Das mentale Lexikon: Tücken und Chancen der Wortschatzarbeit bei Mehrsprachigen
Der Ausdruck mentales Lexikon (Aitchison 1987) wird verwendet, um auf metaphorische Weise die mentalen Strukturen für die Speicherung von Wortinformationen zu benennen. Die betreffenden Informationen sind zum Teil solche, die man auch in einem Lexikon bzw. Wörterbuch findet, wie beispielsweise zu Grammatik, Aussprache, Bedeutung und Kombinierbarkeit mit anderen Wörtern. Die Art und Weise, wie dieses „Lexikon“ organisiert und geordnet ist, sowie die Frage, auf welche Weise daraus Wörter abgerufen werden, untersuchen Psycho und Neurolinguistik. […]
Aufbau und Struktur des mentalen Lexikons
[…] Wie erfolgt nun bei Mehrsprachigen der Zugriff auf die Wörter im mentalen Lexikon? Geschieht er direkt oder quasi über den Umweg der L1? Zeitliche Verzögerungen bei der Sprachproduktion durch Wortfindungsprobleme sowie das Phänomen des Code-Switching (also das Hin- und Herwechseln zwischen zwei Sprachen) lassen verschiedenartige Vernetzungen im Wortschatz einer mehrsprachigen Person vermuten. Im Kontext der Mehrsprachigkeitsforschung ist auch die Fähigkeit zum Transfer von sprachlichen Inhalten aus einer Sprache in eine andere interessant. So kann z. B. der Verweis auf Kognaten, also strukturell ähnliche und miteinander verwandte Wörter (wie Wein / wine / vin / vino / vinho), den Fremdsprachenerwerb produktiv unterstützen. In vielen Lehrmaterialien finden sich deshalb heute Listen von Kognaten, die miteinander verwandte Wörter aus verschiedenen Sprachen aufführen und so deren Verknüpfung fördern.
Neues aus: Fremdsprache Deutsch | 16.04.2021 |
Was Apfelkuchen mit dem Deutschlernen verbindet | |
Vokabeln pauken, Satzglieder bestimmen, Grammatik verstehen – wenn der DaF-Unterricht nur so aussieht, ist es leicht, das aufregende Ziel aus den Augen zu verlieren: Durch neue Deutschkenntnisse mit spannenden Leuten kommunizieren. In Heft 64 von Fremdsprache Deutsch gehen die Herausgeberinnen Karina Aguado und Dagmara Warneke von einem „mentalen Netzwerk von Konstruktionen“ aus. mehr … |
FD Digital |
Hier finden Sie das ausführliche Digitalangebot von Fremdsprache Deutsch! |
Mehrsprachigkeitsdidaktik und Wortschatzarbeit
Die Mehrsprachigkeitsdidaktik entwickelt Methoden zu sprachenübergreifendem Lernen und macht dabei von Transferstrategien Gebrauch, die neuen sprachlichen Input mit bereits vorhandenem Wissen verknüpfen. Für die Wortschatzarbeit bedeutet dies, die Verbindungen im mentalen Lexikon der Lernenden zu stärken und auszubauen. Ziel ist es, möglichst alle Sprachen der Lernenden in den Lernprozess einzubeziehen und dadurch den Wortschatz zu erweitern und zu vertiefen. […]
Bei der Wortschatzerweiterung kann also bereits vorhandenes sprachliches Wissen genutzt werden. Für die Bildung von Adjektiven ist in einigen Sprachen beispielsweise das Anhängen bestimmter Suffixe an den Wortstamm möglich (z. B. im Deutschen -bar, -lich, -voll, -sam oder -able und -ful im Englischen). Ein weiteres Beispiel für Wortbildungen im Deutschen stellen Komposita dar. Hier sollte den Lernenden verdeutlicht werden, dass viele verschiedene Bedeutungsbeziehungen zwischen den Konstituenten bestehen können. Orangensaft und Apfelsaft sind Safte, die aus gepressten Früchten hergestellt werden, während Hustensaft ein Saft ist, der gegen Husten hilft, diesen aber nicht enthält. Auch bei Kompositabildungen gibt es Beschränkungen, die Konventionen der Sprache unterliegen. Das männliche Äquivalent zu Krankenschwester ist beispielsweise nicht, wie DaF-Lernende logisch ableiten könnten, Krankenbruder, sondern Krankenpfleger.
Wortschatzvertiefung
[…] Im Fremdsprachenunterricht mit mehrsprachigen Lernenden können darüber hinaus die bereits erwähnten lexikalischen Lücken durch den Vergleich von zwei oder mehreren Sprachen verdeutlicht werden. Häufig basieren Entlehnungen aus anderen Sprachen darauf, dass das jeweilige Konzept in der Zielsprache nicht genau in dieser spezifischen Bedeutung lexikalisiert ist, z. B. jap. Karōshi (Tod durch Überarbeitung). Im Unterricht könnte man beispielsweise Wörter aus den Sprachen der Lernenden, für die es im Deutschen keine Entsprechung gibt, sammeln. Auf diese Weise ließe sich auch das Thema Fremdwörter und Entlehnungen aufgreifen und erklären, warum Wörter aus fremden Sprachen Eingang in eine andere Sprache finden und so Sprachwandel stattfindet. In Bezug auf die deutsche Sprache könnte so auch die aktuell bevorzugte Übernahme englischer Wörter, v. a. für die Benennung neuer Technologien und gesellschaftlicher Praktiken, thematisiert werden (ein Flug wird gecancelt, die Software wird upgedatet, eine Serviceleistung wird outgesourct u. v. m.).
Wenn Sie neugierig geworden sind, lesen Sie im neuen Heft 64 den gesamten Beitrag und noch mehr:
Fremdsprache Deutsch Heft 64 (2021): Wortschatz Heftherausgebende: Karin Aguado, Dagmara Warneke Im Heft 64 zum Thema „Wortschatz“ wird der Frage nachgegangen, wie vor dem Hintergrund theoretischer Grundannahmen sowie aktueller empirischer Erkenntnisse aus den einschlägigen Bezugswissenschaften, nämlich (Psycho-)Linguistik, Sprachlehrforschung und Fremdsprachendidaktik, eine systematische und gezielte Wortschatzarbeit im fremd- und zweitsprachlichen Deutschunterricht erfolgen kann. |
(ESV/ff)
Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache