtiger“ Antragstellung bedurft. Ohne dessen Erfüllung, auf welche das Insolvenzgericht (wie erwähnt) hinzuwirken hat, stehen ihm die Zwangsmittel gerade noch nicht zur Verfügung.

cc) Völlig zu Recht beschreiben Schork/Fingerle die Erteilung von Auskünften als Bringschuld des Pflichtigen (Rn. 12). Dass deswegen auch die Geschäftsunterlagen unter das Insolvenzgeheimnis des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO fielen (Rn. 39; s.a. Rn. 13 und allg. 35-43 sowie 49), bleibt jedoch solange ein Kurzschluss, wie das Verhältnis zwischen Auskunft einerseits und Verwaltungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO; für Sicherungsmaßnahmen: § 21 InsO) nebst darauf aufbauender Mitwirkungspflicht gemäß § 97 Abs. 2 InsO andererseits nicht geklärt werden: § 97 Abs. 1 S. 3 InsO bezieht sich nicht auf § 97 Abs. 2 InsO (so auch Rn. 57).

Wenn aber auch Geschäftsunterlagen unter das Insolvenzgeheimnis fallen (sollen), wie kann dann die objektive Erfüllung der Pflicht zu ihrer Vorlage allein aufgrund des subjektiven Zwecks, das Verwendungsverbot entstehen lassen zu wollen, zu einem Missbrauch werden, der zur Verwertbarkeit führt (Rn. 43 a.E.)? In vergleichbarer Weise lässt sich fragen, aus welchem Grunde ein (neben § 97 Abs. 1 S. 3 InsO stehendes) Beweisverwertungsverbot eingreifen soll (Rn. 47), wenn man nicht der Rechtsprechung widerspricht (Rn. 9 sowie 44-48), die die Auskünfte gegenüber dem bloßen Insolvenzgutachter als freiwillig betrachtet, sie damit gerade nicht als in Erfüllung der Auskunftspflicht erteilt einstuft und folglich als verwertbar ansieht?

dd) Die unumgängliche nötige Ruhe hätte manche – sprachliche wie inhaltliche – Unebenheit vermieden. Für Auskünfte an sich selbst braucht der Insolvenzverwalter die vom Schuldner eingeschalteten Berufsgeheimnisträger wie z.B. den Steuerberater nicht erst von der Schweigepflicht zu befreien (Rn. 6); da § 274 Abs. 2 S. 2 über § 22 Abs. 3 direkt auf § 97 InsO verweist, wären Erwägungen entbehrlich gewesen, die den Leser rätseln lassen, ob die Anwendung der Regelungen über das sog. Insolvenzgeheimnis auf den Sachwalter gesetzlich vorgeschrieben ist oder lediglich von den Autoren befürwortet wird (Rn. 10); weil der Schuldner zur Auskunft verpflichtet ist, handelt es sich nicht lediglich um eine (nicht erzwingbare) „prozessuale Last“, Rn. 10 a.E.; die (modifizierte) Übernahme eines bereits veröffentlichten Textes (Rn. 22 erinnert sehr an Bader, NZI 2009, 516, 517) birgt die Gefahr, ein Fremdzitat als Aussage des Zitierten misszuverstehen (Rn. 25 mit Fn. 10 einerseits; Bader, NZI 2009, 516, 517 bei dortiger Fn. 22 andererseits; wenig hilfreich zudem, wenn in Rn. 26 mit Fn. 12 a.E. Bader mit seiner eigenen, gegenteiligen Auffassung zutreffend zitiert wird, sich das Ergebnis aber erst auf einer Folgeseite findet); Buchführung zu führen (Rn. 55) lässt sich eleganter ausdrücken.

4. Glanzstücke stellen demgegenüber C. Brands Kommentierungen der §§ 82 GmbHG, 399 AktG (S. 1607-1707) und §§ 84 GmbHG, 401 AktG (S. 1707-1719) dar. Die gewählte Technik kombinierter Befassung mit zwar parallelen, aber doch nicht deckungsgleichen und in einen unterschiedlichen gesellschaftsrechtlichen Kontext eingebetteten Vorschriften stellt eine große Herausforderung an den Autor dar. Brand bewältigt sie meisterhaft. Er arbeitet zunächst die Strukturen heraus, stellt dabei das Gemeinsame in den Vordergrund und weist anschließend auf etwaige Besonderheiten für die jeweilige Gesellschaftsform hin. In seiner sehr präzisen und gut verständlichen Sprache führt er auch den eiligen Praktiker schnell in die Thematik ein und gibt ihm die maßgeblichen Argumente an die Hand; zudem weist er den wissenschaftlich Interessierten auf zahlreiche weiterführende Quellen hin. Wiewohl er klar Position bezieht, verschweigt er unter Darlegung der Erwägungen, derentwegen er ihnen nicht folgt, keine Gegenargumente. Dieser Zuverlässigkeit wegen stellt die für die detaillierte Lektüre aufgewandte Zeit allemal eine lohnende Investition dar.

