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Prof. Dr. Thomas Deelmann war von Anfang an klar, dass er die Berateraffäre begleiten möchte. (Foto: privat)
Nachgefragt bei Prof. Dr. Thomas Deelmann

Deelmann: „Ich hatte den Eindruck, dass alles so ungeschickt wie nur möglich gemacht wurde”

ESV-Redaktion ConsultingBay
04.10.2021
Die Berateraffäre des Bundesverteidigungsministeriums schlug nicht nur medial hohe Wellen, sondern führte schließlich zu einem Untersuchungsausschuss im Bundestag. Darüber sprachen wir im zweiteiligen ESV-Interview mit dem Beraterforscher Prof. Dr. Thomas Deelmann, der die Affäre von Anfang bis Ende begleitete und die Dokumentation sowie die Ergebnisse in seinem soeben erschienenen Buch zusammenführt.

Herr Prof. Dr. Deelmann, wann bzw. zu welchem Zeitpunkt haben Sie zum ersten Mal von der Berateraffäre im Verteidigungsministerium gehört? Was genau hat Sie als Beraterforscher daran gereizt, das Thema genauer zu verfolgen?

Thomas Deelmann: Wann es losging? Das weiß ich noch sehr gut. Über den Einsatz von Consultants gab es schon einige Zeit lang Informationen und Texte, aber Ende 2018 wurde dann intensiv über die Höhe der Ausgaben et cetera in den Online-Ausgaben der großen Zeitungen und Nachrichtenmagazine berichtet.

„Verhalten von Beratern und Kunden in den Mittelpunkt gerückt”

Mir war dann schnell klar, dass ich diese Situation begleiten will. Beratung taucht ja immer mal wieder als Themenfeld auf, aber meist in Kontexten wie Arbeitgeberattraktivität, Gehälter oder Karrieren. Hier war es aber anders. Das Verhalten von Beratern und Kunden wurde in den Mittelpunkt gerückt. Und weil es ein Ministerium, also der öffentliche Sektor war, gab es natürlich auch Empörungspotenzial – Stichwort Umgang mit Steuergeldern. Und wenn hier recherchiert wird, beispielsweise von der Opposition oder den Medien, dann sind neue Einblicke zu erwarten.

Wann kam dann die Idee, das gesamte Material zu sammeln, komplett zu sichten und auszuwerten? Und wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Thomas Deelmann: Auch das begann sehr schnell. Allerdings hatte ich zunächst noch die Erwartung, dass die Aufregung bald wieder vorbei sein würde. Aber als sich dann der Untersuchungsausschuss abzeichnete, war klar, dass es ein eigenes Archiv braucht. Der Kern dabei ist die chronologische Dokumentation. Und von der gehen dann verschiedene Seitenstränge ab, die spannend und wichtig geworden sind und erklärt werden.


„Politisch getriebenes Thema auf beratungsfachliche Ebene bringen”

Herausfordernd war dann, dieses primär politisch getriebene Thema immer wieder auf eine beratungsfachliche Ebene zu bugsieren: Ist Versäumnis A jetzt wirklich so wild oder findet das Verhalten auch in allen möglichen anderen Organisationen statt? Ist eine Handlung B einfach nur unprofessionell oder naiv oder bewusst schädigend? Warum ist ein Verhalten C nicht weit im Vorfeld unterbunden worden und wie hätte man hier frühzeitig eingreifen können?

Was ist für Sie der spannendste Aspekt der Affäre, was der Kurioseste und welcher der Besorgniserregendste?

Thomas Deelmann: Drei Dinge sind mir tatsächlich aufgefallen – unabhängig davon, welche Attribute man ihnen zuschreiben möchte. Zunächst die Forschheit einiger Berater und Beratungen. Die scheinen teilweise das Verteidigungsministerium als eine Art Selbstbedienungsladen gesehen zu haben und sich dann gedacht: Da kann ich noch richtig was rausholen!

„Enorme Unprofessionalität auf Kundenseite”

Dann ist da eine enorme Unprofessionalität auf Kundenseite gewesen. Zwischenzeitlich hatte ich den Eindruck, dass alles so ungeschickt wie nur möglich gemacht wurde.

Und schließlich, Aspekt Nummer 3, ist mir die funktionierende Gewaltenteilung in Erinnerung geblieben, über die ja doch manchmal geklagt wird. Aber hier hatte ich wirklich das Gefühl, dass die Legislative der Exekutive sehr genau auf die Finger schaut, ihre Rechte einfordert und ihre Rolle sehr ernst nimmt. Und da waren nicht nur FDP, Grüne und Linke als Oppositionsparteien im Ausschuss, die als Aufklärerinnen und Aufklärer engagiert waren, auch die SPD hat ihre eigene Regierung nicht geschont.

