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Arbeitsschutzrecht in Deutschland (Foto: Angela Kausche)
Arbeitsschutzrecht

Das staatliche Arbeitsschutzrecht in Deutschland - Teil 1

Heiner Wahl
12.01.2017
Das staatliche Arbeitsschutzrecht betrifft alle Betriebe in Deutschland, verpflichtet ganz überwiegend ihre Arbeitgeber und schützt ihre Arbeitnehmer. Es war schon immer die Grundlage des staatlichen Arbeitsschutzvollzugs. Der Beitrag bietet eine fachlich-rechtliche Bilanzierung des Rechtsgebiets auch für juristische Laien.
Das  staatliche  Arbeitsschutzrecht  betrifft  alle  Betriebe  in Deutschland,  verpflichtet  ganz  überwiegend  ihre  Arbeitgeber und schützt ihre Arbeitnehmer. Es war schon immer die  Grundlage  des  staatlichen  Arbeitsschutzvollzugs,  verfassungsrechtlich  im  Verantwortungsbereich  der  Bundesländer  (Stichwort:  „Gewerbeaufsicht“)  und  ist  mit  der  Zeit  auch zu einer zentralen Grundlage des Vollzugs der Unfallversicherungsträger (UVT) geworden, was Sie der DGUV Vorschrift 1 (§2 in  Verbindung  mit Anhang 1) entnehmen können.

Die UVT haben heute immer noch viel mehr, was sie im Arbeitsschutz einbringen können – insbesondere eine besondere Fachkompetenz, einen großen ausgewerteten Datenfundus, z.B. MEGA-Datenbank, und eine Vielzahl branchenspezifischer Informationen (DGUV-Informationen), die allerdings rechtlich nur empfehlenden Charakter haben.

Das staatliche Arbeitsschutzrecht kann womöglich ein Stück weit als abgeschlossen bezeichnet werden – so scheint es jedenfalls, wenn man einen Blick auf die zusammenfassende Tabelle 1 dieses Beitrags wirft.

Gesetz/Verordnung   Gegenstand Umgesetzte EU-Richtlinien für den Arbeitsschutz (Mindestvorschriften) Ausschuss Technische Regeln
     
Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) Arbeitsschutz allgemein RL 89/391/EWG (Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie) keiner keiner
Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)  Schutz vor Gefährdungen durch Gefahrstoffe RL 98/24/EG (Agenzien-Richtlinie)
RL zur Einführung von nicht-bindenden EU-Grenzwerten (IOELV), derzeit: RL 2000/39/EG,RL 1006/15/EG, RL 2009/161/EG

Ferner:
RL 2004/37/EG (Krebs-Richtlinie)
RL 2009/148/EG (Asbest-Arbeitsschutzrichtlinie)
RL 1999/92/EG (Brand- und Ex-Schutz)
Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS)
Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) Schutz vor Gefährdungen bei der Verwendung von Arbeitsmitteln RL 2009/104/EG Ausschuss für Betriebssicherheit (ABS) Technische Regeln für Betriebssicherheit (TRBS)
Biostoffverordnung (BioStoffV) Schutz vor Gefährdungen durch biologische Arbeitsstoffe RL 2000/54/EG Ausschuss für biologische Arbeitsstoffe (ABAS) Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA)
Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV Anforderungen an Arbeitsstätten RL 89/654/EWG
RL 92/58/EWG (Sicherheitskennzeichnung am Arbeitsplatz)
Arbeitsstättenausschuss (ASTA) Arbeitsstättenregeln (ASR)
Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) Arbeitsmedizinische Vorsorge Keine

