BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen
Aktuelle Meldungen |
Hier bleiben Sie auf dem aktuellen Stand im Bereich Steuern. Sie können auch unseren kostenlosen Newsletter Steuern hier abonnieren. |
Ungleichbehandlung bzgl. Festsetzung der Zinsen ab 2014 verfassungswidrig – bisheriges Recht bis VAZ 2018 weiter anwendbar
Die Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 % nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten stellt eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern dar, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird.Diese Ungleichbehandlung erweist sich gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG für in die Jahre 2010 bis 2013 fallende Verzinsungszeiträume noch als verfassungsgemäß, für in das Jahr 2014 fallende Verzinsungszeiträume dagegen als verfassungswidrig. Ein geringere Ungleichheit bewirkendes und mindestens gleich geeignetes Mittel zur Förderung des Gesetzeszwecks bestünde insoweit in einer Vollverzinsung mit einem niedrigeren Zinssatz. Die Unvereinbarkeit der Verzinsung nach § 233a AO mit dem Grundgesetz umfasst ebenso die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen. Das bisherige Recht ist für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume weiter anwendbar.
Vorschriften ab VAZ 2019 unanwendbar und Gesetzgeber zur Neuregelung bis 31.07.2022 verpflichtet
Für ab in das Jahr 2019 fallende Verzinsungszeiträume sind die Vorschriften dagegen unanwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen.Das Bundesverfassungsgericht entschied:
- Gleichheitsrechtlicher Ausgangspunkt für die Auswahl des Zinsgegenstands und die Bestimmung des Zinssatzes im Steuerrecht ist ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab. Zinsregelungen als steuerliche Nebenleistungen bedürfen zur Wahrung der Belastungsgleichheit eines über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden, besonderen sachlichen Rechtfertigungsgrunds.
- Der Gesetzgeber kann bei der Auswahl eines Zinsgegenstands und der Bemessung eines Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und dabei in erheblichem Umfang die Praktikabilität mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung berücksichtigen. Zinsregelungen müssen grundsätzlich in der Lage sein, den mit ihnen verfolgten Belastungsgrund realitätsgerecht abzubilden. Werden Zinsen als steuerliche Nebenleistungen allein zum Zweck des Vorteilsausgleichs erhoben, muss die Differenzierung nach Maßgabe des Vorteils vorgenommen werden, dessen Nutzungsmöglichkeit mit dem Zins abgegolten werden soll.
- Die typisierende Festlegung des Zinssatzes ist trotz grundsätzlicher Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers nicht mehr zu rechtfertigen, wenn dieser Zinssatz unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist.
Quelle: PM des Bundesverfassungsgerichts Nr. 77/2021 vom 18.08.2021
Auch interessant: |
Bundesfinanzhof: Zweifel an Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen |
Risikoorientierte Fallauswahl, automationsgestützte Fallbearbeitung und elektronische Steuerfestsetzung Die Digitalisierung der Besteuerungspraxis nimmt immer konkretere Formen an. So hat auch die jüngste Krisenlage die Umsetzung neuer Anwendungen zu E-Government und digitalem Steuervollzug durch die Finanzverwaltung rasant beschleunigt.
Von der Datenverarbeitung bis zum Einsatz selbstlernender Algorithmen: Pflichtlektüre für alle, die die Digitalisierung des deutschen Steuerverfahrensrechts zielgerichtet umsetzen und weiterentwickeln möchten. |
(ESV/fl)
Programmbereich: Steuerrecht