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BVerfG: Suchmaschinen können eher dafür sorgen, dass Beiträge im Internet nicht mehr gefunden werden können (Foto: silvabom / stock.adobe.com)
Informationsinteresse gegen allgemeines Persönlichkeitsrecht

BVerfG zum „Recht auf Vergessen“ im Internet bei schweren Straftaten

ESV-Redaktion Recht
04.12.2019
Haben Täter auch bei schweren Straftaten ein „Recht auf Vergessen“ im Internet? Hierzu hat sich das BVerfG aktuell geäußert. Im Spannungsfeld steht hierbei das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Straftäters und das Recht auf Meinungs- bzw. Pressefreiheit.
In dem Fall „Recht auf Vergessen I“ wollte der vorbestrafte Betroffene mit seiner Verfassungsbeschwerde verhindern, dass Berichte des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ in dessen Online-Archiv mit seinem Namen unter den ersten Treffern erscheinen. In einem weiteren Fall  – „Recht auf Vergessen II“ – verlangte die Geschäftsführerin eines Unternehmens von dem Suchmaschinenbetreiber Google die Verknüpfung ihres Namens mit einem Rundfunkbeitrag des NDR zu lösen. 

Der Fall des verurteilten Straftäters hatte in 1980er Jahren in den Medien für großes Aufsehen gesorgt. Der damals etwa 40-jährige Beschwerdeführer gehörte der Besatzung des Segelschiffes „Apollonia“ an. Im Dezember 1981 kam es auf dem 16 Meter langen Segler im Verlauf einer Überquerung des Atlantiks zu Streitereien unter den Reisenden. Dabei erschoss der Beschwerdeführer den Eigentümer und dessen Freundin. Zudem verletzte er einen weiteren Mitreisenden schwer. Später wurde er wegen dieser Tat wegen Mordes verurteilt. Das Geschehen wurde nicht nur zu einem Buch verarbeitet und verfilmt. Auch der „Spiegel“ hatte hierüber berichtet. Im Jahr 2002 kam der Beschwerdeführer aus der Haft frei.

Beschwerdeführer: Nennung des Namens verstößt gegen Persönlichkeitsrecht

Vom Spiegel verlangte er 2009 seinen Nachnamen für Suchen im Online-Archiv des Nachrichtenmagazins zu löschen. Seine Begründung: Die Namensnennung würde ihn in der Entfaltung seiner Persönlichkeit beeinträchtigen. So wollte er nach Verbüßung seiner Strafe seine Sozialbeziehungen wieder unbelastet gestalten können. Hieran sei er durch das Auffinden seines Namens in den Online-Archiven gehindert.


OLG Hamburg: Namensnennung ist stigmatisierend

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg gab ihm Recht. Die Hamburger Richter hielten die Namensnennung für stigmatisierend und sahen darin einen Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht.


BGH: Öffentliches Informationsinteresse wiegt schwerer als Persönlichkeitsrecht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Hamburger Entscheidung allerdings am 13.11.2012 – VI ZR 330/11 aufgehoben. Nach Auffassung der obersten deutschen Zivilrichter wiegt das Informationsinteresse der Öffentlichkeit schwerer als das Interesse des Täters am Schutz seiner Persönlichkeit. Gegen diese BGH-Entscheidung wendete sich der ehemalige Täter mit einer Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG).

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Hamburgischer Datenschutzbeauftragter: Verfassungsbeschwerde begründet

Der Erste Senat des BVerfG hatte in dem Verfahren unter anderem den Hamburgischen Datenschutzbeauftragten, Prof. Dr. Johannes Caspar, angehört. Dieser hat auch für die Datenschutzbeauftragten der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein Stellung genommen. Er hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Ebenso ist die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit seiner Stellungnahme beigetreten.


BVerfG: Vorkehrungen gegen Auffindbarkeit der Beiträge in Betracht ziehen

Auch der Erste Senat des BVerfG teilte die Auffassung des BGH nicht. Der Senat hat die benannte BGH-Entscheidung aufgehoben und dorthin zurückverwiesen. Dem Senat zufolge sind zumutbare Vorkehrungen gegen die Auffindbarkeit der betreffenden Artikel in Betracht zu ziehen. Hierbei differenziert der Senat zwischen aktueller und zeitlich fortschreitender Berichterstattung. Die Interessen der Beteiligten verschieben sich dabei wie folgt:  

  • Aktuelle Berichte zulässig: So hält der Senat in der aktuellen Berichterstattung identifizierende Berichte über rechtskräftig verurteilte Straftäter prinzipiell für zulässig.
  • Berichte in zeitlichem Abstand: Das berechtigte Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung nimmt allerdings mit fortschreitendem zeitlichen Abstand zur Tat ab.


Grenzziehung durch Fachgerichte

Die Grenzen zwischen den zumutbaren Maßnahmen, um die Auffindung bei einer Internetsuche zu verhindern und der uneingeschränkten Auffindbarkeit müssen dem BVerfG zufolge aber die Fachgerichte klären. Für diese sind folgende Kriterien maßgebend: 

  • Verlage könnten schon technisch nicht verhindern, dass Pressebeiträge bei der reinen Namenssuche gefunden werden.  
  • Fähig hierzu wären aber die Suchmaschinenbetreiber. Deren Algorithmen könnten mittlerweile Beiträge einem Suchbegriff zuzuordnen, der dort gar nicht vorkommt. Demgegenüber könnten Verlage Inhalte nur komplett von jedem Suchbegriff ausnehmen.

Quelle: PM des BVerfG vom 27.11.2019 zum Beschluss vom 6.11.2019 – 1 BvR 16/13 – Recht auf Vergessen I

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