Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Sollte die deutsche Sprache einen Platz im Grundgesetz haben? (Foto: Binder Medienagentur - stock.adobe.com)
Auszüge aus „Deutsche Sprache“

Ein „Schutz dessen, was Sprache ausmacht“? Ein Für und Wider der Aufnahme der deutschen Sprache in das Grundgesetz

ESV-Redaktion Philologie
25.09.2023
Ist der Status der deutschen Sprache gefährdet und politisch regelungsbedürftig? Oder ist der natürliche Sprachwandel nicht ohnehin der „demokratischste[] aller Prozesse“? Unsere Zeitschrift Deutsche Sprache bietet neben den fachwissenschaftlichen Artikeln in ihrer neuen Rubrik „Sprache in der Gesellschaft“  auch eine Plattform, aktuelles Sprachgeschehen zu reflektieren und kontrovers zu diskutieren. In den ersten beiden Heften des aktuellen Jahrgangs 2023  widmen sich der Germanistik-Professor Gerd Antos einerseits und der Jura-Professor Jan C. Schuhr andererseits einer überaus weitreichenden Frage: Sollte die deutsche Sprache im Grundgesetz verankert werden?
Gerd Antos betrachtet im Heft 1/2023 von Deutsche Sprache die Fragestellung aus einer sprachpolitischen Perspektive und stellt zusammenfassend Pro- und Contra-Argumente hinsichtlich der Praktikabilität der Änderung und des Schutzbedürfnisses der Sprache vor. Er plädiert dafür, die Diskussion wieder anzuregen und einen überarbeiteten Vorschlag der Grundgesetzänderung zumindest in Betracht zu ziehen.

Die dabei von ihm aufgeworfene Frage „Deutsch ins Grundgesetz? Warum eigentlich nicht?!“ wird nun von Jan C. Schuhr im Heft 2/2023 aus rechtlicher Perspektive beantwortet. Er spricht über die eigentliche Funktion des Grundgesetzes, in dem „reine Symbolik“ keinen Platz habe, und über einen Paragraphen, der Deutsch bereits als juristische Sprache verankert. Er empfiehlt daher statt der Grundgesetzänderung konkretere Gesetzgebung.

Im Folgenden können Sie Auszüge aus den kontroversen und sich in ihren Perspektiven ergänzenden Beiträgen lesen:

Antos, G. Deutsch ins Grundgesetz? Warum eigentlich nicht! in Deutsche Sprache 51, S. 101–104.

„Momentan liegt sie auf Eis – die 2011 erfolglos in den Petitionsausschuss des Deutschen Bundetages eingebrachte Forderung einer Grundgesetzänderung zum „Schutz der deutschen Sprache“. Zwar wurde dann 2018 die von der AfD eingebrachte Grundgesetzänderung von allen anderen Parteien abgelehnt. Aber das Thema schwelt weiter: Sprache ist – keine Frage – Gegenstand eines Kulturkampfes. Daher ist es nur eine Frage der Zeit, bis Forderungen nach einem Schutz der deutschen Sprache wieder aufflammen werden. Warum auch nicht? Was spricht eigentlich dagegen, mit einer solchen Herausforderung offensiv umzugehen?

Ansatzpunkt wären zunächst zwei Fragen: Mit Blick auf Bedenken und mögliche Ängste – warum reicht der schon bestehende Grundgesetz-Artikel Nummer 3 nicht aus: „Niemand darf wegen […] seiner Sprache benachteiligt oder bevorzugt werden“? Und: Wenn schon eine Verfassungsänderung – etwa mit Blick auf eine Gesellschaft mit hoher Migration, sprechenden Maschinen und einer sich ausbreitenden Kinderarmut: Was spräche gegen eine verfassungsrechtlich verankerte Aufgabe des Bundes und der Länder, allen eine uneingeschränkte Teilhabe und einen Zugang zur Gemeinschaft durch Förderung ihrer Sprachbeherrschung zu ermöglichen (vgl. Vorschlag Lobin 2021)? […]

Bisherige Befürworter einer Grundgesetzänderung wollen den Artikel 22 wie folgt ergänzen: „Die Sprache der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch.“ Dieser Zusatz würde neben Berlin als Hauptstadt der BRD nach folgendem Abschnitt stehen: „(2) Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold“. Bereits diese Platzierung im Artikel 22 wirft ersichtlich sehr grundsätzliche Fragen auf, die hier aber nicht weiter behandelt werden können.

Auffällig unter linguistischer Perspektive: Was genau besagt überhaupt die vorgeschlagene Formulierung? Mit welchen denkbaren juristischen Implikationen und praktischen Folgen? Einmal abgesehen von der stilistisch nicht ganz glücklichen Formulierung, scheint dieser    Vorschlag mit dem grundgesetzlichen „Bestimmtheitsgebot“ zu kollidieren, das zur hinreichend genauen Formulierung jeglicher Eingriffe in Grundrechte verpflichtet. Etwas zugespitzt gefragt: Was soll von wem mit welchen denkbaren Folgen an der deutschen Sprache überhaupt geschützt werden und wie viel davon kann und soll in den Verfassungstext? [...]“
 
Das könnte Sie auch interessieren: 19.06.2023
Genus-Gender-Divergenzen
Über das Gendern ist eine heftige und emotionale Debatte entbrannt. Ob und in welcher Form Sprache geschlechtersensibel sein soll, darüber scheiden sich die Geister. Für die einen ist es Ausdruck der Gleichstellung, für die anderen ist es Bevormundung. Es gibt also sowohl Pro- als auch Kontra-Positionen. mehr …

Lesen Sie hier die Entgegnung von Jan C. Schuhr:
 
Schuhr, J. C. Bemerkungen zu sprachbezogenen Regelungsgegenständen in Verfassungen, in: Deutsche Sprache 51, S. 178-180.

