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Der Aufsichtsrat: Beruf und Berufung? (Foto:privat)
Nachgefragt bei: Rudolf X. Ruter

Der Aufsichtsrat zwischen „Beruf“ und „Berufung“

ESV-Redaktion COMPLIANCEdigital
05.11.2015
Was unterscheidet einen Aufsichtsrat von einem ehrbaren Aufsichtsrat? Und wie kann bzw. soll ein Aufsichtsrat zur Haftung herangezogen werden? Hierüber spricht Rudolf X. Ruter mit der ESV-Redaktion COMPLIANCEdigital.

In Ihrem Buch haben Sie eine Karikatur vorangestellt. Dort stellt eine Person einer anderen die Frage: „Im welchen Aufsichtsrat sind wir hier?“ Ist die Ämterhäufung - auf die hier angespielt wird – abzulehnen oder sehen Sie Aspekte, die dafür sprechen, dass einige wenige in vielen Aufsichtsräten sitzen?

Rudolf X. Ruter: Sie haben Recht, „die Aufsichtsrats-Macht“ konzentriert sich in Deutschland auf 30 Frauen und Männer. Allerdings haben wir insgesamt in Deutschland mehrere Tausend Mitglieder von Beiräten und Aufsichtsräten. Im Handelsregister waren Stand September 2010 ca. 12.500 Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft eingetragen (dem stehen ca. 900.000 GmbHs gegenüber ). Davon sind weniger als 1.000 Aktiengesellschaften an deutschen Börsen notiert. Darüber hinaus gibt es weitere kapitalmarktorientierte Unternehmen in anderen Rechtsformen, die einen gesetzlichen Aufsichtsrat erfordern und zahlreiche, insbesondere mittelständische Familienunternehmen, die ein fakultatives Kontrollgremium etabliert haben (ebenfalls als Aufsichtsrat oder als Beirat, Verwaltungsrat etc. bezeichnet). Allein im Deutschen Aktienindex (DAX), im MDAX sowie im SDAX waren Ende Oktober 2011 zusammen insgesamt 1.465 Mandatsträger bestellt. Zusammen mit den freiwilligen Beiräten und den Aufsichtsräten in allen Bundes, Landes- und kommunalen öffentlichen Unternehmen haben wir einige tausend Mandatsträger in Deutschland. Da kommt es gelegentlich auch zur Ämterhäufung.

Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hat sich in der diesjährigen Revision des Kodexes vor allem auf die Rolle des Aufsichtsrates konzentriert. Eine Empfehlung lautet: Der Aufsichtsrat solle sich bei seinen Wahlvorschlägen neuer Aufsichtsratsmitglieder bei dem jeweiligen Kandidaten vergewissern, ob er den zu erwartenden Zeitaufwand aufbringen kann (Ziff. 5.4.1 Abs. 4). Ist das sinnvoll und geeignet die „Ämterhäufung“ einzudämmen?

Rudolf X. Ruter: Grundsätzlich ist die Vorschrift sinnvoll. Allerdings habe ich große Zweifel, wie in der Praxis dieses „Vergewissern“ bzgl. ausreichender Zeit von statten gehen soll. Wer kann im vor hinein (bei der Mandatskandidatur) glaubhaft und nachprüfbar nachweisen, dass er den erforderlichen Zeitaufwand gewährleisten kann?

Der ehrbare Aufsichtsrat muss meiner Meinung nach selbst darauf achten, dass ihm für die Wahrnehmung seiner Mandate genügend Zeit zur Verfügung steht (vgl. DGCK 5.4.5). Und wenn er dies nicht leisten kann, das Mandat gar nicht erst antreten.

Die persönliche Prüfung des Konzernabschlusses (vgl. DCGK 7.1.2) und die ausreichende Kommunikation mit dem Abschlussprüfer (vgl. DCGK 7.2.3) sind zeitintensiv. Er benötigt ausreichend Zeit für das gründliche Lesen und eigene Bewerten der erforderlichen Informationen und Unterlagen. Ausreichend Zeit zur Vorbereitung, Teilnahme und evtl. Leitung, Nachbereitungen aller Sitzungen und permanenter eigener Informationsversorgung, Fort- und Weiterbildung. Er muss genügend Zeit und Ruhe haben um anstehende komplexe Situationen und Probleme intensiv ‚zu Überdenken’.

