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Der Schreibstil manifestiert sich im Prozess des Schreibens. (Foto: BillionPhotos.com – stock.adobe.com)
Auszug aus dem ZfdPh-Sonderheft „Der Stil der Literaturwissenschaft“

Der besondere Stil

ESV-Redaktion Philologie
14.01.2022
Was ist Stil? Kaum ein Begriff ist so ambivalent. Einerseits hat Stil immer eine normbezogene Komponente – guter Stil gehorcht Konventionen –, andererseits enthält er auch eine individuelle Komponente, die die Konventionen in einem bestimmten Rahmen verlässt. Erst im Zusammenwirken dieser beiden Faktoren ist ein stilistisches Gelingen möglich.
Unser neues ZfdPh-Sonderheft widmet sich diesem Thema aus literaturwissenschaftlicher Sicht. Die Fragen lauten: Hat die Literaturwissenschaft Stil – und vielleicht sogar mehr als einen? Wodurch zeichnet sich beispielweise Peter Szondis ‚besonderer‘ Stil aus? Welche Stileigenschaften verschaffen seinem ‚Stil‘ diese Sonderrolle?

Der Mitherausgeberin des neu erschienenen Sonderhefts „Der Stil der Literaturwissenschaft“, Eva Geulen, geht es in ihrem Aufsatz nicht um Peter Szondis Stil, sondern um „Szondi über Stil“. Peter Szondi habe laut Geulen ‚Stil‘ und ‚Stilwandel‘ für obsolete Kategorien erklärt und keine Bühne hinterlassen, jedoch seinen Stil. Dabei empfiehlt Eva Geulen in ihrem Aufsatz die ebenfalls im gleichen Sonderheft veröffentlichte aufschlussreiche stilometrische Untersuchung zu 15 ausgewählten Texten Szondis. Lesen Sie einen Auszug aus Eva Geulens Aufsatz „Ohne Bühne. Peter Szondi“ im aktuellen ZfdPh-Sonderheft, Band 140, S. 183ff.:


Er gehörte keiner Schule an und hat auch keine begründet. Stilbildend war er also nicht. Aber ein ganzes Institut ist nach ihm benannt, Ausstellungen wurden ihm gewidmet, und viele berufen sich auf ihn. Er starb früh und freiwillig, wurde auch früh, aber unfreiwillig, zu einem Klassiker. Die Szondi-Forschung bildet inzwischen einen internationalen Forschungszweig. Dabei geht es immer wieder um seinen besonderen Stil. Bereits 1979 – da war Szondis seit 1971 vakanter Lehrstuhl endlich mit Eberhard Lämmert wiederbesetzt – organisierte Jean Bollack in Paris ein erstes Kolloquium zu Szondis Werk. Seither ist die Serie der Konferenzen, Sammelbände, Sonderhefte und Aufsätze nicht abgerissen.

Im vorliegenden Band wird Szondi erstmals einer vergleichend angelegten computergestützten stilometrischen Untersuchung unterzogen – „gerade wegen“, so formulieren Fotis Jannidis, Leonard Konle und Steffen Martus, „der Besonderheiten seiner Position im wissenschaftlichen Feld“ (Jannidis, Konle, Martus 2021, S. 156). Dazu gehört auch seine Schwellenposition in einer fachgeschichtlichen Umbruchphase. Die Ergebnisse bestätigen, dass sein Vokabular sowohl auf die ältere Literaturwissenschaft zurück- wie auf die neuere (nach 1970) vorausweist. Jannidis, Martus und Konle eröffnen ihren Beitrag jedoch konventionell mit einem Blick ins Archiv, auf die erste Manuskriptseite des als Habilitationsvortrag geplanten Textes über Kleists „Amphytrion“. Szondis nicht zu übersehender Überarbeitungsfuror sei „ebenso unscheinbar wie intensiv“ (Jannidis, Konle, Martus 2021, S. 158). Damit ist ihnen eine Formulierung in die Feder geflossen (wenn man das einmal so sagen darf), die man aus der Szondi-Stil-Forschung kennt. Jannidis, Martus und Konle möchten so verstanden werden, dass Szondis Überarbeitungsaufwand in keinem Verhältnis zum endgültigen Resultat steht, und nicht stehen kann, weil es auch ein besessener Wissenschaftsstilist – und Szondi war offenbar einer – mit Kontingenzen zu tun hat, die das Individuum nicht kontrollieren, die Stilometrie aber immerhin aufzeigen kann. Diesen Nachweis treten die drei Autoren erfolgreich an und können dabei mit einigen Überraschungen aufwarten, u.a. zur disziplinübergreifenden Homogenität der Entwicklung von Wissenschaftssprachen.