Ausschuss für Arbeitsmedizin Arbeitsmedizinische Regeln (AMR)
Lärm- und Vibrationsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV) Schutz vor Gefährdungen durch Lärm und Vibrationen RL 2003/10/EG (Lärm)
 RL 2002/44/EG (Vibrationen)
Ausschuss für Betriebssicherheit (ABS) – siehe oben TRLV - Technische Regeln Lärm und Vibrationen
Arbeitsschutzverordnung zur künstlichen optischen Strahlung (OStrV) Schutz vor Gefährdungen durch künstliche optische Strahlung RL 2006/25/EG Ausschuss für Betriebssicherheit (ABS) – siehe oben TROS - Technische Regeln künstliche optische Strahlung
Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch elektromagnetische Felder (EMFV) Schutz vor Gefährdungen durch elektromagnetische Felder RL 2013/35/EU Ausschuss für Betriebssicherheit (ABS) – siehe oben TREMF - Technische Regeln lektromagnetische Felder (liegt noch nicht vor)
Baustellenverordnung (BaustellV) Schutz vor Gefährdungen auf Baustellen RL 92/57/EWG Ausschuss für Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (ASGB) Regeln zum Arbeitsschutz auf Baustellen (RAB)
Lastenhandhabungsverordnung (LasthandhabV) Schutz vor Gefährdungen beim manuellen Handhaben von Lasten RL 90/269/EWG keiner keine
PSA-Benutzungsverordnung (PSA-BV) Vorschriften zur Benutzung von persönlicher Schutzausrüstung RL 89/656/EWG keiner keine
Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) => In die Arbeitsstättenverordnung integriert Schutz vor Gefährdungen bei Bildschirmarbeit RL 90/270/EWG keiner keine
Aber wann ist ein Rechtsbereich schon abgeschlossen? Letztlich nie. Das Recht entwickelt sich angesichts des gesellschaftlich-wirtschaftlichen Geschehens weiter, läuft dabei naturgemäß immer etwas hinterher. Was die Zukunft bringen wird, weiß auch heute keiner. Nehmen wir z.B. die 1970er Jahre, in denen Asbest in Deutschland massenhaft verbaut wurde. Damals haben sich wohl eher nur wenige vorstellen können, dass es in Deutschland schon in der ersten Hälfte der 1990er Jahre ein allgemeines Asbest-Verbot geben würde.

Trotz solcher Unabwägbarkeiten gibt es heute ganz guten Grund zu einer fachlich-rechtlichen Bilanzierung mit Blick auf das staatliche Arbeitsschutzrecht. Es wurde über viele Jahre und von vielen Beteiligten aufgebaut, stellt damit auch eine Art „Wert an sich“ dar.

In diesem Beitrag sollen die Produkte der vielfältigen Bemühungen im Überblick und aus rechtssystematischer Perspektive beschrieben werden.

Arbeitsschutzgesetz – Rechtsverordnungen zum Arbeitsschutzgesetz – Technische Regeln

Nur das obenan stehende Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) hat der Gesetzgeber, also die legislative Gewalt, der Bundestag, beschlossen. Es stammt aus dem Jahr 1996 und dient nicht zuletzt auch der nationalen Umsetzung der EU-Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz 89/391/EWG.

Das ArbSchG ist überwiegend allgemein gehalten, daher von begrenztem Umfang. Seine Vorschriften sind in Deutschland überall und immer einzuhalten.

Für Praktiker soll hier auf 2 „besondere“ Paragraphen des ArbSchG aufmerksam gemacht werden. Nicht jeder mag diese Bestimmungen bislang als Gesetzesvorschriften erkannt haben. Damit sollen andere Vorschriften des Gesetzes nicht zurückgesetzt werden.

1) §11 „Arbeitsmedizinische Vorsorge“
Hier steht als allgemeines Arbeitnehmerrecht, auf Wunsch eine arbeitsmedizinische Untersuchung vom Arbeitgeber verlangen zu dürfen. Das ist recht weitgehend. Die Vorschrift geht zurück auf Artikel 14 Absatz 2 der EU-Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz 89/391/EWG.

2) § 15 „Pflichten der Beschäftigten“
Zwar richten sich die Vorschriften des ArbSchG praktisch ausschließlich an den Arbeitgeber, aber das ArbSchG legt auch den Beschäftigten einige Pflichten auf z. B. Tragepflicht von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA). Diese Pflichten stehen in seinem § 15. Hintergrund hier: Artikel 13 der EU-Rahmenrichtlinie zum Arbeitsschutz 89/391/EWG. 

Ferner sollte der Praktiker beachten, dass es nur eine Gefährdungsbeurteilung nach ArbSchG gibt und nicht für jede einzelne Arbeitsschutzverordnung eine gesonderte. Nach diesen Einsichten kann ein Praktiker das Gesetz erst einmal ins Regal stellen und sollte es nur bei besonderen Anlässen wieder herausnehmen.

Im ArbSchG ist der § 18 „Verordnungsermächtigungen“ von Bedeutung im Hinblick auf Rechtssystematik. Darin wird die Bundesregierung ermächtigt, Rechtsverordnungen zur Konkretisierung des ArbSchG zu erlassen. Sie ist dabei aber nicht frei, sondern an den in § 18 vorgegebenen inhaltlichen Rahmen gebunden. Eine Rechtsverordnung ist kein „Nebengesetz“ und ihre Vorschriften dürfen nie in Widerspruch zum Gesetz stehen.