Und er benötigt Zeit für seine Neugierde und für Innovationen. Der ehrbare Aufsichtsrat hat aufgrund seiner emotionalen und kognitiven Intelligenz Spaß an Innovationen. Er kennt nicht nur die Produkte und die Branche, sondern ist auch neugierig auf technologische Entwicklungen und stellt Altbewährtes gerne auf den Prüfstand. Der ehrbare Aufsichtsrat handelt weise, indem er stets an die Zukunft denkt. Er bezieht bei seinem Handeln die jeweils möglichen Konsequenzen mit ein und agiert somit vorausschauend für die Zukunft des Unternehmens. Das alles ist sehr zeitintensiv.
 
„Einen Aufsichtsrat haften zu lassen ist schwieriger, als eine Sau am eingeseiften Schwanz festzuhalten“, wird der damalige Deutsche-Bank-Vorstand Hermann Josef Abs zitiert. Warum ist es so schwierig, Aufsichtsräte in die Haftung zu nehmen?

Rudolf X. Ruter: Verantwortung ist ein vielschichtiger Begriff. Es gibt die aktive Verantwortung ‚die jemand trägt’ (Zuständigkeitsverantwortung) und die passive Verantwortung ‚zu der jemand gezogen wird’ (Rechenschaftsverantwortung).

Und dann gibt es noch die dritte Bedeutung: Verantwortung als Haftung für ein Fehlverhalten. Einerseits einer rechtlichen (legalen) Haftung aber auch andererseits einer persönlichen (legitimen) Haftung (von ‚haften’ im Sinn von ‚anheften’) zur  Übernahme eines Schadens durch einen anderen als den unmittelbar Betroffenen. Das bedeutet in beiden Fällen die Verpflichtung zum Schadensersatz (Haftpflicht) in materieller oder immaterieller Sicht (Amts- und / oder Reputationsverlust).

Ich glaube, dass heute schon viele Aufsichtsräte in immaterieller Sicht regelmäßig haften durch Amts- oder Reputationsverlust. Bei der materiellen Haftung fehlt es leider noch an entsprechender Gesetzgebung und Umsetzung durch Gerichtsurteile. Kläger ist ja in diesem Falle meist das Unternehmen. Und wir kennen alle den Spruch: „Eine Krähe hackt der andere kein Auge aus.“

Nicht so der ehrbare Aufsichtsrat. Er ist auch zu sich selbst gerecht. Ehrlichkeit zu sich selbst ohne Selbsttäuschung oder Verblendung. Für ihn ist es selbstverständlich, dass er seine persönliche Haftung für Pflichtverletzungen im Rahmen seiner Verantwortung und seines Handelns akzeptiert (vgl. DCGK 3.8).

In ihrem Buch beschreiben Sie konkrete Regeln und Tugenden im Geschäftsleben als Leitlinien, nach denen sich Aufsichtsräte orientieren sollen. Kann man „Aufsichtsrat“ lernen?

Rudolf X. Ruter: Es geht hier um die Frage, ist die Wahrnehmung der Verantwortung eines Aufsichtsrats „Beruf“ oder „Berufung“. Eigene Erfahrungen und Erkenntnisse sind die Basis guter Aufsichtsratstätigkeit. „Nur Unternehmer können Unternehmer überwachen und beraten“.

Aus Sicht der Öffentlichkeit ist „Manager“ ein Beruf, wenn auch nicht immer mit der notwendigen Anerkennung in der Öffentlichkeit. Sowohl Aufsichtsräte als auch Vorstände, Geschäftsführer und sonstige Führungskräfte mit operativer Verantwortung (so genannte Funktions- und/oder Organträger) werden unter diesem Berufs-„Oberbegriff“ subsumiert.

„Die Aufsichtsratstätigkeit kann ein Beruf sein, muss es aber nicht“ so Heinz Otto Dürr, deutscher Unternehmer und Manager, Aufsichtsratsvorsitzender und Großaktionär der Dürr AG. Auch wenn insbesondere die sehr erfahrenen und aktuell in Amt und Würde befindlichen Aufsichtsräte ihre Verantwortung meist grundsätzlich eher als „Berufung“ ansehen, wird immer öfters davon gesprochen, dass eine ehrenamtliche Kontrolltätigkeit den immer größer werdenden Verantwortungsbereichen eines Aufsichtsratsmitglieds nicht gerecht wird.

