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Betrug mit Tankquittungen landet vor dem EuGH (Photo: Daniel Ernst / Adobe Stock)
Neues vom EuGH

Ausstellung von Scheinrechnungen durch Arbeitnehmer ohne Wissen des Arbeitgebers

ESV-Redaktion Steuern
29.09.2023
Vor dem EuGH werden derzeit Haftungsfragen bei der Mehrwertsteuer diskutiert. In einem polnischen Fall geht es darum, wer Schuldner der Mehrwertsteuer ist, wenn Mitarbeiter eines Unternehmens durch Erstellung fiktiver Rechnungen unter dem Namen des Unternehmens den Mehrwertsteuerbetrug eines Dritten unterstützt haben. Nun liegen die Schlussanträge der Generalanwältin vor.

Haftung für Steuerschulden aus unrichtigen Rechnungen

Die Haftung für Steuerschulden aus unrichtigen Rechnungen war bisher stets an ein eigenes Fehlverhalten des Unternehmens geknüpft. Bei der Beteiligung an einem Mehrwertsteuerbetrug eines Dritten war hingegen immer ein Fehlen der erforderlichen Sorgfalt im Hinblick auf die Erbringung von Umsätzen im Rahmen einer Umsatzkette notwendig. Hierfür wurde als ausreichend angesehen, wenn das Unternehmen hätte wissen müssen, dass es mit seinem Umsatz an einem Umsatz teilnahm, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war.

Erstellung unrichtiger Rechnungen durch Tankstellenmitarbeiter

In dem zugrundeliegenden polnischen Fall haben Tankstellenmitarbeiter weggeworfene Zahlungsbelege eingesammelt, daraus neue Rechnungen im Wege eines zweiten „Buchungssystems“ über die dort genannten Treibstoffmengen erstellt und an Interessenten verkauft. Die „Belege“ wurden von den Käufern für den Vorsteuerabzug bei der Mehrwertsteuererklärung für den Bezug von Treibstoff (der ja tatsächlich so nicht stattgefunden hat) und wohl auch für den Betriebsausgabenabzug im Rahmen der Ertragsteuererklärung genutzt. Es war dem polnischen Staat nicht möglich, bei den Betrügern den entstandenen Mehrwertsteuerschaden vollständig zu beheben. Daher hat die dortige Finanzverwaltung zusätzlich auf das Unternehmen zurückgegriffen, welches die eigenen Umsätze zwar ordnungsgemäß versteuert, dem Anschein nach jedoch die fingierten Rechnungen selbst erstellt hat.

Vorlagefragen an den EuGH

Der EuGH hat nun im Wesentlichen über folgende Fragen zu entscheiden: 

1. Ist in dem geschilderten Fall die Person, die die Mehrwertsteuer auf der Rechnung ausweist und die somit die Mehrwertsteuer schuldet, der Mehrwertsteuerpflichtige, dessen Angaben unrechtmäßig in der Rechnung verwendet wurden, oder der Arbeitnehmer, der in der Rechnung unter Verwendung der Angaben des Mehrwertsteuerpflichtigen unrechtmäßig die Mehrwertsteuer ausgewiesen hat? 

2. Ist es für die Bestimmung, wer als derjenige anzusehen ist, der die Mehrwertsteuer in der Rechnung ausweist und zur Entrichtung der Mehrwertsteuer verpflichtet ist, erheblich, ob dem Mehrwertsteuerpflichtigen, der den betreffenden Arbeitnehmer beschäftigt, die Nichteinhaltung der erforderlichen Sorgfalt bei der Aufsicht über den Arbeitnehmer vorgeworfen werden kann?

Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott

Die Generalanwältin Kokott äußert sich hierzu wie folgt: Es geht um die Auslegung von Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Diese Norm soll der Gefahr eines unberechtigten Vorsteuerabzugs des Rechnungsempfängers durch eine korrespondierende Steuerschuld des Rechnungsaustellers begegnen. Die Generalanwältin befindet, dass der scheinbare Aussteller einer Rechnung (hier: der Arbeitgeber) über fiktive Umsätze nur dann die dort ausgewiesene Steuer schuldet, wenn (1) der Vorsteuerabzug dem Rechnungsempfänger noch nicht versagt werden konnte, (2) ihm die Ausstellung der Rechnung durch einen Dritten aufgrund einer besonderen Verantwortung (bzw. Nähe) zuzurechnen ist und (3) er nicht gutgläubig war. Eine Gutgläubigkeit kann dabei nur bei eigenem Verschulden des scheinbaren Ausstellers ausgeschlossen werden. Dieses Verschulden kann im Fall eines Steuerpflichtigen auch in der schuldhaft fehlerhaften Auswahl oder Überwachung seiner Arbeitnehmer gesehen werden.

Näherer Betrachtung bedürfen nach Ansicht der Generalanwältin dabei insbesondere folgende Aspekte: Aussteller einer Rechnung i.S.d. Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie – Sinn und Zweck von Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie – Grenzen des Gefährdungstatbestandes – Notwendigkeit einer Gefährdung – subjektive Zurechnung – Zurechnung kriminellen Verhaltens eines Dritten bzw. von Arbeitnehmern (anhand des Maßstabs der Bösgläubigkeit) – Prinzip eines „Verbots von Betrug“ – Maßstab der Gutgläubigkeit im Rahmen von Art. 203 der Mehrwertsteuerrichtlinie.

Fundstelle: EuGH, Schlussanträge vom 21. September 2023 (C‑442/22), Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie (Fraude d’un employé)

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(ESV/cmx)

Programmbereich: Steuerrecht