Ein zeitloser Stil 14.08.2018
Romero de Torres’ Meisterwerk „Cante jondo“ in neuem Licht
Cordoba baute ihm ein imposantes Monument, er brachte den Andalusien-Mythos in die Malerei, Spanien druckte seine Werke auf Briefmarken und Geldscheine: Romero de Torres’ Werk ist bis heute allgegenwärtig in der spanischen Lebenswelt. Sein Ölgemälde „Cante jondo“ gilt als Schlüsselwerk eines zeitlosen Stils. mehr …


„[S]o unscheinbar wie intensiv“ ist die ausgenüchterte Minimalversion ähnlich paradoxer, aber häufig sehr viel pathetischerer Formeln, die im Zusammenhang mit Szondi längst topisch sind. Gert Mattenklott beobachtete „formgestaute Energien“ (Mattenklott 1994). Dieter Burdorf zitiert Szondi über Hölderlin – „‚Verschränkung von Entschlossenheit zum Äußersten und von Zaghaftigkeit, von Kühnheit und Demut, Kraft und Schwäche‘“ – und kann nicht umhin, darin auch Szondis eigenen Stil zu sehen (Burdorf 2014, S. 421). Schon in den Hausarbeiten des 22-Jährigen entdeckt Andreas Isenschmid das charakteristische Widerspiel von kühler Distanz und drängender Subjektivität: „so unpersönlich, so sachlich, knapp und theoretisch kristallin sie formuliert sind“, gehe von ihnen schon „die starke persönliche Strahlung aus“ (Isenschmid 2014, S. 389).

Manfred Frank war einer der Ersten, die bemerkten, dass das schreibende Subjekt in Szondis Texten „gleichzeitig abwesend und anwesend“ sei (Frank zit. nach Riechers 2020, S. 11). Elegant pointiert Christoph König in einem seiner Aufsätze zu Szondis Stil: „Statt […] ein Inneres zu verbergen, bildet Szondi eine Objektivität aus, die das Selbst ist“ (König 2017, S. 637). Diese immer wieder angeführten Paradoxa sind unterschiedlich begründet und ausgedeutet worden, unter anderem biographisch und zeitgeschichtlich.


Haben wir Ihre Neugier geweckt? Neben Eva Geulens Erkenntnissen zu Peter Szondis Stil und der quantitativen Herangehensweise von Jannidis, Konle und Martus kann der Band, welcher auch als e-Book erhältlich ist, noch mit vielen weiteren interessanten Aufsätzen zu Fragen nach dem Stil der Literaturwissenschaft aufwarten.

Die Herausgebenden
Eva Geulen ist seit 2015 Direktorin des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung und Professorin für Europäische Kultur- und Wissensgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur des 18. bis 21. Jahrhunderts, sowie zur Literatur- und Wissenschaftstheorie und zur Philosophie. Zuletzt erschienen: „Aus dem Leben der Form. Goethes Morphologie und die Nager“, Berlin 2016; als Mithg.in: „Formen des Ganzen“, Göttingen 2022.

Claude Haas leitet seit 2021 den Programmbereich „Weltliteratur“ am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur des 17. bis 21. Jahrhunderts, sowie zu Darstellungsfragen und zur Literarizität theoretischer und wissenschaftlicher Texte. Zuletzt erschienen: als Mithg.: „Über Wissenschaft reden“, Berlin/Boston 2019: als Mithg.: „Formen des Ganzen“, Göttingen 2022.

Der Stil der Literaturwissenschaft
Herausgegeben von Prof. Dr. Eva Geulen und Dr. Claude Haas

Mit Beiträgen von: Amanda Anderson, Moritz Baßler, Rüdiger Campe, Heinrich Detering, Lars Friedrich, Eva Geulen, Susanne Gödde, Hans Ulrich Gumbrecht, Peter Geimer, Pola Groß, Claude Haas, Barbara Hahn, Anselm Haverkamp, Fotis Jannidis, Leonard Konle, Joel B. Lande, Andreas Lipowsky, Steffen Martus, Melanie Möller, Moritz Neuffer, Elisa Ronzheimer, Matthias Schwartz, Ralf Simon, Anita Traninger und Juliane Vogel

Wir waren neugierig: Hat die Literaturwissenschaft Stil? Und vielleicht sogar mehr als einen? Oder doch gar keinen? Pflegen Autorinnen und Autoren, die sich hauptberuflich auf unterschiedliche Weise (z.B. historisch, immanent, gesellschaftskritisch, medienhistorisch) mit literarischen Stilphänomenen verschiedener Provenienz beschäftigen, ein Verhältnis zur eigenen Schreibtätigkeit? Darf man sie schicklich danach fragen?
Die hier verhandelten Autorinnen und Autoren können keine dieser Fragen mehr beantworten, denn sie leben nicht mehr. Aber lebende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich auf unsere Einladung hin über die Texte dieser Toten gebeugt und sie auf ihren Stil hin befragt. Das Resultat dieses Experimentes verschafft doppelte Einsicht, in vergangene wie in gegenwärtige Stil-Präferenzen. Ein paar überraschend neue Perspektivierungen und Pointen gibt es auch. Vollständigkeit wurde nicht angestrebt. Es handelt sich um Fall-Studien zu Personen- und Gruppenstilen. Sie werden gerahmt von Überlegungen zu den historischen Zulassungsbedingungen von Stil für Prosa und zu Stilgemeinschaften im Netz.

 



Programmbereich: Germanistik und Komparatistik