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Vielfalt - spiegelt sich auch in der Akzentsetzung bei Sprachen (Foto: Aaron Amat/Fotolia.com)
Nachgefragt bei: Dr. Gianluca Cosentino

Cosentino: „Muttersprachliche Intonationsmuster werden übertragen“

ESV-Redaktion Philologie
24.05.2019
Im modernen Fremdsprachenunterricht wird viel Wert auf die Aussprache der Wörter gelegt: Wir wollen korrekt verstanden werden. Vernachlässigt wird dabei oft die Prosodie. Über Satzmelodie, Tempo, Pausen und Akzente sprachen wir mit Dr. Gianluca Cosentino.
Lieber Herr Cosentino, welchen Unterschied macht es, wie ich einen deutschen Satz betone?

Gianluca Cosentino: Typisch für das Deutsche ist eine Akzenthierarchie mit bestimmten Prominenzstufen, die andere Sprachen so nicht kennen. Je nach inhaltlich-kommunikativer Absicht können im Deutschen besonders relevante Teile einer Äußerung als Äußerungsakzente in den Vordergrund treten und andere gänzlich in den Hintergrund rücken.

Wenn wir eine Äußerung produzieren, setzen wir eine Reihe prosodischer Mittel wie Akzente und Töne ein. Solche Mittel reflektieren im Deutschen maßgeblich kontextuelle Eigenschaften und nehmen direkten Bezug auf den Diskurskontext: Akzente sorgen dafür, in einer Kommunikationseinheit den Schwerpunkt zu kennzeichnen bzw. seine Gültigkeit auf einen bestimmen Sachverhalt einzuengen; Töne fungieren als Träger von Bedeutungen, sie legen den Kontext fest und signalisieren, was der Textproduzent als neu, alt, relevant, überraschend oder unerwartet ansieht.

Das Verstehen und Verstandenwerden hängt im Deutschen also weitestgehend davon ab, inwiefern Produzenten und Rezipienten im jeweiligen sprachlichen und situativen Kontext diese prosodischen Eigenarten situationsadäquat beherrschen, erkennen, bewerten und unterscheiden können.

Was genau ist Prosodie?

Gianluca Cosentino:
In der altgriechischen Vers- und Deklamationslehre bezog sich Prosodie auf das korrekte Vorlesen und Vortragen von Dichtung, damit die wesentlichen sprachlichen Informationen, die in der Schrift enkodiert sind, in die gesprochene Sprache umgesetzt werden. Die moderne Phonetik und Phonologie unterscheidet zwischen sogenannten segmentalen und suprasegmentalen Ebenen der Lautsprache.
Die segmentale Ebene betrifft die Eigenschaften von Einzellauten, z. B. Stimmhaftigkeit, Aspiriertheit, Konsonantizität. Die suprasegmentale Phonologie untersucht die größeren Einheiten der Lautstruktur und betrachtet alle Eigenschaften, die über das Einzelsegment hinausgehen: Tonhöhenbewegungen, Pausen, Sprechgeschwindigkeit, Lautstärke, Stimmqualität und Akzentuierung. Dies ist der Geltungsbereich der Prosodie.

Warum ist die Prosodie noch nicht standardmäßig in jedes DaF-Programm integriert?

Gianluca Cosentino: In der heutigen Theorie und Praxis der DaF-Didaktik spielt Prosodie eine geringe Rolle und genügt den Anforderungen der Sprachwirklichkeit immer noch nicht. Im Sprachstudium und in der Lehrausbildung gelten Phonetik im Allgemeinen und Prosodie im Besonderen als unbequem, sodass viele Studierende immer wieder versuchen, ihnen auszuweichen. Dies führt dazu, dass die Absolventen einer Lehrerausbildung oftmals zu wenig über dieses Gebiet wissen und entsprechend wenig an die Lernenden in ihrem eigenen Unterricht weitergeben; sie sind nicht in der Lage, die durch die Prosodie mitgelieferte Bedeutungen bewusst zu identifizieren oder die einzelnen Merkmale ihrer Intonationskonturen zu isolieren.

Für das Erlernen einer Fremdsprache hat dies die unausweichliche Folge, dass muttersprachliche Intonationsmuster unbewusst übertragen werden, was unweigerlich zu direkten Beeinträchtigungen der Rezeption und zu verminderten bzw. fehlerhaften Informationsverarbeitungsleistungen führt. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, werden im Buch Grammatik der Prosodie für Deutsch als Fremdsprache einige reflektierende Überlegungen vorgestellt, wie die Erkenntnisse der Prosodie-Forschung im DaF-Unterricht praktisch umgesetzt werden können.

Prosodie im DaF-Unterricht 13.05.2019
Ein konkretes didaktisches Modell der Prosodie fehlt
Wie wir ein Wort betonen oder auf welchen Teil eines Satzes wir beim Sprechen den Schwerpunkt setzen, beeinflusst, was unser Gegenüber hört und versteht. Wort- und Satzakzent, Intonation, Melodie, Tempo und Rhythmus gehören zum Bereich der Prosodie. Wie beeinflusst diese unser Sprachenlernen? mehr …

Wie wichtig ist Prosodie beim Erlernen der deutschen Sprache?

