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Arbeitsschutzrecht in Deutschland (Foto: Angela Kausche)
Arbeitsschutzrecht

Das staatliche Arbeitsschutzrecht in Deutschland - Teil 2

Heiner Wahl
13.01.2017

Das staatliche Arbeitsschutzrecht betrifft alle Betriebe in Deutschland, verpflichtet ganz überwiegend ihre Arbeitgeber und schützt ihre Arbeitnehmer. Es war schon immer die Grundlage des staatlichen Arbeitsschutzvollzugs. Der Beitrag bietet eine fachlich-rechtliche Bilanzierung des Rechtsgebiets auch für juristische Laien.

Teil 1 des Überblickbeitrags hier.
 
Technische Regeln
bilden die dritte Rechtsebene im staatlichen Arbeitsschutzrecht – z. B. Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRGS), Technische Regeln für Betriebssicherheit (TRBS) usw. Diese konkretisieren die Rechtsverordnungen zum ArbSchG, gehen zum Teil stark ins Detail. Erarbeitet werden sie von den Arbeitsschutz-Ausschüssen bzw. ihren Untergremien (Arbeitskreise, Unterausschüsse). Bevor ein Arbeitsschutz-Ausschuss eine Technische Regel verabschiedet, erfolgt eine juristische Prüfung im BMAS, um etwaige Widersprüche zu den Vorschriften des ArbSchG und der einschlägigen Rechtsverordnung zu ermitteln. Hat der zuständige Arbeitsschuss-Ausschuss eine Technische Regel verabschiedet, kann das BMAS diese Regel auf geeignete Weise veröffentlichen. Erst nach dieser Veröffentlichung durch das BMAS erlangt eine Technische Regel die Rechtskraft der sogenannten „Vermutungswirkung“.

Zur "Vermutungswirkung" von Technischen Regeln
Für den betrieblichen Praktiker spielt der Begriff „Vermutungswirkung“ eine Rolle. Er bedeutet, dass bei Einhaltung der Bestimmungen einer Technischen Regel (z. B. einer TRGS) davon ausgegangen werden kann, dass die Vorschriften der zugehörigen Rechtsverordnung (dann GefStoffV) eingehalten werden. Es gibt aber keine Rechtspflicht, die Bestimmungen einer Technischen Regel einzuhalten, sondern man kann in der Praxis auch andere Wege gehen, wenn man begründen kann, dass auf diesen Wegen mindestens das gleiche Sicherheitsniveau für die Arbeitnehmer erreicht wird.

Zwar werden die Technischen Regeln in der Praxis zumeist in breitem Konsens verabschiedet und dann auch durch das BMAS veröffentlicht, aber im Fall der Fälle kann das BMAS durch Nicht-Veröffentlichung eine Regel sozusagen „stoppen“. Hauptsächlich handelt es sich dabei um eine aus juristischen Gründen erforderliche „Not-Aus-Option“, weil das ArbSchG nur dazu ermächtigt, Ausschüsse zur Beratung einzusetzen. Diese „Not-Aus-Option“ hat praktisch bislang keine große Rolle gespielt.

Durch die „Vermutungswirkung“ sind die Bestimmungen einer Technischen Regel weniger rechtlich bindend als die Vorschriften des ArbSchG und seiner Rechtsverordnungen, gehen aber von ihrer Rechtskraft her andererseits über reine Empfehlungen hinaus.

Das ist so ähnlich wie bei harmonisierten Technischen Normen, die das EU-Binnenmarkrecht zu Maschinen, Niederspannungsgeräten usw. (EU-Maschinenrichtlinie, EU-Niederspannungsrichtlinie ...) konkretisieren. Deutschland hat stets die Regelung von Details zum betrieblichen Arbeitsschutz im Rahmen von Normen abgelehnt [Stichwort: „Gemeinsamer Deutscher Standpunkt“ (GDS) aus 1993]. Es bevorzugt bis heute, diese Aspekte in national gültigen Technischen Regeln zu behandeln, hat aber für diese Regeln sozusagen „die Konstruktion der Rechtswirkung“ aus dem Bereich der Normung übernommen.

Zur Umsetzung von EU-Recht zur arbeitsmedizinischen Vorsorge

Die EU-(Mindest)Vorschriften zur arbeitsmedizinischen Vorsorge befinden sich nicht in einer gesonderten EU-Richtlinie, sondern sind Teil der unterschiedlichen EU-Richtlinien zum Arbeitsschutz. Generell haben sie eine ziemlich allgemeine Form, die den Mitgliedstaaten Freiräume lässt. Nachdem zunächst in Deutschland diese Vorschriften in den unterschiedlichen Einzelverordnungen, z. B. der GefStoffV und der BioStoffV umgesetzt wurden, hat sich das BMAS entschlossen, den Bereich der arbeitsmedizinischen Vorsorge in einer gesonderten, „übergreifenden“ Verordnung – der Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) – zusammenzufassen.