5. Aus der umfassenden Kommentierung zu § 370 AO sei hier nur die Darstellung der Folgen der Änderung der Rechtsprechung zum „großen Ausmaß“ mit Urteil des BGH vom 27.10.2015 (BGHSt 61, 28 ff.) herausgegriffen. Mit knappen, aber treffenden Worten verschafft Rübenstahl (S. 2372 f.) unaufgeregt selbst dem eiligen Leser einen zuverlässigen Überblick nicht nur über den Grund und das Ergebnis der aktuellen Position des Steuerstrafsenats, sondern auch über deren Auswirkungen (Rn. 481 f.). Dass Hunsmann (S. 2383-2461) fast 80 Seiten benötigt, um den Dschungel des verschärften Rechts der Selbstanzeige gemäß § 371 AO mit all seinen Fußangeln zu durchdringen, ist erschreckend – nein, nicht die bewundernswerte Leistung des Autors (es sei denn, man ließe sich von Eifersucht ergreifen), sondern die Vorstellung, man müsse sich als Betroffener diesen Anforderungen stellen, oder als Berater einen solchen Klienten dabei begleiten, ist es, die einen schaudern und die (rhetorische?) Frage stellen lässt, ob die nunmehrige Fassung wirklich noch den Erfolg des Weges zurück in die Legalität bezweckt.

6. Mit leichter Hand zeigt Kubiciel (S. 2737-2758) die Systematik des § 81 GWB ebenso auf wie das sich überlagernde Geflecht aus einerseits nur Unternehmen mit Sanktionen bedrohendem europäischem und andererseits nationalem Wettbewerbsrecht, das sich auf StGB, OWiG und GWB stützt und Verstöße sowohl von Unternehmen als auch natürlicher Personen zu ahnden vermag (Rn. 6-13). Allein schon die vorgestellten Anwendungsvoraussetzungen einzelner Tatbestände (Rn. 20 und passim) zeigen – unabhängig von der tatsächlichen Schwierigkeit der Feststellung tatbestandlicher Voraussetzungen – die Notwendigkeit von Spezialwissen auf. Das rechtfertigt die Existenz nicht nur des Bundeskartellamts, sondern auch der aus dem OWiG folgenden bundesweiten Zuständigkeit des OLG Düsseldorf für Rechtsmittel gegen Bußgeldbescheide des Bundeskartellamts. Wie bei jeder Konzentration auf eine Materie gilt es allerdings auch insoweit, der Gefahr einer allzu eingeschränkten Blickweise und damit der Überschätzung der Bedeutung der eigenen Aufgaben entgegenzuwirken.

IV. Ein neues Buch – ein faszinierender Ansatz, ein guter Beginn für eine hoffnungsvolle Zukunft. Das darin liegende Versprechen löst sich jedoch nicht von allein ein. Den Herausgebern ist der Mut zu wünschen, auch von den Autoren die Qualität zu verlangen, die sie selbst wie auch etliche Mitschreibende bereits jetzt zu bieten haben. Verlässliche, überzeugende Darstellungen kosten Zeit – und die stete Bereitschaft, den Text den sich ggf. rasch ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. Nötig ist zudem durchweg die von den meisten Verfassern bewiesene professionelle Distanz zur Materie. Nur sie gewährleistet die prinzipiell erforderliche Ergebnisoffenheit einer Darstellung, die Vertreter anderer Auffassungen zum Nachdenken veranlassen und – für Berater und Mandanten vielleicht noch wichtiger – die Anhänger der eigenen Ansicht vor unangenehmen forensischen Überraschungen bewahren kann.

Ein großer Wurf? Von der Idee, vom Ansatz und der verlegerischen Gestaltung des Werkes her: allemal! Dass er noch nicht ganz seine potentielle Weite erreicht, ist mit der Last weniger, aber unnötiger Pfunde zu erklären. Für die sicher folgende 2. Auflage ist zu wünschen, dass sie „abtrainiert“ werden. Das dürfte sich jedoch gut bewältigen lassen.

Manches Gebiet, die ein oder andere Vorschrift verlangt nach noch detaillierterer Befassung. Da zudem wohl kaum etwas eingespart zu werden vermag und die sich zum Ende der Legislaturperiode häufenden Änderungen im materiellen und formellen Strafrecht (z.B. im Sportrecht, zur Vermögensabschöpfung und sonstige Veränderungen der StPO; auch im OWiG, s. Netzwerkdurchsetzungsgesetz) zusätzlichen Platz beanspruchen werden, wird es den ERST wohl nicht nochmals einbändig geben. Die Aufteilung in mehrere Bände stellt keinen prinzipiellen Nachteil dar, hat jedenfalls dem Ansehen etwa des „Scholz, GmbHG“ nicht geschadet und bietet die Chance zur Verwendung eines Schrifttyps, der (wie dort) einem alten Mann wie dem Rezensenten den Gebrauch einer Lupe erspart.

Wird der eingeschlagene Weg konsequent fortgesetzt, so greift man mit Sicherheit noch lieber als schon in der Gegenwart zum ERST und wird er weite Verbreitung finden. Der Keim zu einem Standardwerk hat jedenfalls nicht nur Wurzeln geschlagen, sondern erlaubt bereits jetzt den Blick auf ebenso kräftig wie munter sprießende Äste.

Leitender Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, Dessau-Roßlau

Quelle: WiJ Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. Heft 3/2017

Programmbereich: Management und Wirtschaft