BGH zur Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer
Mit Beschluss vom 03.07.2013 ordnete die Kammer dann von Amts wegen die Einholung eines Sachverständigengutachtens an und am 14.01.2014 bestellte die Kammer einen Wirtschaftsprüfer und Steuerberater zum Sachverständigen – und zwar sowohl im Pilotverfahren der sogenannten Hauptserie (2 O 1802/07) als auch im Pilotverfahren der sogenannten L-Serie (2 O 1136/11). Am 27.01.2014 erteilte es dem Sachverständigen einen Gutachtenauftrag.
Der Anleger nahm im Oktober 2019 seine Ausgangsklage zurück. Jeweils im Oktober 2017 und im Januar 2019 hatte der Kläger des aktuellen Entschädigungsverfahrens eine Verzögerungsrüge erhoben.
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Kläger: Verfahrensverzögerung beträgt insgesamt 77 Monate
BGH: Verfahren war erst ab Mai 2016 für acht Monate überlang
- Vertretbarkeit der Handlungen des Ausgangsgerichts: Zunächst meinte der Senat, dass in einem Entschädigungsverfahren im Sinne von § 198 GVG nicht zu prüfen ist, ob das Ausgangsgericht korrekt gehandelt habe. Zu prüfen sei nur, ob das Verhalten dies Gerichts noch vertretbar bzw. unvertretbar war. Insoweit teilte der Senat die Auffassung des OLG Braunschweig, nach der das Ausgangsverfahren als Pilotverfahren von etwa 140 Verfahren für den Kläger eine besondere Bedeutung hatte. Denn der Kläger hatte wegen drohender Rufschädigung und aufgrund seines fortgeschrittenen Alters ein hohes Interesse an einer zügigen Aufklärung. Hierin sah der Senat eine nicht zu beanstandende tatrichterliche Würdigung.
- Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit ist zu wahren: Eine Vertretbarkeit liegt dem Senat zufolge nur dann nicht vor, wenn das Verhalten des Ausgansgerichts unverständlich ist. Die Frage, ob andere sinnvollere Wege möglich gewesen wären, bleibt außen vor. Prüfungen der sachlichen Richtigkeit würden nämlich den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit verletzen, so der Senat hierzu.
- Ausgleich zwischen richterlicher Unabhängigkeit und effektivem Rechtsschutz: Darüber ist dem Ausgangsgericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zuzugestehen, die der Schwierigkeit und der Komplexität der Rechtssache entspricht. Demnach hat die Prozesspartei keinen Anspruch auf eine „optimale Verfahrensförderung". Vielmehr ist bei der Bewertung des richterlichen Verhaltens immer der Ausgleich zwischen richterlicher Unabhängigkeit und effektivem Rechtsschutz zu suchen.
- Zeit für Erstellung von Sachverständigengutachten zählt nicht zur Verfahrensdauer: Nach den weiteren Ausführungen des Senats muss die Dauer des Verfahrens sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sein. Dabei gehört die lange Dauer für die Anfertigung des Sachverständigengutachtens nicht zur Verfahrensdauer – denn die Tätigkeit eines Sachverständigen unterliegt nicht dem Verantwortungsbereich des Staates. Zudem sah der Senat für die Auswertung des Sachverständigengutachtens eine Bearbeitungszeit von insgesamt zwölf Monaten als angemessen an – und zwar aufgrund der wirtschaftlichen Komplexität des Sachverhaltes.
- Entschädigung für immaterielle Nachteile: Die Entschädigungsansprüche für immaterielle Nachteile bestimmen den Streitgegenstand und sind zeitbezogen geltend zu machen. Anträge für zu Unrecht beanspruchte Zeiträume sind abzuweisen. Sie können nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO nämlich nicht mit solchen Zeiträumen verrechnet werden, für die der Kläger nach Meinung des Gerichts weniger fordert, als ihm zusteht.
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(ESV/bp)
Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht