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Milliardenraub Umsatzsteuerkarussell: So können sich Unternehmen schützen! (Foto: CMS Hasche Sigle)
Nachgefragt bei Dr. Jakob Billau (CMS Hasche Sigle)

Billau: „Das Reverse-Charge-Verfahren ist betrugsanfällig“

ESV-Redaktion Steuern
11.06.2019
Etwa 14 Milliarden Euro jährlich beträgt der Schaden für den deutschen Fiskus durch Vorsteuerbetrug im Rahmen von so genannten Umsatzsteuerkarussellen. In Teil 2 des Interviews zur Erkennung von Umsatzsteuerkarussellen skizziert Umsatzsteuerexperte Dr. Jakob Billau Auswege aus dem Dilemma.
Zum Schutz vor kriminellen Umsatzsteuerkarussellen setzten einige EU-Staaten das Reverse-Charge-Verfahren ein. Dies verlagert das Problem häufig in die Mitgliedstaaten, in denen das Reverse-Charge-Verfahren auf die entsprechenden Umsätze nicht angewendet wird. Wie sähe Ihr Lösungsvorschlag aus, den EU-weiten Umsatzsteuerbetrug zu beenden?

Jakob Billau: Umsatzsteuerkarusselle machen sich die Besonderheiten zu Nutze, die durch ein grenzüberschreitendes harmonisiertes Mehrwertsteuersystem bedingt sind. Gemäß dem Bestimmungslandprinzip, wonach die Besteuerung im Land des Verbrauchs erfolgen soll, ist eine Lieferung über eine EU-Grenze im Binnenmarkt steuerfrei. Die Besteuerung wird im Empfängerland vorgenommen. Wenn der Empfänger der Lieferungen nun seine Erwerbsbesteuerung unterlässt und die Ware ohne Abführung von Umsatzsteuer weiterveräußert, kann er in Deutschland einen Preisvorteil von 19 Prozent weitergeben. Es sind hierbei zwei Finanzverwaltungen involviert, die ihre Daten miteinander abgleichen müssen, um den Betrug aufzudecken und zu verhindern. Das macht die Sache kompliziert.

Wie könnte das vereinfacht werden?

Jakob Billau: Der Königsweg zur Betrugsvermeidung wäre die Einführung eines nicht nur harmonisierten Mehrwertsteuersystems im Binnenmarkt, sondern eines einheitlichen Systems. Damit gäbe es keine steuerfreien Lieferungen mehr im System. Voraussetzung hierfür wäre aber die Einführung eines einheitlichen Steuersatzes und einer einheitlichen Steuerverwaltung für Umsatzsteuer. Die Umsetzung eines solches Systems dürfte sich allerdings nicht ganz einfach gestalten. Schließlich müssten die Mitgliedstaaten hierfür ein großes Maß an steuerlicher Kompetenz und Souveränität an die Union abtreten.

Wie steht die EU-Kommission dazu?

Jakob Billau: Als Schritt in diese Richtung wird ein Vorschlag der EU-Kommission diskutiert, die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung abzuschaffen. Der Lieferant einer grenzüberschreitenden Lieferung im Binnenmarkt wäre dann verpflichtet, die in Rechnung gestellte Umsatzteuer im Empfängerstaat abzuführen. Als Vereinfachung könnte die Meldung und Zahlung an die nationale Steuerbehörde möglich sein, die dann die Zahlung an die Behörde im Empfängerland weiterleitet (One-Stop-Shop). Dies setzt eine intensive Zusammenarbeit zwischen den Behörden voraus.

Gibt es alternative Lösungen und wie beurteilen Sie diese?

Jakob Billau: Andere Lösungen wie die unionsweite Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens sind umstritten. Beim Reverse-Charge-Verfahren bezahlt der Empfänger der Ware die Umsatzsteuer, der auch gleichzeitig das Recht auf Erstattung der Vorsteuer hat. Dies schließt das klassische Umsatzsteuerbetrugsmodell mit einem Missing-Trader aus. Allerdings steht das Reverse-Charge-Verfahren im Widerspruch zum System der Mehrwertsteuersystemrichtlinie. Ein flächendeckendes Reverse-Charge-Verfahren ist aber auch betrugsanfällig, spätestens auf der Ebene des Endverbrauchers, bei dem die Zahllast entsteht. So könnten Privatpersonen durch das Reverse-Charge-Verfahren im großen Stil unversteuerte Waren beziehen.

Was bedeutet das im Ergebnis?

Jakob Billau: Nur umfassende Meldepflichten wären hier wohl als Schutz denkbar. Zudem müsste der liefernde Unternehmer stets prüfen, ob der Empfänger nun zum Reverse-Charge-Verfahren berechtigt ist. Das würde den administrativen Aufwand für die Umsatzsteuer auch nicht gerade reduzieren.

Zur Person
Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Jakob Billau ist Counsel im Geschäftsbereich Steuerrecht bei CMS Hasche Sigle am Standort Stuttgart. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in der Begleitung streitiger Steuerverfahren in der Betriebsprüfung, im Einspruchsverfahren und vor den Finanzgerichten. Er berät weiterhin nationale und internationale Unternehmen im internationalen Steuerrecht im Umsatzsteuerrecht und zu steuerlichen Sonderfragen.
Harmonisiertes Mehrwertsteuersystem

 

Der wachsende Stellenwert der Mehrwertsteuererhebung in der Europäischen Union hat angesichts kaum noch handhabbarer Bürokratie, Rechtsunsicherheiten und Täuschungsmöglichkeiten die Willenskräfte für eine baldige Reform rasant gemehrt. Wie sich dieses Reformvorhaben jedoch zum Erfolg führen lässt, bleibt ein umstrittenes Unterfangen, das bereits in vielseitigen Vorschlägen mündete.

Welche Reformansätze auf dem Weg zu einem endgültigen Mehrwertsteuersystem überzeugen, untersucht Dr. Chantal Naumann erstmals systematisch mit Fokus auf grenzüberschreitende zwischenunternehmerische Lieferungen.

  • Analyse der derzeitigen Mehrwertsteuersystemrichtlinie und deren Umsetzung in Deutschland
  • Hinterziehungsmöglichkeiten und weitere Reformmotoren
  • Untersuchung der ab 2020 gültigen kurzfristigen Verbesserungen
  • Unionsrechtliche Reformüberlegungen im Rahmen des Mehrwertsteuer-Aktionsplans
  • Endgültiges Mehrwertsteuersystem - bisherige Vorarbeiten und Erfolgsfaktoren

Ein prägnanter Impulsgeber, der Schwachstellen bestehender Reformpläne aufzeigt und für die Erhebung einer der aufkommensstärksten Steuerarten konstruktive Verbesserungsvorschläge entwickelt.


ESV (fl)

Programmbereich: Steuerrecht

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