„Aufsichtsräte sind immer "berufen" und schon deshalb "im Beruf". Ich auch "aus Berufung" und mit dem anwaltlichen Vorteil, schon standesrechtlich nur den Interessen eines Individuums dienen zu dürfen, nämlich der Gesellschaft“ so Dr. Claus Recktenwald, von Beruf aus Rechtsanwalt und Aufsichtsrat in diversen Gesellschaften.

Immer öfters werden so genannte Berufsaufsichtsräte bestellt. „Berufsaufsichtsräte müssen nicht notwendigerweise alt sein. Natürlich müssen sie eine gewisse Erfahrung mitbringen. Ein 35-jähriger kann vielleicht einen Tennisklub leiten, aber keinen Aufsichtsrat. Ein 55-jähriger Vorstand kann das durchaus“ so Manfred Schneider, Deutschlands mächtigster Aufsichtsrat.

„Wir können stolz auf unsere ehrbaren Aufsichtsräte sein“ lautet eine Kapitelüberschrift Ihres Buches. Halten Sie daran vor dem Hintergrund des VW-Skandals fest?

Rudolf X. Ruter: Ja. Absolut. Ehrbarkeit ist in der deutschen Wirtschaft weit verbreitet. Immer mehr und insbesondere jüngere Führungskräfte bekennen sich zu einer klaren Sinn- und Werte-Orientierung und verabschieden sich von Arroganz, Hochmut, Geiz, Genusssucht, Zorn, Völlerei, Neid und Veränderungsträgheit.

Der nachhaltige und anhaltende Erfolg unserer zahlreichen Familienunternehmen basiert im Wesentlichen auf Ehrbarkeit. Zum Beispiel die Robert Bosch GmbH in Stuttgart: Bosch ist stolz darauf, „unternehmerische Verantwortung nicht als Zweck, sondern als Bedingung wirtschaftlichen Handelns zu leben“. Franz Fehrenbach (*1949), Vorsitzender des Aufsichtsrats, brachte es in einem prägnanten Satz auf den Punkt: „Wir übernehmen Verantwortung nicht, wir unternehmen sie“. Robert Bosch (1861-1942) hat es  im Jahr 1921 selbst wie folgt formuliert: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen. Die Unantastbarkeit meiner Versprechungen, der Glaube an den Wert meiner Ware und an mein Wort standen mir stets höher als ein vorübergehender Gewinn.“

Eine transparente, verantwortungsvolle und nachhaltige Unternehmensführung gewinnt weiterhin einen immer höheren gesellschaftlichen Stellenwert. Die Anzahl der deutschen, ehrbaren Aufsichtsräte und Beiräte innerhalb der mehrere tausend Personen umfassenden Mitglieder aller Aufsichtsgremien wie Aufsichtsrat, Beirat oder Stiftungsrat wächst kontinuierlich. Ja, ich bin stolz auf „unsere ehrbaren Aufsichtsräte“. (ESV/ms, map)

Weiterlesen? Im ersten Teil des Interviews auf ESV.info beschreibt Rudolf X. Ruter, warum eine Rückbesinnung auf bewährte ethische Werte notwendig ist.

Wie ist Ihre Meinung zum Thema „ehrbarer Aufsichtsrat“? Rudolf X. Ruter freut sich über Feedback zu dem Band. Sie erreichen Ihn unter folgender E-Mail: rudolf.x(at-ehrbarer-Aufsichtsrat-at)ruter.de.


Zur Person

Als Experte für Nachhaltigkeit und Corporate Governance beschäftigt sich Rudolf X. Ruter seit knapp vier Jahrzehnten verstärkt mit Ethik und Ehrbarkeit in der Wirtschaft. Er ist überzeugt, dass Glaubwürdigkeit und Reputation die Währung unserer Zukunft ist.

Nach seiner Tätigkeit als Gesellschafter und Geschäftsführer bei Arthur Andersen baute er als Partner bei Ernst & Young den Geschäftsbereich Nachhaltigkeit in Deutschland auf. Er hat zahlreiche Fachartikel u. a. zum Thema Nachhaltigkeit, Corporate Governance, Compliance, AR/Beiräte und Unternehmensführung veröffentlicht (www.ruter.de).

Gerade ist im ESV der aktuelle Band „Tugenden eines ehrbaren Aufsichtsrats: Leitlinien für nachhaltiges Erfolgsmanagement“ erschienen.