BVerfG: Nur auf Gewinneinkünfte beschränkte Begrenzung des Einkommensteuertarifs nicht mit allgemeinem Gleichheitssatz vereinbar
Erhöhung des Spitzensteuersatzes im Jahr 2007 galt nicht für Gewinneinkünfte
Durch das Steueränderungsgesetz 2007 wurde für Einkünfte über 250.000 Euro (Einzelveranlagung) bzw. 500.000 Euro (Zusammenveranlagung von Ehegatten) der Spitzensteuersatz ab dem Jahr 2007 von 42 % auf 45 % erhöht; dies galt jedoch nicht für Gewinneinkünfte (zum Beispiel Einkünfte aus Gewerbebetrieb) für das Jahr 2007. Folglich betraf der damalige Spitzensteuersatz von 45 % nur Bezieher von Überschusseinkünften (zum Beispiel Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit).Kläger machten Verstoß gegen Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit geltend
Mit ihrer nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf wegen Benachteiligung der Überschusseinkünfte gegenüber den Gewinneinkünften machten die Kläger einen Verstoß gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit geltend. Das Finanzgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob eine auf Gewinneinkünfte beschränkte Begrenzung des Einkommensteuertarifs für das Jahr 2007 mit dem Grundgesetz vereinbar ist.Nach Auffassung des Senats hat der Gesetzgeber zwar bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Entscheidungsspielraum, ist aber gleichwohl an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit gebunden. Daher muss die Belastung mit Finanzzwecksteuern an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden. Sofern der Gesetzgeber also für verschiedene Arten von Einkünften unterschiedliche Tarifverläufe festlegt, muss eine mögliche Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein.
Förderungs- und Lenkungszwecke können Ungleichbehandlung rechtfertigen
Als Rechtfertigungsgrund für eine Differenzierung der Steuersätze kommt die Verfolgung von Förderungs- oder Lenkungszwecken in Betracht, sofern dies im Gemeinwohl begründet ist. In solchen Fällen müssen jedoch entweder Ziel und Grenze der Lenkung mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet sein oder das angestrebte Förderungs- oder Lenkungsziel jedenfalls von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werden. Diesen Maßstäben wird die gesetzgeberische Entscheidung für die Privilegierung der Gewinneinkünfte nicht gerecht.Unternehmerisches Risiko kein Rechtfertigungsgrund für Ungleichbehandlung
Das vom Gesetzgeber für die Ungleichbehandlung herangezogene spezifische unternehmerische Risiko ist kein sachlich einleuchtender Grund für die erfolgte Differenzierung zwischen Gewinn- und Überschusseinkünften, da dies nicht zwingend eine geringere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zur Folge hat. Auch manchen Überschusseinkünften, z.B. bei Kapital- oder Vermietungseinkünften, wohnt ein Risiko inne, ohne dass sich dies im Steuertarif niederschlägt. Ein Unternehmerrisiko wird im Einkommensteuerrecht grundsätzlich erst, aber auch immer dann berücksichtigt, wenn es sich realisiert hat. Das abstrakte unternehmerische Risiko bleibt mithin außen vor.
Geplante Unternehmenssteuerreform war noch nicht konkret genug
Soweit der Gesetzgeber mit der Privilegierung der Gewinneinkünfte dem Umstand Rechnung tragen wollte, dass für das Jahr 2008 eine umfassende Unternehmenssteuerreform geplant war, fehlt es an einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung für einen hinreichend bestimmten Förderungs- oder Lenkungszweck. Dieser hat im Gesetzestext keinen ausreichenden Niederschlag gefunden, auch die Gesetzesmaterialien lassen das eigentliche Ziel der Unternehmenssteuerreform offen. Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet, spätestens bis zum 31. Dezember 2022 rückwirkend für das Veranlagungsjahr 2007 eine Neuregelung zu treffen.
Quelle: PM des BVerfG Nr. 2/2022 vom 12.01.2022
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Von Hans-Joachim Beck, Michael Daumke, Uwe Perbey, Prof. Dipl.-Kfm. Rolf-Rüdiger Radeisen |
(ESV/cmx)
Programmbereich: Steuerrecht