Die in Deutschland geübte Rechtspraxis sichert ein nationales Vorgehen über staatlich eingerichtete Gremien (Arbeitsschutz-Ausschüsse) bei der Einführung von Detailbestimmungen zum betrieblichen Arbeitsschutz ab. Der Praktiker sollte stets die Bestimmungen der für seinen Betrieb relevanten Technischen Regeln im Auge behalten. Auch ist es grundsätzlich von Vorteil, den Bestimmungen dieser Technischen Regeln zu  genügen, weil man sich dann rechtlich gesehen auf der sicheren Seite befindet. Staatliches Arbeitsschutzrecht: Dahinter stehen EU-Richtlinien, ILO-Übereinkommen, aber auch „last but not least“ ein Bestand nationaler Vorschriften.

Mit dem ArbSchG und seinen Rechtsverordnungen wird auch das bestehende Arbeitsschutzrecht der Europäischen Union in deutsches Recht umgesetzt.

Der Tabelle kann man entnehmen, in welchen deutschen Rechtstexten (ArbSchG und zugehörige Rechtsverordnungen) die Vorschriften der betreffenden EU-Richtlinien für den Arbeitsschutz umgesetzt sind.

Analog zum deutschen Arbeitsschutzrecht gibt es im EU-Arbeitsschutzrecht eine Arbeitsschutz-Rahmenrichtline und daneben eine Reihe von Richtlinien (zu dieser Rahmenrichtlinie), die die einzelnen Sektoren im Arbeitsschutz behandeln.

Was bedeutet EU-Arbeitsschutzrecht innerhalb des EU-Rechts?

Kern des EU-Rechts sind Vorschriften, die unmittelbar den Binnenmarkt, die Vermarktung von Produkten, betreffen. EU-Binnenmarktvorschriften sind von den Mitgliedstaaten 1:1, d. h. ohne Änderung, in ihr nationales Recht zu übernehmen oder sie erlangen, wie heutzutage bevorzugt, über EU-Verordnungen ohne aufwändige nationale Umsetzungsprozeduren „automatisch“ in allen Mitgliedstaaten Rechtskraft.

Neben dem EU-Binnenmarktrecht gibt es bestimmte Rechtsbereiche, in denen die EU eine Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten durch eigene Vorschriften fördern will und dies nach EU-Vertrag auch darf. Zu diesen Rechtsbereichen gehören z.B. der Arbeitsschutz und der Umweltschutz. Die Rechtsetzung z.B. in den Kernbereichen des Sozialrechts (Rentenversicherung, Krankenversicherung usw.) bleibt aber Angelegenheit der Mitgliedstaaten.

Zur Entwicklung des EU-Rechts allgemein
Das ursprüngliche und bis heute fortbestehende (Haupt-)Ziel der EU ist die Errichtung eines funktionierenden EU-Binnenmarkts. Ein solcher Binnenmarkt bedarf einer umfassenden Rechtsgrundlage, an die sich alle Mitgliedstaaten halten müssen. Dabei bildet der EU-Vertrag den Rechtsrahmen. In den letzten Jahrzehnten galt es, diese Rechtsgrundlage zu schaffen, was mit starken Rechtsetzungsaktivitäten auf EU-Ebene verbunden war. Diese Aktivitäten betrafen genauso das eigentliche EU-Binnenmarktrecht, wie die erwähnten Rechtsbereiche mit Mindestvorschriften, zu denen das Arbeitsschutzrecht zählt.

Heute ist besagte umfassende Rechtsgrundlage weitgehend da, was grundsätzlich ein echter Fortschritt ist. Wirkliche Lücken gibt es nur noch wenige. Das gilt auch für das EU-Arbeitsschutzrecht. Es scheint, dass daher eine Umorientierung mit Blick auf die EU-Rechtsetzung erforderlich ist. Heute sollten wohl nicht immer weiter neue EU-Vorschriften erlassen werden, sondern mehr Augenmerk darauf gerichtet werden, die geschaffene umfassende Rechtsgrundlage auf Basis von in der Praxis erkennbar gewordenen Schwächen sachgerecht zu korrigieren bzw. im Einzelfall vielleicht zurückzubauen.
Ein solcher sachgerechter Rückbau ist auf Grund der komplizierten Verfahren nicht einfach und vor allen Dingen ist er bislang wenig geübt. Aber wo ein Wille ist, sollte da nicht auch ein Weg sein?

EU-Richtlinien, die in den besagten bestimmten Rechtsbereichen erlassen werden, enthalten Mindestvorschriften. Das bedeutet, dass mindestens die Vorschriften dieser Richtlinien in nationales Recht zu überführen sind. Es steht Mitgliedstaaten aber frei, national vom jeweiligen „Schutzgedanken“ her strengere Vorschriften beizubehalten oder einzuführen.