Der Gesetzgeber überträgt der Bundesregierung, also der exekutiven Gewalt, in einem gesetzlich (genau) bestimmten Rahmen,  echtsetzungsaufgaben im untergeordneten, konkretisierenden Bereich.

Diese „Rechtskonstruktion“, die auch einer praxisgerechten Entlastung der legislativen Gewalt dient, ist verfassungsmäßig unterlegt und wird vielfach in Gesetzen ganz unterschiedlicher Art genutzt.

Wie werden Rechtsverordnungen zum Arbeitsschutzgesetz erarbeitet?

Soll eine Rechtsverordnung der Bundesregierung zum ArbSchG erstellt, neu gefasst oder geändert werden – eine Verordnungsänderung nennt man „Novelle“ – beginnt das für diese Verordnungen federführende Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit der Erarbeitung eines Verordnungsentwurfs.

Steht so ein Arbeitsentwurf, wird er den anderen Ministerien zur Prüfung vorgelegt. Hat man sich auf ministerieller Ebene geeinigt, lädt das federführende Ministerium (BMAS) die von den neuen Rechtsvorschriften des Entwurfs praktisch Betroffenen, sowie getrennt die für den Vollzug
zuständigen Organe – konkret die Länder und Unfallversicherungsträger – zu Anhörungen ein. Übernehmen muss das BMAS die bei diesen rechtlich vorgeschriebenen Anhörungen geäußerten Einwände grundsätzlich nicht.

Ist das alles erledigt, wird ein weiter entwickelter und zwischen den Ministerien noch einmal „schlussabgestimmter“ Entwurf dem Bundeskabinett zugeleitet, das ihn nicht selten ohne Diskussion verabschiedet. Bis zur Verabschiedung durch das Bundeskabinett wird ein solcher Verordnungsentwurf „Referentenentwurf“ genannt. Nach der Absegnung erhält er den Namen „Regierungsentwurf“. Der Regierungsentwurf der Arbeitsschutzverordnung geht dann an den Bundesrat. Wegen der verfassungsrechtlichen Vollzugsaufgabe der Länder muss dieser bei den Arbeitsschutzverordnungen immer beteiligt werden.

Die vom Bundesrat unabhängig und eigenständig beschlossenen Änderungswünsche am Regierungsentwurf haben im Rechtsetzungsprozess erhebliches Gewicht. Sollte das Bundeskabinett bei seiner (dann abschließenden) 2. Befassung den Änderungswünschen des Bundesrats nicht zustimmen können, was bei Arbeitsschutzverordnungen bislang (nach Kenntnis des Autors) noch nicht der Fall war, liegt eine „Bremse“ im Vorhaben, die zu lösen ziemlich aufwändig ist.

Der § 18 "Verordnungsermächtigungen" des ArbSchG erlaubt es der Bundesregierung mit den Rechtsverordnungen zum ArbSchG
Arbeitsschutz-Ausschüsse einzurichten, die die Bundesregierung bezüglich der jeweiligen Rechtsverordnung bzw. ihren Inhalten beraten.

Bei dieser Option handelt es sich nicht um ein verfassungsrechtliches Muss. Sie ist aber sinnvoll, weil die Vorschriften der Arbeitsschutzverordnungen oft in breite Teile der Wirtschaft – vom Industriekonzern bis zum Handwerksbetrieb – hineinwirken. Das federführende BMAS bzw. die Bundesministerien können ohne Unterstützung das oft heterogene Feld der Betroffenen und ihre spezifischen Anliegen kaum überschauen. Daher hat die Bundesregierung von dieser Option „gerne“ Gebrauch gemacht. Deshalb gibt es heute den Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS), den Ausschuss für Betriebssicherheit (ABS) usw. Zuletzt wurde der Ausschuss für arbeitsmedizinische Vorsorge (AfAMed) mit der ArbMedVV eingerichtet.

Die Arbeitsschutz-Ausschüsse sind pluralistisch zusammengesetzt. In ihnen sitzen fachkompetente Vertreter der Wirtschaft, der Gewerkschaften, des Vollzugs (Länder und Unfallversicherungsträger) und unabhängige Experten nebeneinander. Das BMAS nutzt den Rat der Ausschüsse nicht zuletzt auch, um bei Vorhaben zur Neufassung oder zur Änderung einer Arbeitsschutzverordnung schon bei der Erstellung der ersten Entwürfe zu eruieren, was konsensfähig sein kann und was nicht.

In diesem Vorgehen liegt auch eine Art zusätzliche „demokratische Legitimierung“ bei der Erstellung und Weiterentwicklung von Verordnungen. Auf jeden Fall hilft es, Verordnungen von vorneherein praktikabel zu gestalten und den Verordnungsgebungsprozess zu beschleunigen.

Mit Blick auf die Verordnungen zum Arbeitsschutzgesetz gilt für den Praktiker, dass er sie schon mal öfter aus dem Regal ziehen sollte, denn ihre Vorschriften sind deutlich konkreter, nicht zuletzt auch die Vorschriften in ihren Anhängen. Der Praktiker muss beachten, dass die Vorschriften in Verordnungsanhängen rechtlich das gleiche Gewicht haben wie die Vorschriften im Verordnungshauptteil, in den Paragraphen der Verordnung. Sie sind keine „Vorschriften 2. Klasse“.

Im Unterschied zum ArbSchG enthalten seine wichtigsten Rechtsverordnungen die Möglichkeit, bei Vorliegen einer „unzumutbaren Härte“ eine behördliche Ausnahmegenehmigung von in der Verordnung festgelegten Rechtspflichten auf Antrag zu erreichen (siehe z. B. § 19 Absatz 1 GefStoffV). Diese Möglichkeit hat etwas mit dem verfassungsrechtlichen „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ zu tun. Und sie hat auch etwas damit zu tun, dass gerade bei Rechtsvorschriften mit breiter Betroffenheit nie Einzelfälle ausgeschlossen werden können, in denen eine  unzumutbare Härte“ vorliegt. Besagte Ausnahmemöglichkeit sollten Praktiker daher im Auge behalten.

Jedes Gesetz und jede Rechtsverordnung unterliegen vor ihrer Verabschiedung einer Prüfung durch das Bundesministerium der Justiz (BMJ). Das BMJ prüft, ob ihre Vorschriften verfassungskonform sind und ob die Vorschriften der Rechtsförmlichkeit eingehalten sind.
Im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit ist übrigens auch, ja sogar in erster Linie das Bundesministerium des Inneren zuständig. Obwohl man grundsätzlich jede Rechtsvorschrift unter dem Gesichtspunkt der Verfassungsmäßigkeit betrachten kann, kommt es da nur in Fällen herausgehobener Bedeutung zu echten Konflikten, z.B. mit Anrufung des Bundesverfassungsgerichts. Im Bereich des staatlichen Arbeitsschutzrechts hat es solche Fälle bislang noch nicht gegeben.

Im Hinblick auf die Rechtsförmlichkeit hat das Bundesministerium der Justiz das sogenannte „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ herausgegeben, an dessen Inhalte sich Rechtsetzer zu halten haben. Letzteres ist über das Netz auch öffentlich zugänglich. Für Praktiker spielt dieses sehr detaillierte Handbuch höchstens in seltenen Einzelfällen eine Rolle.

Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit legt generell dem Vollzug die Pflicht auf zu prüfen, ob die Sanktion eines Rechtsverstoßes verhältnismäßig ist oder nicht. Er soll dafür sorgen, dass im Vollzug nicht allzu formal vorgegangen wird. In bestimmten Fällen kann die Einhaltung einer Rechtsvorschrift für den Rechtsunterworfenen unzumutbar sein.

Zwar kann der Rechtsunterworfene nicht unmittelbar verhindern, wenn der Vollzug trotz Vorliegens einer solchen Unzumutbarkeit einen Rechtsverstoß sanktioniert, z. B. ein Bußgeld verhängt. Er kann aber gegen die Sanktion klagen. In diesem Fall entscheidet ein Verwaltungsgericht, ob tatsächlich eine Unzumutbarkeit vorliegt bzw. vorgelegen hat oder nicht.
Eine entsprechende Unzumutbarkeit erfolgreich vor Gericht geltend zu machen, erfordert jedoch gute Argumente.
...

Weiter mit Teil 2 des Überblickbeitrags.


Der Autor
Dr. Heiner Wahl ist Diplom-Chemiker und Unternehmensberater. Bis 2013 war er als Referent im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) an der Entwicklung des Arbeitsschutzrechts bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen sowie des Chemikalienrechts aktiv beteiligt.

Programmbereich: Arbeitsschutz