Auch beim Schreiben: Lernenden stärker in den Blick nehmen
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Beitrag von Stephanie Mock-Haugwitz darüber, wie schriftsprachliche Selbstverortung im beruflichen Kontext vor sich gehen kann, am Beispiel von Lebensläufen.
Einen Lebenslauf selbst erstellen
Das Lernziel lautet: Die Lernenden können einen Lebenslauf selbst erstellen. Im Lehrbuch wird zunächst der Lebenslauf einer fiktiven Person prä-sentiert. Der erste Schritt ist rezeptiv: Die Lernenden lesen den Lebenslauf und versuchen, ihn zu erfassen. Verstehenslücken werden geschlossen, die Textsorte betrachtet, der Aufbau analysiert usw. In einem zweiten, reproduktiv-produktiven Schritt wird den Lernenden beispielsweise ein Formular mit Rubriken (Persönliche Daten; Ausbildung; Berufserfahrung; Sprachen) an die Hand gegeben, welches es mit persönlichen Daten zu füllen gilt. In einem dritten Schritt schließlich wird dann erwartet, dass die Lernenden in der Lage sind, ihren eigenen Lebenslauf zu schreiben.Dieses Vorgehen führte während meiner Unterrichtspraxis häufig zu zwei Phänomenen, die beide für Lehrende wie Lernende unbefriedigend aus-fielen.
Nachgefragt bei: Dr. Sandra Reitbrecht | 27.05.2021 |
„Schreibenlernen als lebenslanger Prozess“ | |
Wir schreiben immer in Kontexten, sagt Dr. Sandra Reitbrecht im Interview mit der ESV-Redaktion. Lesen Sie hier, welche Kontexte es geben kann und was dieses Wissen für Lehr-Lernsituationen bedeutet. mehr … |
Phänomene bei den Lernenden
Das erste Phänomen: Der von einem*r Lernenden verfasste Lebenslauf scheint maßlos überladen mit Informationen. Zu dieser Überfrachtung kommt es, da Lernende durch im Unterricht präsentierte vorbildliche Lebensläufe das Gefühl haben, sie müssten mit möglichst zahlreichen Details und Kompetenzen aufwarten, um einem entsprechenden Anspruch auch nur annähernd gerecht werden zu können.Das zweite Phänomen: Der von einem*r Lernenden produzierte Lebenslauf fällt inhaltlich spartanisch aus – wichtige Daten und Informationen werden nur rudimentär angeführt oder fehlen gänzlich. Auch hier wurden Lernende durch im Vorfeld präsentierte Lebensläufe derart beeindruckt bzw. gehemmt, dass sich in Bezug auf die eigene Biografie lediglich Sprachlosigkeit einstellt.
Beide Phänomene haben gemeinsam, dass ein vorgegebener Text die Lernenden beeinflusst, indem Lehrwerke (und Lehrende) im Hinblick auf schriftsprachlich zu erfüllende Aufgaben den Fokus zunächst auf fremde statt auf selbst produzierte Texte der Lernenden legen. Gerade in Lehrwerken auf Anfängerniveau finden sich wenige methodisch-didaktische Empfehlungen zur Entwicklung der schriftsprachlichen Kompetenz, dafür hat die Nachahmung gelungener Texte Priorität (vgl. Ballweg 2008, 10). Die Folge liegt auf der Hand: Der mäßig erfolgreiche Versuch, einen fremden Text zu imitieren, statt einen eigenen Schreibansatz ausfindig zu machen und umzusetzen, führt zu Überforderung und Frustration.
Vom Lernenden zum Text denken
Deshalb lohnt es umzudenken: Wie sieht die Vermittlung von Schreibkompetenz aus, wenn wir sie nicht vom Text zum Lernenden, sondern vom Lernenden zum Text denken? Was geschieht, wenn wir Lernende stärker in den Blick nehmen und ihnen die Möglichkeit geben, sich zunächst auf die eigene Person zu konzentrieren und über oder von sich selbst zu schreiben, bevor wir uns Vorgaben und Texten anderer zuwenden?Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann lesen Sie hier weiter.
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