Gianluca Cosentino: Im deutschen Sprachsystem ist die Prosodie das Hauptkodierungsmittel der Informationsstruktur und erfüllt zahlreiche kommunikative Funktionen, die sowohl phonologisch als auch grammatisch distinktiv sind. Werden prosodische Merkmale falsch eingesetzt oder gar nicht verwendet, kann die beabsichtigte Information für den Transfer zum Adressaten nicht angemessen strukturiert werden. Das führt dazu, dass die Kommunikation in ihrer Effizienz und Effektivität beeinträchtigt wird.
In Bezug auf die DaF-Didaktik ist diese Erkenntnis hochrelevant: Die Prosodie erfüllt keineswegs eine rein stilistische Funktion, sie ist vielmehr ein regelhaftes System, das genauso wie Formenbildung und Satzbau als Teilbereich der Grammatik anzusehen ist.

Wie sah das von Ihnen erprobte Unterrichtsmodul aus?

Gianluca Cosentino: Das Modul sollte als ein Beispiel dienen, wie Prosodie in die DaF-Didaktik integriert werden kann. Dabei wurden Vermittlungsstrategien und didaktische Mittel präsentiert sowie Unterrichtsmaterialien erstellt, die sich für eine Didaktisierung der Prosodie besonders gut anbieten. Der Schwerpunkt des Moduls lag in der Behandlung der Akzentuierung als Unterrichtsgegenstand.
Dabei wurde eine eigene Unterrichtsmethodologie erarbeitet, die darauf abzielte, italophone Lernende aufgrund kontrastiver Evidenzen zwischen Erst- und Fremdsprache mit suprasegmentalen Unterschieden bewusst zu konfrontieren, ihr explizites Wissen über die grammatischen Regelmäßigkeiten der deutschen Prosodie zu fördern sowie die Lücken in ihrer mangelhaften prosodischen Kompetenz zu füllen.

Welches Ziel sollte ein für DaF-Lernende bestimmter Prosodieunterricht verfolgen?

Gianluca Cosentino: Das Ziel eines Prosodieunterrichts für DaF-Lernende sollte darin bestehen, prosodische Mittel im Kommunikationsprozess zu unterscheiden, bewusst zu interpretieren und gezielt einsetzen zu können. Dies ist mit Sicherheit schwer zu erreichen und bereitet im Fremdsprachenunterricht viele Probleme und Schwierigkeiten: Zum einen setzt dieser Unterricht genaue Definitionen von didaktischen Modellen und Arbeitsweisen voraus, welche der prosodischen Situationsgebundenheit am besten Rechnung tragen können.

Zum anderen bedarf er der Einstimmung von neuen Arbeitsweisen auf die Bedingungen der aktuellen Unterrichtspraxis; beispielsweise sollten die Ergebnisse von empirischen Studien durch die Bereitstellung neuer Unterrichtsgegenstände bzw. -materialien in die Fremdsprachenpraxis integriert werden, in Lehrwerken und Schulgrammatiken sollten prosodische Übungen in den Vordergrund gestellt und in Verbindung mit den vier Sprachfertigkeiten gesetzt werden.

Der Autor
Gianluca Cosentino, geb. 1987, Studium der Germanistik und der DaF-Didaktik in Neapel und in Berlin. Promotionsstudium an der Universität Pisa. Arbeitsschwerpunkt: Fremdspracherwerbsforschung, Kontrastive Grammatik (Deutsch-Italienisch) und Textlinguistik mit besonderem Augenmerk auf Syntax, Prosodie und Informationsstruktur.

Grammatik der Prosodie für Deutsch als Fremdsprache
von Gianluca Cosentino

Ziel des Buches ist es, eine umfassende formale und funktionale Analyse relevanter Aspekte der deutschen Prosodie vorzunehmen und Anknüpfungspunkte für eine Didaktisierung im DaF-Bereich herzustellen.
Im deutschen Sprachsystem ist die Prosodie das Hauptkodierungsmittel der Informationsstruktur und erfüllt zahlreiche sprachliche Funktionen, die als Teilbereich der Grammatik anzusehen sind. Nach einem Überblick über die Gebiete der Prosodieforschung und die grammatische Funktion der Prosodie als Hauptkodierungsmittel der Informationsstruktur wird ein praktisch erprobtes Unterrichtsmodul zur Grammatik des Akzents vorgestellt. Die Inhalte des Unterrichtsmoduls werden schrittweise präsentiert und in Unterrichtseinheiten zusammengestellt. Im Anschluss wird der Ablauf und Erfolg des Prosodie-Moduls dargestellt. Als empirische Basis für die Dokumentation dient die auditive und akustische Analyse eines Datenkorpus, das aus von italophonen DaF-Studierenden vorgelesenen Texten besteht.

Zusatzmaterial unter Prosodiedaf.ESV.info

(ESV/lp)

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache