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Nachzahlungszinsen ab 2015 verfassungswidrig (Foto: eyetronic/Fotolia.com)
Abgabenordnung

Bundesfinanzhof: Zweifel an Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen

ESV-Redaktion Steuern
17.05.2018
Der III. Senat des Bundesfinanzhofes hatte vor kurzem die Nachzahlungszinsen in Höhe von 6 Prozent für das Jahr 2013 noch für verfassungsgemäß gehalten. Nun hat der IX. Senat in einem AdV-Verfahren für Verzinsungszeiträume ab 2015 die Aussetzung der Vollziehung gewährt.
Der der IX. Senat des Bundesfinanzhofes hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015. Er hat daher mit Beschluss vom 25.04.2018 (Az. IX B 21/18) in einem summarischen Verfahren Aussetzung der Vollziehung (AdV) gewährt. Die Entscheidung ist zu §§ 233a, 238 AO ergangen, wonach die Zinsen für jeden Monat 0,5 Prozent einer nachzuzahlenden oder zu erstattenden Steuer betragen.

Allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung vereinnahmte der Fiskus im Bereich der Zinsen nach § 233a AO in den letzten Jahren mehr als 2 Mrd. Euro. In einer vor kurzem veröffentlichten Entscheidung hatte dagegen der III. Senat des Bundesfinanzhofes vom 09.11.2017 (Az. III R 10/16) für den Verzinsungszeitraum 2013 den gesetzlichen Zinssatz noch für verfassungsgemäß gehalten.

Im Streitfall des jetzigen AdV-Verfahrens setzte das Finanzamt die von den Antragstellern für das Jahr 2009 zu entrichtende Einkommensteuer zunächst auf 159.139 Euro fest. Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das Finanzamt am 13.11.2017 die Einkommensteuerfestsetzung auf 2.143.939 Euro. Nachzuzahlen war eine Steuer von 1.984.800 Euro. Das FA verlangte zudem in dem mit der Steuerfestsetzung verbundenen Zinsbescheid für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 16.11.2017 Nachzahlungszinsen in Höhe von 240.831 Euro. Die Antragsteller begehren die AdV des Zinsbescheids, da die Höhe der Zinsen von 0,5 Prozent für jeden Monat verfassungswidrig sei. Das Finanzamt und das Finanzgericht lehnten dies ab.

Gesetzlicher Zinssatz überschreitet angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich

Demgegenüber gab der Bundesfinanzhof dem Antrag statt und setzte die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang aus. Nach dem Beschluss des IX. Senats bestehen im Hinblick auf die Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Der Senat begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG verletze.

Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveaus strukturell und nachhaltig verfestigt habe. Der Annahme eines verfestigten Niedrigzinsniveaus könne dabei nicht entgegengehalten werden, dass bei Kreditkartenkrediten für private Haushalte Zinssätze von rund 14 Prozent oder bei Girokontenüberziehungen Zinssätze von rund 9 Prozent anfallen, so aber der III. Senat des Bundesfinanzhofes im Urteil vom 9.11.2017 (Az. III R 10/16) „Bandbreite von 0,15 Prozent bis 14,70 Prozent“. Denn es handelt sich insoweit um Sonderfaktoren, die nicht als Referenzwerte für ein realitätsgerechtes Leitbild geeignet sind, so die Richter des Bundesfinanzhofes in der Entscheidungsbegründung.

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Praktikabilitäts- und Verwaltungsvereinfachungsgründe stehen in Zeiten moderner IT einer Anpassung nicht entgegen

Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe bestehe bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht, stellt der IX. Senat fest. Auf Grund der auf moderner Datenverarbeitungstechnik gestützten Automation in der Steuerverwaltung könnten Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S. des § 247 BGB nicht mehr entgegenstehen (Anm. d. Red.: vgl. Standpunkt zur ESV-Meldung vom 02.03.2018).

Abgabenordnung 02.03.2018
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Gesetzesziel: Abschöpfung des Nutzungsvorteils

Für die Höhe des Zinssatzes fehle es an einer Begründung. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhalte, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen könne. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.

Realitätsferne Zinshöhe wirkt wie rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung

Es bestünden überdies schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Übermaßverbot entspreche. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.

Gesetzgeber zur Überprüfung des Zinssatzes von Verfassungs wegen gehalten

Der Gesetzgeber sei im Übrigen von Verfassungs wegen gehalten, zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zu der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten gesetzlichen Höhe von Nachzahlungszinsen auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus aufrechtzuerhalten sei oder die Zinshöhe herabgesetzt werden müsse. Dies habe er selbst auch erkannt, aber gleichwohl bis heute nichts getan, obwohl er vergleichbare Zinsregelungen in der Abgabenordnung und im Handelsgesetzbuch dahin gehend geändert habe.

Quelle: PM des Bundesfinanzhofs Nr. 23/2018 vom 14.05.2018

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(ESV/fl)

Programmbereich: Steuerrecht