Sie waren vor Ort im Bundestag bei den Anhörungen dabei. Wie haben Sie die jeweils Beteiligten erlebt?

Thomas Deelmann: Den Parlamentarierinnen und Parlamentariern war wichtig, dass sie gemeinsam geschaut haben, ob die Regierung Fehler begangen hat, die sie nachweisen und aufklären konnten. Dort gab es also eine Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen und gegenseitigen Respekt in der Sacharbeit.


Prof. Dr. Thomas Deelmann

Prof. Dr. Thomas Deelmann arbeitet seit über 20 Jahren als, mit, für und über Berater. Er lehrt an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW, twittert @Ueber_Beratung, ist unter anderem Herausgeber des „Handbuchs der Unternehmensberatung“ und Co-Autor von „Consulting – Ein Lehr-, Lern- und Lesebuch“.


Was hat Ihren Forschergeist unterm Strich mehr geweckt? Die Berateraffäre mit ihren prominenten Protagonistinnen um Dr. Ursula von der Leyen und Dr. Katrin Suder von McKinsey oder die Aufarbeitung durch den Ausschuss im Bundestag bzw. die Arbeit des Untersuchungsausschusses?

Thomas Deelmann: Auf jeden Fall die Sachebene! Mich hat das Verhalten der Organisationen umgetrieben, nicht einzelne Personalien oder gar politische Motive. Das ist vielleicht auch einer der Unterschiede zwischen Presse und Wissenschaft. Mit dem Wechsel von Frau von der Leyen aus dem Verteidigungsministerium zur Europäischen Kommission war der politische Drops auch eigentlich gelutscht. Und die Luft schien auch an manchen Stellen raus zu sein. Die Sachaufklärung ging dann aber noch weiter und damit auch meine Arbeit.

Waren Sie eigentlich komplett alleine unterwegs oder gibt es einen Kreis von Mitstreitern und Mitinteressierten? Mit wem konnten Sie Ihre Forschungsergebnisse teilen?

Thomas Deelmann: Ich freue mich jetzt erstmal, dass ich meine Forschungsergebnisse in Buchform und im Rahmen von Vorträgen etc. teilen kann! Aber nein, im engeren Sinne hatte ich kein Team von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern zur Verfügung. Ein Austausch fand dann aber durchaus disziplinübergreifend statt: Gespräche mit Vergaberechtlern oder Politikwissenschaftlern an der Hochschule, um Fachdetails zu besprechen, der Austausch mit Journalisten, die sich investigativ engagiert haben, und mit verschiedenen anderen, die in dieser sehr komplizierten Situation ein Puzzle-Stein beigetragen konnten, die waren schon hilfreich.

Lesen Sie auf Consulting Bay den zweiten Teil des Interviews mit Prof. Dr. Thomas Deelmann.

Die Berateraffäre im Verteidigungsministerium

Prof. Dr. Thomas Deelmann

Die Berateraffäre im Verteidigungsministerium hat für reichlich Aufsehen gesorgt. Vom „System von der Leyen“ und einem Buddy-Netzwerk war die Rede, von untereinander zugeschusterten Aufträgen und von Beratern, die von Beamten kaum noch zu unterscheiden waren: Alles so irritierend, dass der eingesetzte Untersuchungsausschuss in 40 Sitzungen 41 Zeugen befragen und 4.700 Ordner mit Beweismaterial sichten musste.

Aus beratungsfachlicher Perspektive arbeitet Thomas Deelmann die Affäre auf. Neben dem Beratermarkt im öffentlichen Sektor, beteiligten Akteuren und Kontrollinstanzen werden die entscheidenden Szenarien ausgeleuchtet.

  • Die Ausgangssituation: Hintergründe, Verfehlungen, öffentliche Kritik
  • Die Aufarbeitung: im Untersuchungsausschuss und medial – chronologisch nachgezeichnet
  • Die Auswirkungen: Marktentwicklung, Professionalisierung, Verbesserungen

Ein prägnanter Einblick in ein dysfunktionales System mit konkreten Empfehlungen für das Beratungsprojektmanagement auf beiden Seiten. Und mit neuen Impulsen, um externe Expertise produktiv mit verantwortungsvollem Verwaltungshandeln zu verbinden.

Eine exklusive Leseprobe finden Sie hier.


(ESV, uw)

Programmbereich: Management und Wirtschaft