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Gehört in jede katalanische Krippe: der ‚caganer‘ (Foto: nito/Fotolia.com)
Weihnachten 2018

Der ‚caganer‘ – eine außergewöhnliche katalanische Weihnachtstradition

ESV-Redaktion Philologie
14.12.2018
Was ist das denn? Was macht der da? Unappetitlich? Geschmacklos? Blasphemie? Etwas versteckt hockt in katalanischen Weihnachtskrippen eine Figur, entblößt ihren Hintern und verrichtet ihr Geschäft. Der caganer ist nicht einfach ein frecher Witz, sondern fester Bestandteil katalanischer Krippen.
Es ist wieder so weit. In allen Teilen der Welt, die christlich geprägt sind, werden die Weihnachtskrippen ausgepackt und aufgestellt. In Kirchen, Einkaufspassagen, auf größeren öffentlichen Plätzen, zuhause als Teil der Weihnachtsdekoration. Dabei sind die Figuren in der Regel die gleichen, wenn auch mit Variationen, was ihre Kleidung oder ihre äußere Erscheinung betrifft; in andinisch geprägten Regionen Südamerikas gesellt sich vielleicht auch einmal ein Alpaka dazu. Doch Maria und Josef, die Futterkrippe mit dem Jesuskind, die betenden Hirten, der Ochse, der Esel, die Heiligen Drei Könige, ein Engel – diese Figuren fehlen wohl nirgends.

Beim Betrachten katalanischer Krippen, Katalanisch ‚pessebre‘, auf Spanisch ‚Belén‘ (Bethlehem), mag man sich jedoch etwas wundern: Wer hockt denn da? Sind das tatsächlich Exkremente? In der nordspanischen Region Katalonien ist der caganer mit nacktem Hintern und frisch gemachtem Haufen fester Bestandteil des Personals der Krippe, auch in den Kirchen. Caganer leitet sich ab von Katalanisch ‚cagar‘, wie im Spanischen, und bedeutet also so viel ‚Scheißer‘. Die Verwandtschaft mit dem deutschen Verb ‚kacken‘ ist leicht zu erkennen, nur dass ‚cagar‘ in Spanien – und Katalonien – nicht ganz so vulgär klingt wie kacken in Deutschland.

Seit gut 200 Jahren ein fester Bestandteil katalanischer Krippen

In Spanien werden die Krippen in der Regel am 8. Dezember aufgestellt, dem Tag der Mariä Empfängnis (auf Spanisch ‚el día de la Inmaculada Concepción‘) oder am Tag der Heiligen Lucía, Santa Lucía, am 13. Dezember. Es heißt meistens, der caganer habe vor etwa 200 Jahren seinen Platz in den katalanischen Krippen gefunden, als das einfache Leben und die verschiedenen Berufsstände in die Krippen Einzug gehalten hat – vielleicht aber auch schon in der Zeit des Barocks –, um den Alltag der gewöhnlichen Menschen und Bauern zu zeigen und nicht mehr nur die adligen Menschen. Und so wird der caganer  traditioneller Weise als katalanischer Bauer dargestellt, mit Barretina, der roten Mütze mit schwarzem Rand, einem weißen hochgekrempelten Hemd, schwarzen Hosen und rotem Gürtel.

Ein Bild für den Stolz der Katalanen

Es gibt verschiedene Ansätze, diese Figur und ihre Präsenz in den Weihnachtskrippen zu interpretieren. Zum einen wird der caganer als Versinnbildlichung des Lebenskreislaufs verstanden, der mit den Exkrementen der Natur Nährstoffe als Dünger zurückgibt, als Symbol der Fruchtbarkeit also. Zum anderen kann die Figur des caganer auch als eine Illustrierung verschiedener Gegensätze verstanden werden: das Unfeierliche im Feierlichen, das Profane im Heiligen, das Grotesk-Irdische neben der Geburt Gottes, ein Gegenpol zur bürgerlichen Furcht vor der Verdauung und ihren Auswirkungen. Eine politische Interpretation der Figur versteht sie als Veranschaulichung des Stolzes der Katalanen, die sich keiner fremden Macht beugen wollen. Vor allem aber ist der caganer ein Glücksbringer.

Auch Angela Merkel und Lionel Messi hocken in manchen Krippen

Nicht einmal während der Diktatur Francos (1936/39 bis 1975), der jegliche regionale Kulturen und Sprachen unterdrückte, war der caganer verboten, nur durfte er kein katalanisches Symbol sein und musste auf seine typische Kleidung verzichten. Heutzutage ist er wieder eindeutig als Katalane zu identifizieren. Sehr verbreitet und beliebt ist auch die Darstellung aller möglichen prominenten Persönlichkeiten – Politiker, Fußballer etc. – als caganer. Und so gibt es Figuren eines sich entleerenden Lionel Messi und vielen anderen Sportlern, und neben den prominenten spanischen und katalanischen Politikern auch einer Angela Merkel und vielen anderen. Jedoch ist diese nicht als Beleidung oder Respektlosigkeit gemeint, sondern viel mehr als Auszeichnung, gewissermaßen als Ritterschlag.

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(ESV/ke)

Programmbereich: Romanistik