In gewisser Hinsicht bilden hier die EU-Richtlinien zur Festlegung von Indicative Occupational Exposure Limit Values (IOELV; siehe Tabelle) eine Ausnahme. Zwar sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, für die von diesen Richtlinien erfassten Stoffe Expositionsgrenzwerte für den Arbeitsplatz einzuführen. Diese aber können strenger oder weniger streng ausfallen als die IOELV besagter Richtlinien. Für den Praktiker maßgeblich sind in Deutschland die Arbeitsplatzgrenzwerte der Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 900.

Auch im EU-Arbeitsschutzrecht gibt es einzelne Mindestvorschriften, über die man aus real-praktischer Sicht wohl streiten kann. Solche Vorschriften konnten in den 1990er Jahren entstehen, als EU-Rechtsetzung, wie erwähnt, allgemein modern war und manch ein Akteur womöglich meinte, bestimmte „Ideale“ einfach über die Festlegung von EU-Mindestvorschriften Wirklichkeit werden lassen zu können.

Die Lehre: Neue EU-Mindestvorschriften sollte es nur dann geben, wenn es reale Möglichkeiten zu ihrer nutzbringenden Anwendung in der Praxis gibt. Das sollte immer gründlich im Vorfeld geprüft werden. Ansonsten werden nur Probleme geschaffen, weil die Mindestvorschriften ja national umgesetzt werden müssen, soll kein chancenloses Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof riskiert werden.

Ein betrieblicher Praktiker sollte zwar von der Existenz der EU-Richtlinien zum Arbeitsschutz mit ihren Mindestvorschriften wissen, von unmittelbarer Bedeutung sind sie für ihn i. a. nicht, denn Betriebe in Deutschland haben sich an das nationale Arbeitsschutzrecht zu halten, in das die EU-Mindestvorschriften eingeflossen sind. Nur im Fall eines laufenden EU-Rechtsetzungsverfahrens im Arbeitsschutzsektor kann eine  Beobachtung der Abläufe von betrieblichem Interesse sein, weil manch einer wissen möchte, was perspektivisch auf den eigenen Betrieb zukommt oder erwägt, sich in laufende Diskussionen einzubringen.

Neben dem EU-Arbeitsschutzrecht sind in den Rechtsverordnungen zum ArbSchG auch Vorschriften aus ILO-Übereinkommen – International Labour Organisation – eingearbeitet, die Deutschland ratifiziert hat. Die ILO ist ein Kompartiment der UN (United Nations).

ILO-Übereinkommen zielen auf international gültige Standards im Arbeitsschutz ab, ein hohes Ziel. Deutschland hat eine Reihe dieser Übereinkommen ratifiziert, was wegen tendenziell hoher Arbeitsschutzstandards bei uns oft nicht sehr schwer fiel. Deutschland hat das in  der Gesamtschau mehr getan als andere vergleichbar entwickelte Staaten.

In den nationalen Rechtsverordnungen zum ArbSchG gibt es ferner eine Reihe von relevanten Vorschriften, die aus der Vergangenheit stammen und nicht von EU-Mindestvorschriften untersetzt sind. Nur zwei (recht unterschiedliche) Beispiele: 1. Die Betriebssicherheitsverordnung enthält die umfangreichen Vorschriften zu "Überwachungsbedürftigen Anlagen“, die zum Teil ziemlich „Historie“ haben. 2. Die Gefahrstoffverordnung enthält einen Anhang zu „Ammoniumnitrat“. Dieser Regelungstext ist immer noch sehr aktuell.

Das Arbeitsschutzrecht in Deutschland ist in der Gesamtschau recht differenziert. Gerade die neuen EU-Mitgliedstaaten haben die EU-Mindestvorschriften zum Arbeitsschutz oft einfach nur 1:1 übernommen, weil es dort weit weniger eigenes, gewachsenes Recht im Rechtssektor gab.

Für betriebliche Praktiker womöglich interessant ...

Die deutschen Arbeitsschutz-Ausschüsse und ihre Untergremien sind Orte, wo sich betriebliche Praktiker aktiv mit ihrem Erfahrungswissen einbringen können. Das ist stets willkommen, weil Vertreter von Verbänden, bisweilen auch Vertreter von Gewerkschaften, nicht so unmittelbar an der betrieblichen Realität dran sein können.

Als Gegenleistung zu diesem Input bestehen vielfältige Möglichkeiten zur Knüpfung von Kontakten und zur Aktualisierung und Verbesserung persönlichen Wissens.


Der Autor
Dr. Heiner Wahl ist Diplom-Chemiker und Unternehmensberater. Bis 2013 war er als Referent im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) an der Entwicklung des Arbeitsschutzrechts bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen sowie des Chemikalienrechts aktiv beteiligt.

Programmbereich: Arbeitsschutz