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BayVGH: Die textliche Beschreibung und elektronische Tools reichen nicht aus, um den 15-km-Radius um den Wohnort aus eigener Wahrnehmung ausreichend zu konkretisieren (Foto: lukiv007 / stock.adobe.com)
Beschränkung des Bewegungsradius in Corona-Hotspots

BayVGH: 15-Kilometer-Regel für Corona-Hotspots in Bayern zu unbestimmt – Einreisesperre zulässig

ESV-Redaktion Recht
28.01.2021
Die 15-Kilometer-Regel, die den Bewegungsradius der Bürger in Corona-Hotspots einschränkt, beschäftigt die Gerichte weiter. Für Brandenburg wurde die entsprechende Regelung gerichtlich bestätigt, während sich die Verwaltungsgerichte in Hessen bisher nicht einig sind. Nun hat das oberste Verwaltungsgericht in Bayern die dortige Vorschrift gekippt.
Eingeführt hatte der bayerische Verordnungsgeber die Einschränkung des Bewegungsradius mit Wirkung zum 11.1.2021. Nach der Corona-Verordnung des Freistaats sollten Ausflüge in Corona-Hotspots in einem Radius von mehr als 15 Kilometern um den Wohnort verboten sein. Als Hotspots gelten Landkreise oder kreisfreie Städte, für die das Robert-Koch-Institut mehr als 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche gemeldet hat (7-Tage-Inzidenz). Gegen diese Regelung hatte sich unter anderem ein Anwohner aus Passau gewendet. Ein weiterer Gegenstand des Verfahrens war die Einreisesperre in Corona-Hotspots, die betroffene Kommunen verhängen dürfen. 

Im Wortlaut: § 25 Abs. 1 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 15. Dezember 2020 (11. BayIfSMV) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 15. Januar 2020 – Regelungen bei einer erhöhten Sieben-Tage-Inzidenz
(1) Wird in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt der nach § 28a Abs. 3 Satz 12 IfSG bestimmte Inzidenzwert von 200 Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten, so sind unbeschadet der §§ 2 und 3 touristische Tagesausflüge für Personen, die in dem betreffenden Landkreis oder der betreffenden kreisfreien Stadt wohnen, über einen Umkreis von 15 km um die Wohnortgemeinde hinaus untersagt. 2 Die zuständige Kreisverwaltungsbehörde hat die Überschreitung des Inzidenzwertes nach Satz 1 ortsüblich bekanntzumachen. (...)  4 Im Fall des Satz 1 können die zuständigen Kreisverwaltungsbehörden der betroffenen Landkreise oder kreisfreien Städte ferner anordnen, dass touristische Tagesausflüge in den Landkreis oder die kreisfreie Stadt untersagt sind." (…)

BayVGH: 15 Kilometer-Regelung zu unbestimmt

Der 20. Senat des BayVGH hat diese Regelung vorläufig außer Vollzug gesetzt. Demnach verstößt das Verbot voraussichtlich gegen den Grundsatz der Normenklarheit. Nach Auffassung des Senats ist dem Adressaten der räumliche Geltungsbereich des Verbots nicht hinreichend erkennbar. Schon die textliche Festlegung eines Umkreises von 15 km ist dem Senat nicht deutlich genug, was er im Wesentlichen wie folgt begründete:
 
  • Räumliche Konkretisierung der Verbotszone fehlt: Der räumliche Geltungsbereich muss für den durchschnittlichen Normadressaten ohne besondere Fähigkeiten oder Sachkenntnisse erkennbar sein. Hiervon geht dem Senat zufolge auch der Bayerische Landesgesetzgeber aus. Insoweit verweist das Gericht auf Art. 51 Abs. 2 LStVG. Nach dieser Norm sind die Grenzen des Bereichs, in der eine Verordnung gelten soll, hinreichend deutlich und anschaulich zu beschreiben oder durch den Abdruck einer genauen Karte festzulegen. Nur wenn dies nicht möglich ist, reicht es aus, wenn die Verordnung die Grenzen des betreffenden Bereichs grob umschreibt und sich entweder auf Karten in einem Maßstab von mindestens 1:25.000 oder auf auf Verzeichnisse bezieht. Allein die textliche Beschreibung eines 15-km-Radius um die Wohnortgemeinde reicht jedenfalls nicht aus.
  • Bestimmung des Umkreises nicht aus unmittelbarer eigener Wahrnehmung möglich: Zwar sind für die Berechnung der 15 Kilometer jeweils die Gemeindegrenzen maßgeblich. Doch selbst dann, wenn eine Linie gemeint sein soll, die an jedem Punkt der Grenze 15 km ins Umland hineinreicht, wird dem Adressaten die Bestimmung des Grenzverlaufs aus der unmittelbaren eigenen Sinneswahrnehmung nicht annähernd klar. 
  • Luftlinienentfernung nur schwer einzuschätzen: Hinzu kommt, dass wohl eine Luftlinienentfernung gemeint ist, die im natürlichen Gelände nur schwer einzuschätzen ist.
  • Elektronische Tools beseitigen nicht die Unklarheit der Norm: Daran ändert auch der Umstand nichts, dass elektronische Tools die Feststellung eines – wie auch immer ermittelten – 15-km-Umkreises technisch möglich machen. Für die Beurteilung der Klarheit einer Norm muss sich die Klarheit aus der Norm selbst ergeben.
Damit kam es auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nicht mehr an. Die Entscheidung des Senats gilt allgemein und ab sofort – und zwar bis zur Entscheidung in der Hauptsache.

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Eignung und Erforderlichkeit der Maßnahme offen, aber zweifelhaft

Ob das Verbot touristischer Ausflüge tatsächlich geeignet und erforderlich ist, um dichte Menschenansammlungen auch an beliebten touristischen Ausflugszielen zu verhindern, ließ der Senat offen. Dies erschien ihm aber unter anderem aufgrund des Umstands, dass touristische Ausflüge aus anderen Gemeinden nach wie vor stattfinden können, zweifelhaft. Ebenso ist dem Senat zufolge die Gefahr von verstärkten Personenansammlungen innerhalb des 15-km-Umkreises zu erwägen. Zudem müsste die Möglichkeit von weniger einschneidenden Maßnahmen erwogen werden.

Verhängung von Einreisesperren weiter möglich

Im Hinblick auf die Befugnis der Gemeinden, Einreisesperren in Hotspots für touristische Tagesausflüge anzuordnen (§ 25 Absatz 1 Satz 4 der obigen Verordnung), hat der Senat den Eilantrag als unzulässig abgelehnt. Die Beschlüsse sind unanfechtbar.

Quelle: PM des BayVGH vom 26.1.2021 zum Beschluss vom selben Tag – 20 NE 21.162


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(ESV/bp)

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