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Dr. Markus Appel: Grundrechtsbeschränkungen in Deutschland nur unter Hinweis auf das nationale CO2-Restbudget sind verfassungsrechtlich problematisch, wenn sich nicht auch andere Länder einschränken (Foto: Jenny Sturm / stock adobe.com)
Klimawandel und Klimaschutz

Dr. Markus Appel: „Auch andere Länder müssen zur Bekämpfung des Klimawandels Grundrechte einschränken"

ESV-Redaktion Recht
25.10.2021
Der Klimaschutz-Beschluss des BVerfG vom 24.03.2021 hat den Gesetzgeber zu bisher kaum dagewesenen Eilaktivitäten veranlasst. Bereits Ende Juni 2021 hat er das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) novelliert. Gelungene Novelle oder Aktionismus im Wahlkampf? Hierüber und über den obigen Beschluss aus Karlsruhe hat sich Prof. Dr. Tilman Cosack mit Dr. Markus Appel, LLP Partner von Linklaters, im Standpunkte-Interview der Fachzeitschrift ER Energierecht unterhalten.
Appel begrüßt zunächst grundsätzlich, dass die Politik so schnell auf den Klimaschutz-Beschluss des BVerfG reagiert hat und betont die Seltenheit, mit der ein Gesetz von solcher Tragweite derart schnell verabschiedet werden konnte. Eine breitere gesellschaftliche Diskussion sei hierbei jedoch unterblieben, so Appel weiter.
 

Novellierung des KSG eher Wahltaktik?

Gleichzeitig sieht er aber die Schwierigkeit, dass in dem kurzen Zeitraum bisher lediglich Einigkeit über eine massive Verschärfung der Klimaschutzziele erzielt wurde. Die entscheidende Frage, wie die Ziele erreicht werden sollen, muss die neue Bundesregierung in Angriff nehmen. Appel zufolge steht insofern Vorwurf im Raum, dass die Novellierung des KSG möglicherweise wahltaktisch motiviert war.
 
Sodann richtet sich das Interview auf die Ansicht des BVerfG, nach der Deutschland nur noch ein nationales CO2-Restbudget von 6,7 Gigatonnen zur Verfügung steht, um die Erderwärmung auf 1,75 Grad Celsius zu begrenzen. Auf die Frage, ob die Karlsruher Richter damit massiv in die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers eingegriffen haben könnten, entgegnet Appel, dass zentrale rechtliche Schlussfolgerungen des BVerfG tatsächlich auf der Annahme eines nationalen CO2-Restbudgets basieren und dass hier durchaus ein Eingriff in den Kernbereich des Gesetzgebers vorliegen könnte.
 

Verschiedene Modelle zu Verteilung von CO2-Restbudgets möglich

Bisher, so Appel weiter, gebe es in der Wissenschaft nämlich aber keine Einigkeit über CO2-Restbudgets. Nach seiner Einschätzung hat die Methodik zur Berechnung eines globalen und daraus abgeleiteten nationalen CO2-Budgets vor allem politischen Charakter. Diese gilt insbesondere für die rechnerische Verteilung eines globalen Gesamtbudgets auf die verschiedenen Staaten. Nach dem Pariser Abkommen soll hier der „Fairnessansatz“ gelten. Dieser macht aber verschiedene Modelle möglich. Die bisherigen Rechenmodelle sieht Appel deshalb eher als normative Entscheidungen und weniger als Modelle im mathematischen Sinne an.
 

Aber: Künftig größerer Gesetzgebungsspielraum durch Budget-Ansatz

Hauptziel des BVerfG sei es daher gewesen, die klimaschutzrechtlichen Zielvorgaben in der Verfassung niederzulegen, um dem Gesetzgeber auch über einen Budget-Ansatz einen großen Spielraum zu geben.

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Keine Zeit für „trial and error“

Darüber hinaus sei es für das BVerfG generell schwierig, seiner Aufgabe als „Hüter der Verfassung“ nachkommen, ohne Kompetenzen anderer Verfassungsorgane einzuengen und selbst Politik zu machen.

So würde bei Prognoseentscheidungen des Gesetzgebers die Kontrollkompetenz des Gerichts von einer Evidenzkontrolle über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen. Hierbei hänge der Maßstab in erster Linie von der Eigenart des jeweiligen Sachbereichs und von der Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter ab, führt Appel hierzu aus.

Insoweit habe das BVerfG auch deutlich hervorgehoben, dass demokratische politische Prozesse, die an Wahlperioden ausgerichtet sind, zu schwerfällig sein können, um auf langfristig zu verfolgende ökologische Belange zu reagieren. Gleichzeitig würden die Verfassungshüter betonen, dass der Klimawandel nach ihrer Auffassung eine Bedrohung für die gesamte Menschheit wäre. Für ein „trial and error“ bliebe keine Zeit. Appel überrascht es deswegen nicht, dass das Gericht dem Gesetzgeber klare Leitlinien setzt.
 

Nur nationaler Klimaschutz ist unzureichend

Ein großer Schwachpunkt der Entscheidung ist Appel zufolge aber, dass das BVerfG zwar die internationale Dimension des Klimawandels thematisiert, sich aber nicht ausreichend mit den hier liegenden Defiziten befasst. Die Auffassung des Gerichts, nach der der Klimawandel nur dann wirksam bekämpft werden kann, wenn jedes Land proportional dazu beiträgt diesen zu bekämpfen, selbst wenn dieser Beitrag verhältnismäßig gering ist, hält Appel zwar für zutreffend.

Dennoch sei kaum zu bestreiten, dass zahlreiche Länder nur geringe Anstrengungen in diese Richtung unternehmen, so Appel weiter. Als Beispiel führt er China an, das mehrere hundert neue Kohlekraftwerke plant.
 
Die Diskussionen in Deutschland blenden dem Autor zufolge diese Umstände leider zu oft aus und vermitteln den Eindruck, dass Deutschland alleine einen maßgeblichen Beitrag zum weltweiten Klimaschutz beitragen könne. Dies hält Appel aber für völlig realitätsfremd.
 
Ihm zufolge ist es daher problematisch, ausschließlich unter Verweis auf das nationale CO2-Restbudget gravierende Grundrechtseinschränkungen und Wirtschaftseingriffe in Deutschland zu rechtfertigen, wenn sich nicht auch andere Länder entsprechend einschränken.
 
Lesen Sie im vollständigen Interview in der in der ER Energierecht Ausgabe 05/2021:
  • Warum Appel zufolge ein einseitiger Klima-Lockdown in Deutschland Akzeptanzprobleme auslösen kann.
  • Warum andererseits ein klimagerechter Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft durchaus ein Wachstumsmotor sein kann, der den Wohlstand sichern kann.
  • Warum die Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) der EU und die von der Bundesregierung verabschiedete Carbon-Leakage-Verordnung einem Wasserbetteffekt entgegenwirken können.
  • Warum aus Sicht von Appel die Bemühungen um eine CO2-bezogene völkerrechtliche Compliance massiv verstärkt werden sollten.
  • Warum die Stromnetze nach wie vor die „Achillesferse“ der Energiewende sind
  • und wie der Zielkonflikt zwischen  „klassischem Umweltschutz" und „Klimaschutz“ zu lösen sein kann.


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(ESV/bp)

Programmbereich: Energierecht