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Stefan Diefenbach-Trommer über die Auswirkungen des Attac-Urteils. (Foto: Kerstin Klupsch)
Nachgefragt bei: Stefan Diefenbach-Trommer

„Der Gesetzgeber ist gefragt”

Dr. Christoph Mecking, Stiftung&Sponsoring
20.12.2019
Das Attac-Urteil des BFH Anfang des Jahres sorgte in der Stiftungsszene für erhebliche Aufregung. Im Gespräch mit der Stiftung&Sponsoring-Redaktion geht Stefan Diefenbach-Trommer von der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung” auf die Folgen der Entscheidung für das Gemeinnützigkeitsrecht ein.


S&S: Herr Diefenbach-Trommer, Sie sind das Gesicht der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung”, die sich für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht einsetzt. Wo sehen Sie denn Defizite?


Diefenbach-Trommer: Das Gemeinnützigkeitsrecht ist das Statusrecht zivilgesellschaftlicher Organisationen, bildet aber nicht die Vielfalt ihrer Funktionen ab. Verschiedenste Vereine und Stiftungen werden in einen Rahmen gepresst – vom Krankenhauskonzern bis zur kleinen örtlichen Initiative ohne jegliche Umsätze. Im Kern ist es zwar ein liberales Recht, da der Staat mit dem Katalog steuerbegünstigter Zwecke Räume bestimmt, aber keine Ziele vorgibt. Allerdings fehlen wichtige Handlungsräume. So finden Organisationen, die sich als Wächter demokratischer Institutionen und Anwälte für politische Themen einmischen, und damit auch Menschen, die sich in ihnen außerhalb von Parteien selbstlos politisch engagieren, keinen passenden Raum.

S&S: Der BFH argumentiert besonders mit der Abgrenzung gemeinnütziger Strukturen von politischen Parteien. Überzeugt Sie diese Argumentation?

„Ungleiches gleich behandelt”

Diefenbach-Trommer: Der BFH hat die Abgrenzung gemeinnütziger Organisationen zu politischen Parteien nicht gründlich untersucht; dabei wäre das besonders hilfreich gewesen. Stattdessen hat er Ungleiches gleich behandelt: Er hat den parteifernen und frei finanzierten Verein Attac gleich behandelt wie einen parteinahen Stiftungsverein, der direkte staatliche Förderung erhält. Er hat nicht den Unterschied herausgearbeitet, dass Parteien anders als gemeinnützige Organisationen versuchen, ihre Ziele zu erreichen, indem sie in Wahlen politische Macht erlangen, und dass es darum gerechtfertigt ist, deren Spendenfinanzierung genau zu regulieren. Diskriminiert wird letztlich der Bürger in seinem Recht auf gleicher Teilhabe an der politischen Willensbildung, wenn eine Spende an Attac gar nicht begünstigt sein soll, eine Spende an eine Partei aber schon.

S&S: Welche Konsequenzen hat die Entscheidung des BFH für die Praxis der bisher gemeinnützigen Stiftungen und Vereine?

Diefenbach-Trommer: Das Bundesfinanzministerium hat das Urteil amtlich veröffentlicht und damit alle Finanzämter angewiesen, die Grundsätze anzuwenden. Das fällt denen nicht leicht, sie greifen teils nur die Leitsätze auf. Die Folgen sind noch nicht abzusehen. Zu Recht löst das Urteil Unsicherheit und Sorge aus. Insbesondere Organisationen, die sich auf den Zweck der politischen Bildung berufen, sind unsicher, was sie nun noch dürfen und was nicht, und wie das Finanzamt ihre bisherigen Tätigkeiten bewerten wird. Das BMF wäre besser beraten gewesen, mit der Veröffentlichung des Urteils klare Anweisungen zu geben und mit unklaren Formulierungen aufzuräumen. Organisationen, die für ihre Anliegen keine konkreten Zwecke im Gesetz finden und sich daher mit dem Meta-Zweck der Bildung beholfen haben, sind nun auf jeden Fall gefährdet. Erste Aberkennungen auf der Grundlage des Urteils gibt es schon.

„Jeder Einzelne meistens zu alleine”

S&S: Warum bedarf es denn überhaupt einer Absicherung eines politisch verstandenen zivilgesellschaftlichen Engagements für die Demokratie? Ist das nicht die Sache eines jeden Einzelnen?

Diefenbach-Trommer: Natürlich ist es das. Aber gleichzeitig ist jeder Einzelne dafür meistens zu alleine. Die Bündelung engagierter Menschen ist die Aufgabe zivilgesellschaftlicher Organisationen. Je nach wirtschaftlichen Verhältnissen, je nach kulturellen oder sozialen Ressourcen ist es Menschen sehr verschieden möglich, ihre Stimme einzeln einzubringen. Insbesondere diejenigen, die wenige Ressourcen zur Verfügung haben, brauchen solche Organisationen, um im politischen Willensbildungsprozess gehört zu werden.

Zur Person
Stefan Diefenbach-Trommer, geboren 1971 in München, verheiratet, drei Kinder, ist gelernter Journalist, studierter Arabist (Nebenfach Verwaltungsrecht) und erfahrener Campaigner. Ende 2014 baute er die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung” mit auf, die er heute als Vorstand leitet. Daneben unterstützt er zivilgesellschaftliche Organisationen als freiberuflicher Berater für Fundraising, Öffentlichkeitsarbeit, Strategie und Organisationsentwicklung. Von 2008 bis 2014 baute er die Anti-Atom-Organisation „.ausgestrahlt” mit auf; davor war er als Koordinator des Bündnisses „Bahn für Alle” tätig.

Zwischenzeitlich war er parallel zu seiner Arbeit in der Allianz ein Jahr lang Fundraiser bei Attac. Er ist Mitglied in verschiedenen NPOs wie der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung und dem Deutschen Fundraising Verband sowie ehrenamtliches Stiftungsratsmitglied der Bewegungsstiftung.

S&S: Wie sehen Sie die Umsetzungschancen für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts?

Diefenbach-Trommer: Das ist schwer zu sagen, da eine Reform auch von dem Druck abhängt, den die Menschen und zivilgesellschaftlichen Organisationen erzeugen. Sie hängt auch davon ab, wie sehr es quer durch alle Bereiche gelingt, deutlich zu machen, dass grundsätzliche demokratische Fragen berührt sind. Und schließlich davon, welches Verständnis die Entscheider in Parlament und Regierung von einer modernen Demokratie haben. Bei der SPD ist Nachdenken zu spüren, bei CDU und CSU leider viel Abwehr. Ich hoffe, dass die Reform noch vor einer Wahl gelingt und nicht erst mit neuen Mehrheiten.

S&S: Mit Blick auf Ihre Ziele und die der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung”: Sind Sie optimistisch gestimmt?

Diefenbach-Trommer: Ich bin ganz sicher optimistisch, dass sich etwas bewegt. Wie schnell und wie viel, wird sich zeigen. Aber allein schon, dass diese Debatte geführt wird und immer mehr Menschen die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Organisationen für unsere Demokratie und für gute Entscheidungen erkennen, sind große Fortschritte. Ich hoffe natürlich, dass wir unsere Forderungen durchsetzen können und noch mehr, dass es nicht nötig sein wird, das, was wir schon haben, gegen Rückschritte verteidigen zu müssen.

Das gesamte Interview finden Sie in der Ausgabe 4/19 der Stiftung & Sponsoring, oder auch im eJournal.

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Herausgeber: Dr. Christoph Mecking und Erich Steinsdörfer
Redaktionsbeirat: Dr. Roland Kaehlbrandt
Chefredakteur: Christian Veh

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(ESV/me)

Programmbereich: Management und Wirtschaft