BVerwG äußert sich erstmals zu Corona-Beschränkungen
Ausgangsbeschränkungen in Bayern waren unverhältnismäßig
- Beschränkungen zu eng gefasst: Der 3. Senat des BVerwG schloss sich der Auffassung des VGH München an. Demnach waren die triftigen Gründe zum Verlassen der eigenen Wohnung zu eng gefasst. Schon die Vorinstanz konnte – beanstandungsfrei – nicht erkennen, dass diese Maßnahme zur Hemmung der Übertragung des Coronavirus erforderlich war. Dem Senat zufolge lag damit auch keine Notwendigkeit im Sinne von § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 IfSG in der damals geltenden Fassung vor.
- Mildere Maßnahmen möglich: Nach Ansicht des Senats ist eine Maßnahme nur dann erforderlich, wenn kein gleich wirksames Mittel zur Verfügung steht. Als mildere Maßnahme kamen hier Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Raum in Betracht. Solche Beschränkungen hätten bei gleicher Wirksamkeit eine geringe Eingriffsintensität gehabt als Ausgangsbeschränkungen, die nicht einmal ein das Lesen eines Buchs auf einer Parkbank erlaubt hätten.
- Ermessensspieraum überschritten: Damit überschritt der Verordnungsgeber seinen Ermessenspielraum, denn seine Prognose zur Zweckerreichung war nicht plausibel und einleuchtend begründet. Diese Frage unterliegt dem BVerwG zufolge auch einer gerichtlichen Überprüfung und insoweit war die Ansicht des Bayerischen VGH – der ein solches Verweilen außerhalb der Wohnung als infektiologisch unbedeutend ansah – revisionsrechtlich unbedenklich.
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Kontaktbeschränkungen in Sachsen und Schließungen von Gastronomiebetrieben bzw. Sportstätten einschließlich Golfplätzen waren rechtmäßig
- Angegriffene Normen hinreichend bestimmt: Die Frage der erforderlichen Bestimmtheit hängt unter anderem von den Besonderheiten im betreffenden Sachbereich ab. Demnach ist im Bereich des Infektionsschutzes eine Generalklausel im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG in der maßgeblichen Fassung sachgerecht. Denn der Gesetzgeber kann nicht voraussehen, welche neuen übertragbaren Krankheiten auftreten und welche Schutzmaßnahmen hiergegen erforderlich sein können.
- Verhältnismäßigkeit: Die angegriffenen Verordnungsregelungen waren auch verhältnismäßig, so dass es sich hierbei um notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. handelte. So entsprach das Ziel der Verordnung – nämlich physische Kontakte zu reduzieren, um die Ausbreitung von Corona zu bremsen – dem Zweck der Verordnungsermächtigung.
- Tragfähige Begründungen: Die Annahmen des Verordnungsgebers – nach denen dieses Ziel ohne entsprechende Ge- und Verbote gefährdet und die Maßnahmen wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich waren – basierten auf einer tragfähigen Grundlage. So durfte der Verordnungsgeber seine Annahmen vor allem auf die Risikobewertung des Robert Koch-Institutes (RKI) stützen.
- Erforderlichkeit: Die angegriffenen Maßnahmen waren auch geeignet und erforderlich. Der Senat konnte nicht erkennen, dass dem Verordnungsgeber gleich wirksame und mildere Mittel zur Verfügung standen.
- Einschätzungsspielraum: Zudem hatte der Verordnungsgeber aufgrund der damals fehlenden Erfahrungen mit Corona einen Einschätzungsspielraum. Dieser bezog sich drauf, die Wirkung seiner Maßnahmen im Vergleich zu anderen milderen Maßnahmen zu prognostizieren. Eine Überschreitung dieses Spielraums hat die Vorinstanz rechtsfehlerfrei verneint.
- Plausible Prognose: Basierend auf den Feststellungen der Vorinstanz waren die Einschätzungen des Verordnungsgebers auch plausibel. So war in Bezug auf die Kontaktbeschränkungen ein gleich wirksames, aber milderes Mittel zu erkennen. Hinsichtlich der gastronomischen Einrichtungen hat die Vorinstanz festgestellt, dass ein besonders hohe Ansteckungsgefahr für eine Tröpfcheninfektion bestand, und zwar aufgrund der besonderen Nähe und fehlenden Ausweichmöglichkeiten von Gästen und Personal. Vor allem in Szene-Vierteln bestand die Gefahr von größeren Menschenansammlungen. Diese Risiken konnte selbst ein anspruchsvolles Hygienekonzept nicht so wirksam auffangen wie die Schließung von Gastronomiebetrieben. Auch bei Golfplätzen hat die Vorinstanz Bereiche festgestellt, die zahlreiche Spieler zusammen aufsuchen und damit das Ansteckungsrisiko erhöhen.
- Kein Missverhältnis zwischen Zweck und Schwere der Eingriffe: Abschließend, so der Senat weiter, habe die Vorinstanz zu Recht angenommen, dass die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zur Schwere des Eingriffs steht.
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Vielstimmig und kritisch in 39 Interviews: Sie finden Gespräche mit Konstantin Kuhle, Peter Schaar, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Katja Keul, Stefan Brink, Ulrich Kelber, Thomas Ramge, Nikolaus Forgó, Frederick Richter, Konstantin von Notz, Saskia Esken, Henning Tillmann, Ulrich Battis, Kyrill-Alexander Schwarz, Till Steffen, Malte Engeler, Paul Schwartz, Justus Haucap, Linda Teuteberg, René Schlott, Johannes Caspar, Barbara Thiel, Hans Michael Heinig, Horst Dreier, Michael Will, Indra Spiecker, Kai von Lewinski, Andrea Kießling, Johannes Fechner, Florian Schroeder, Manuela Rottmann, Stefan Brink, Paul van Dyk und Jonas Schmidt-Chanasit. |
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(ESV/bp)
Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht