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Leere Straßen in München: Ausgangsbeschränkungen sind nur ein Teil des umfangreichen Maßnahmenkataloges, der nun im neuen § 28a IfSG  enthalten ist (Foto: Michael Eichhammer)
Infektionsschutzrechtliche Generalklausel und Regelbeispiele

Drittes Anti-Corona-Paket in Kraft

ESV-Redaktion Recht
24.11.2020
Am 19.11.2020 trat das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite in Kraft. Ein wichtiger Bestandteil der Reform sind die Änderungen des Infektionsschutzgesetztes (IfSG). Die Neuregelungen sollen vor allem eine neue Rechtsgrundlage für Corona-Beschränkungen schaffen. Ebenso soll die Novelle die Regelungen zur epidemischen Lage von nationaler Tragweite präzisieren.
Mit der Gesetzesänderung hat der Gesetzgeber auf zahlreiche verfassungsrechtliche Bedenken regiert, die in der Öffentlichkeit diskutiert wurden. Zwar ließ die Mehrzahl der Gerichte die Maßnahmen des November-Lockdowns unbeanstandet. Allerdings hielten vorher zum Beispiel nicht alle Beherbergungsverbote einer gerichtlichen Überprüfung stand. Auch mehrten sich Zweifel an der obigen Entwurfsfassung. Die zentralen Neuregelungen im IfSG:
 

Epidemische Lage von nationaler Tragweite – Neufassung von § 5 IfSG

Der neue § 5 IfSG schafft erstmals Voraussetzungen zur Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Dabei obliegen sowohl die Feststellung der epidemischen Lage als auch deren Aufhebung dem Deutschen Bundestag. Während der Dauer der epidemischen Lage hat die Bundesregierung den Bundestag regelmäßig über die Infektionslage zu unterrichten.
 

Besondere Schutzmaßnahmen nach § 28a IfSG

Kern der Reform ist aber der neue § 28a IfSG. Dieser soll die Rechtsgrundlage für besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 bilden und § 28 IfSG konkretisieren. Zu diesem Zweck enthält die neue Norm in ihrem Absatz 1 einen detaillierten Katalog von Maßnahmen, die während der epidemischen Lage eingeleitet werden können. Die Maßnahmen der neuen Regelung sind grundsätzlich nicht an weitere Voraussetzungen geknüpft. Allerdings gibt es hiervon auch einige Ausnahmen. So ist nach § 28a Absatz 2 IfSG die Untersagung von 

  • Versammlungen
  • religiösen Zusammenkünften
  • Ausgangsbeschränkungen
  • und des Betretens von Pflegeeinrichtungen
 
nur möglich, soweit – auch bei Berücksichtigung der bisherigen Maßnahmen – eine wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 erheblich gefährdet wäre. Darüber hinaus müssen die Maßnahmen nach § 28a Absatz 3 IfSG dem Schutz von Leben und Gesundheit und der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems dienen.

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Orientierung an Inzidenzwerten

In § 28a Absatz 3 IfSG wird auch eine Systematik eingebaut, die sich wie folgt an den Inzidenzwerten von 35 bzw. 50 infizierten Personen pro 100.000 Einwohner orientieren soll:

  • Umfassende Schutzmaßnahmen bei einer Inzidenz > 50: Überschreitet die Inzidenz den Wert von 50, sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.
  • Breit angelegte Schutzmaßnahmen bei einer Inzidenz > 35: Bei Überschreitung einer Inzidenz von 35 sind breit angelegte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.
  • Unterstützende Maßnahmen zur Kontrolle des Infektionsgeschehens bei Inzidenz < 35: Unterhalb des Schwellenwertes von 35 Neuinfektionen kommen nur Schutzmaßnahmen in Betracht, die die Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen. 

Weitere Neuerungen

  • Begründungspflicht: Nach § 28a Absatz 5 IfSG sind Rechtsverordnungen, die Corona-Schutzmaßnahmen regeln, anders als bisher, stets zu begründen.
  • Zeitliche Befristung: Die grundsätzliche Geltungsdauer für Verordnungen beträgt vier Wochen. Will der Verordnungsgeber die Schutzmaßnahmen verlängern, muss er auch dies ausreichend begründen.
Mehr Meldungen rund um die Pandemie finden Sie auf unserer Sonderseite: Aktuell Corona

Verfassungsrechtliche Aspekte

Zwar sind damit einige Kritikpunkte an der bisher geltenden Rechtslage behoben. Dennoch besteht bestehen nach wie vor einige Zweifel:

  • Gleiche Voraussetzungen für unterschiedliche Eingriffsintensitäten? Die katalogartig aufgezählten Maßnahmen nach § 28a Absatz 1 IfSG betreffen sehr verschiedene unterschiedliche Grundrechte mit unterschiedlichen Eingriffsintensitäten. Dennoch hängt die Ergreifung der Maßnahmen zu großen Teilen von den gleichen Voraussetzungen ab. Nur für die in Absatz 2 benannten Grundrechte ist erforderlich, dass die wirksame Eindämmung der Verbreitung von COVID-19 erheblich gefährdet wäre. Damit ist zweifelhaft, ob der Gesetzgeber die Schwere des jeweiligen Grundrechtseingriffs und den Zweck der Pandemiebekämpfung hinreichend abgewogen hat. 
  • Parlamentsvorbehalt gewahrt? Zudem muss der Gesetzgeber aufgrund des Parlamentsvorbehalts wesentliche Entscheidungen selbst treffen und darf diese nicht der ausführenden Gewalt überlassen. 

  • Maßnahmen nicht klar genug definiert? Zum Teil wird angeführt, dass die aufgelisteten Maßnahmen in § 28a IfSG nicht hinreichend definiert sein sollen. Zudem ist der dort benannte Maßnahmenkatalog nicht abschließend. Damit bleibt den Landesregierungen ein großer Spielraum für weitere nicht definierte Maßnahmen. Auch dies könnte erneut dem Parlamentsvorbehalt widersprechen.
  • Anwendungsbereich der Inzidenzschwellen unklar? Darüber hinaus ist nur durch unbestimmte Rechtsbegriffe definiert, wann welche Maßnahmen in Abhängigkeit von den Inzidenzschwellen getroffen werden sollen. So sollen bei der Überschreitung eines Schwellenwertes von 50 umfassende Schutzmaßnahmen getroffen werden die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Absatz 3 Satz 5 IfSG). Überschreitet die Inzidenz einen Wert von 35,  sind breit angelegte Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine schnelle Abschwächung des Infektionsgeschehens erwarten lassen (§ 28a Absatz 3 Satz 6 IfSG). Unterhalb des Schwellenwertes von 35 Neuinfektionen kommen nir solche Schutzmaßnahmen in Betracht, die die Kontrolle des Infektionsgeschehens unterstützen (§ 28a Absatz 3 Satz 7 IfSG). Ein Bezug zu den Maßnahmen nach § 28a Absatz 2 IfSG fehlt jedoch.
Das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite hat der Gesetzgeber in rekordverdächtiger Zeit durch die Gesetzgebungsgremen gebracht. Die Neuregelungen wurden am 18.11.2020 von Bundestag und Bundesrat beschlossen sowie vom Bundespräsidenten unterzeichnet. Noch am selben Tag wurde es im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2020 Teil I Nr. 52 verkündet. Damit trat es am 19.11.2020 in Kraft.

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  • Die Wirkung der Verfassungsbestimmungen auf die einfache Rechtsordnung
  • Die Entwicklungslinien der Verfassungsbestimmungen dogmatischen Aspekte
  • Die gemeinschaftsrechtlichen und internationalrechtlichen Bezüge 
  • Eine Auflistung der einschlägigen Leitentscheidungen
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(ESV/bp)

Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht