Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Milliardenraub Umsatzsteuerkarussell: So können sich Unternehmen schützen! (Foto: CMS Hasche Sigle)
Nachgefragt bei: Dr. Björn Demuth (CMS Hasche Sigle)

Demuth: „Know your customer!“

ESV-Redaktion Steuern
11.06.2019
Der deutsche Fiskus verliert nach vagen Schätzungen jährlich bis zu 14 Milliarden Euro an Vorsteuerbeträgen, die sich kriminelle Banden zu Unrecht erstatten lassen. Über die Erkennung von Umsatzsteuerkarussellen und Vorsorgemaßnahmen für Unternehmen sprach die ESV-Redaktion in einem zweiteiligen Interview mit den Umsatzsteuerexperten Dr. Björn Demuth und Dr. Jakob Billau.
Herr Demuth, bei der Umsatzsteuer gibt es seit Jahren Probleme mit kriminellen Banden, die hohen Schaden durch Steuerbetrug durch sogenannte Umsatzsteuerkarusselle anrichten. Was macht die Umsatzsteuer so attraktiv für Kriminelle?

Björn Demuth: Um Umsatzsteuerkarusselle zu verstehen, muss man sich zunächst mit der Funktionsweise der Umsatzsteuer vertraut machen. Normalerweise zahlt jedes Unternehmen auf seine veräußerten Dienstleistungen oder Produkte Umsatzsteuer an das für es zuständige Finanzamt. Diese Umsatzsteuer hat der Verkäufer vorher auf seine Leistung aufgeschlagen. Die Umsatzsteuer, die der Verkäufer zuvor an seine Zulieferer für Vorprodukte gezahlt hat, mindert seine Umsatzsteuerzahllast (sog. Vorsteuerabzug). So wird sichergestellt, dass lange Wertschöpfungsketten nicht benachteiligt werden, indem jeder zusätzliche Schritt voll besteuert wird. Wurden mehr Waren eingekauft als verkauft, kann dies sogar zu Umsatzsteuererstattungen führen. Damit sich Unternehmen im europäischen Binnenmarkt nicht bei den Finanzämtern jedes Mitgliedstaates registrieren müssen, gibt es eine Erleichterung. Bei einem Export ins EU-Ausland muss nicht der Lieferant die Umsatzsteuer im Zielland bezahlen, sondern der Empfänger, der dort ohnehin schon registriert ist. Gleichzeitig darf der Empfänger die Steuer in gleicher Höhe als Vorsteuer wieder abziehen, erhält das Produkt also sofort zum Nettopreis.

Wie funktionieren diese kriminellen Umsatzsteuerkarussellgeschäfte?

Björn Demuth: Beim Umsatzsteuerkarussell veräußert das im europäischen Ausland tätige Empfängerunternehmen das Produkt nun weiter, führt aber selbst keine Umsatzsteuer ab. Es behält also die Umsatzsteuer für sich zurück. Es folgt eine Verkaufskette, in die oftmals auch redliche Unternehmen, oft ohne deren Wissen, eingespannt sind – je bekannter und renommierter die eingespannten Unternehmen, desto unverdächtiger. Diese werden durch günstige Einkaufskonditionen geködert. Zuletzt wird das Produkt wieder an das erste Unternehmen im EU-Ausland veräußert und beginnt den Weg von vorn. Bis den Finanzbehörden auffällt, dass ein Kettenglied die Umsatzsteuer nicht abgeführt hat, ist dieses längst untergetaucht, also ein sogenannter Lost oder Missing Trader, und hat die nicht gezahlte Umsatzsteuer als Gewinn mitgenommen. An dessen Stelle tritt dann ein frisch gegründetes, neues Unternehmen. Das passiert spätestens alle drei bis sechs Monate. Es bleiben die redlichen Unternehmen und die Volkswirtschaft als Geschädigte.

Gibt es bestimmte Produkte, die sich für die Umsatzsteuerkarusselle besonders eignen?

Björn Demuth: Die so verfahrenden Betrüger bevorzugen für ihre Geschäfte kleine, leichte Produkte mit geringen Lagerhaltungs- und Transportkosten, aber hohem Wert und hohen Verkaufsvolumina, um in kurzer Zeit – bis der Betrug auffliegt – möglichst hohen Gewinn zu machen. Dazu gehören etwa Mobiltelefone, Kaffee, Elektronikbauteile oder (CO2- oder Ökostrom-)Zertifikate. Echte Geschäftstätigkeiten oder einen Mitarbeiterstamm gibt es üblicherweise nicht. Beim schlichten Umsatzsteuerbetrug läuft alles noch subtiler. Es werden Scheinrechnungen von einer Strohfirma an vermeintliche Kunden gestellt, die sich dann die Umsatzsteuer erstatten lassen. Die Strohfirma führt aber keine Umsatzsteuer ab.

Aktuelle Meldungen
Hier bleiben Sie auf dem aktuellen Stand im Bereich Steuern. Sie können auch unseren kostenlosen Newsletter Steuern hier abonnieren.

Diese Betrugsmasche birgt auch Gefahren für am Betrug unbeteiligte Unternehmen. Welche sind dies und wie können Unternehmer sie erkennen?

Björn Demuth: Ja, die Gefahren für etablierte Unternehmen sind groß. Sie werden oft für die verlorene Umsatzsteuer des Missing Traders in Haftung genommen. Oft wird zusätzlich die strafrechtliche Verfolgung eingeschaltet. Das ist perfide, denn für Unternehmen sind Umsatzsteuerbetrüger viel schwerer zu erkennen als für den Staat, der die Steuernummern vergibt und im monatlichen Meldewesen überall in der EU sehen kann, wo und wie Unternehmen aktiv sind. Das hat auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes erkannt und teilweise berücksichtigt. Gleichwohl sind die Unternehmen, die unmittelbar mit den kriminellen Akteuren Geschäfte machen, besonders gefährdet, denn ihnen sind besondere Kontroll- und Sorgfaltspflichten auferlegt.

Welche Aktivitäten von Unternehmen haben sich bislang als unzureichend erwiesen, um auf der sicheren Seite zu sein?

Björn Demuth: Das Überprüfen der Steuernummer, der Adresse, der Pässe und der Frachtpapiere alleine reicht hier ebenso wenig wie die Vorlage der monatlichen Umsatzsteuererklärung, ist aber erste Pflicht. Wie bei der Geldwäsche gilt: Know your customer! Dabei sind die Finanzbehörden jedoch nicht behilflich. Werden diese etwa darauf angesprochen, ob der neue Geschäftspartner unbedenklich ist, wird es keine verbindliche Auskunft geben. Aber selbst wenn ein Finanzamt sich hier vage positiv äußern würde, würde das nichts nützen. Das zeigt die Historie. Oft wurden in Umsatzsteuerkarusselle zwischengeschaltete große Unternehmen von den Finanzbehörden in Abstimmung mit den Staatsanwaltschaften bewusst im Ungewissen gelassen, damit die Ermittlungen der Täter in Ruhe erfolgen konnte. Es gab ja keinen Steuerausfall, denn die ausgefallene Umsatzsteuer wurde per Haftungsdekret vom unbescholtenen Unternehmen eingefordert. Der Ehrliche ist also der Dumme.

Was müssen diese gefährdeten Unternehmen also zu ihrer eigenen Sicherheit prüfen?

Björn Demuth: Jedes Unternehmen sollte sorgfältig prüfen: Wie lange ist mein Geschäftspartner schon am Markt tätig? Wer sind dessen Gesellschafter und Geschäftsführer. Sind die Akteure branchenerfahren? Gibt es – viele – Mitarbeiter? Sind die Preise ungewöhnlich günstig im Markt? Werden für die Firmengröße ungewöhnlich große Mengen angeboten? Steigen die angebotenen Warenvolumina in kurzer Zeit? Besonders skeptisch sollte man werden, wenn der Verkäufer bereits potentielle Käufer benennt und auch gleich die Spedition an der Hand hat. Auch Zahlungen über Plattformen oder in Steueroasen sollten tunlichst vermieden werden.

Wie kann eine compliance-seitige Vorsorge in Unternehmen aussehen, um den Gefahren und Risiken solcher Umsatzsteuerkarusselle zu begegnen?

Björn Demuth: Aus den vorgenannten Kontrollfragen wird deutlich, dass der Geschäftspartner vor Aufnahme der Geschäftsaktivitäten unbedingt genau durchleuchtet werden muss. Hierfür können bestimmte Anbieter zur Hilfe eingeschaltet werden. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Anbieter direkt auf einen zukommen aber noch nicht lange existieren. Insbesondere unbekannte Lieferanten mit einem auffällig günstigen Preis sollte das System erkennen und einer genauen Prüfung zugeführt werden. Wie Insider so schön sagen: Ominöse Anbieter „find Dich“. Da sich die Machenschaften immer etwas ändern, sollte alles was ungewöhnlich in der Branche ist, immer besonders kritisch hinterfragt werden und immer, wenn ein Geschäft auffällig günstig scheint, sollte doppelt geprüft und ein qualifizierter Berater hinzugezogen werden. Das erspart viel Ärger!

Zur Person
Dr. Björn Demuth ist Partner im Geschäftsbereich Steuerrecht bei CMS Hasche Sigle am Standort Stuttgart. Seine Beratungspraxis erstreckt sich auf Unternehmenscompliance und wesentliche Gebiete des Steuerrechts. Als Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht verfügt er über vertiefte Expertise im Unternehmens- und Umsatzsteuer- sowie Steuerstrafrecht. Regelmäßig berät er seine Mandanten in Fragen des internationalen Steuerrechts. Zunehmend intensiver wird Dr. Björn Demuth zu kritischen Betriebsprüfungen und in Fällen des Steuerstrafrechtes hinzugezogen. Diese Themen betreffen zunehmend öfter Unternehmer und Geschäftsführer im Rahmen der Steuercompliance und Haftungsinanspruchnahme, weil die Finanzbehörden in Betriebsprüfungen zunehmend Steuerhinterziehungs- und/oder Korruptionsverdacht zu erkennen glauben. Dies ist vielfach in internationalen Konzernen im Zusammenhang mit Umsatzsteuer, Transferpreisen und Einkommensteuern der Fall.

Teil 2 des Interviews:
Billau: „Das Reverse-Charge-Verfahren ist betrugsanfällig

(ESV/fl)

Programmbereich Steuerrecht

Programmbereich: Steuerrecht