„Die Verfassung ist ein rechtlicher Funktionstext. Sie hat Antworten auf die Frage nach den  Ausgangspunkten der Rechtsordnung zu geben durch Regelungen zu Grundrechten (bzw. Menschenrechten o. ä.) und zum Staatsorganisationsrecht. Im Staatsorganisationsrecht geht es um die wesentlichen Organisationsstrukturen, Abläufe und Zuständigkeiten für staatliches  Handeln, vor allem mit Blick auf resultierende Machtverteilung und Strukturen für die Artikulation, Rationalisierung und jedenfalls partielle Lösung von Konflikten. Bei den Grundrechten  (u. ä.) geht es um die Ansprüche des Einzelnen (Bürger, aber auch andere Menschen und juristische Personen im Staat) gegenüber dem Staat, von diesem nicht beeinträchtigt, geschützt oder sogar gefördert zu werden. In beiderlei (und auch in gemeinsamer) Hinsicht können Grundprinzipen festgeschrieben werden, die sich nur indirekt auf die genannten  Regelungen auswirken. Ferner kann in der Präambel einiges Weitere zum Selbstverständnis des Volkes, des Staates und zum Hintergrund der Verfassungsgebung ausgedrückt werden.

Solche Verfassungstexte sagen viel über jeweils präferierte Strukturen des Zusammenlebens, des Streitens, der Stellung der Einzelnen und des Privaten sowie über das Verständnis der Aufgaben des Staates aus. Insofern sagen sie viel über das Volk und seine Menschen, geben eventuell auch Leitbilder für zukünftiges Geschehen. Das ist eine Folge der eben dargestellten Funktionen der Verfassung. Es ist aber nicht selbst Funktion der Verfassung. Der  Verfassungstext hat nicht die Aufgabe, eine Selbstbeschreibung des Volkes oder seiner Menschen zu geben. Sie ist nicht die Einleitung eines Reiseführers, keine Willkommensansprache  für Neuankömmlinge und nur eingeschränkt (nur im Hinblick auf die oben genannten Regelungsgegenstände) ein Dokument der Selbstfindung einer Gemeinschaft. Nur in ebenso eingeschränkter Weise geht es um Wünsche für die Zukunft. Und es geht absolut nicht darum, dem Volk vorzuschreiben, wie es zu sein oder sich zu entwickeln habe; das Volk ist  in der Demokratie der Souverän, nicht Regelungsobjekt. Die eingangs festgestellte besondere Bedeutung der Sprache ist daher letztlich allein gar kein Grund, in der Verfassung über sie zu sprechen – nicht, wenn die Gründe nicht unmittelbar in den dargestellten Regelungsgegenständen liegen.

Rechtstexte – auch Verfassungen – haben etwas zu regeln; reine Symbolik gehört dort nicht hin. Dass Symbolgesetzgebung immer wieder vorgeschlagen und bisweilen auch umgesetzt wird, hat folgenden Grund: Im modernen Staat wird die Gewalt rechtsförmlich eingehegt, was dazu führt, dass die Politik jenseits der unmittelbaren Regierungstätigkeit kaum noch  andere Handlungsformen als diejenige der Gesetzgebung hat. Das bedeutet, dass fast jedes politische Ziel mit den Mitteln der Gesetzgebung verfolgt wird. Das ergibt Sinn, wenn  die Akteure konkret genug wissen, was sie überhaupt wollen, und das in Regelungen auszudrücken vermögen. Wenn das nicht der Fall ist, aber gleichwohl so getan werden soll, als würde politisch etwas getan, wird in Form von Gesetzen etwas gesagt, das keine (inhaltlich bestimmte) Regelung beinhaltet. Das aber ist dann weder gute Politik noch wirkliche Gesetzgebung, sondern (sicherlich oft unbewusst) ein Täuschungsmanöver und ein Missbrauch der  Gesetzesform. Für die Verfassung gilt das erst recht. […]“


Möchten Sie noch mehr zu diesem Thema oder zu anderen Entwicklungen der Deutschen Sprache erfahren? Bestellen Sie gern die aktuellen Ausgaben der Zeitschrift im Buchhandel oder hier auf der Verlagsseite.

Deutsche Sprache
Zeitschrift für Theorie, Praxis, Dokumentation

Herausgegeben im Auftrag des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache von Prof. Dr. Henning Lobin und Prof. Dr. Mechthild Habermann

Herausgeberbeirat: Prof. Dr. Stefan Engelberg, Prof. Dr. Christian Fandrych, Prof. Dr. Ekkehard Felder, Dr. Sandra Hansen, Prof. Dr. Alexander Lasch, Prof. Dr. Janja Polajnar Lenarčič
Redaktion: Melanie Kraus

Das Profil der Zeitschrift ist von ihrer theoretisch-methodischen Offenheit geprägt. Sie steht für die Pluralität wissenschaftlicher Zugänge und bietet Beiträgen mit einer ausgeprägten theoretisch-methodischen Ausrichtung ebenso ein Forum wie solchen, die zusätzlich einen Schwerpunkt auf die empirische Auswertung von Sprachdaten legen. Besonderes Interesse gilt dem breiten Spektrum der germanistischen Linguistik, das Studien zu den Sprachebenen Grammatik und Lexikon ebenso umfasst wie zur Kognitiven Linguistik und Soziolinguistik, Text- und Diskurslinguistik, Gesprächs- und Interaktionslinguistik bis hin zum großen Bereich der Angewandten Sprachwissenschaft.

Die Zeitschrift führt aktuelle Forschungsdiskussionen und lässt namhafte Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler zu Wort kommen. Breit angelegte Sammelberichte und Dokumentationen informieren über neue Publikationen und Entwicklungen. Pro Jahrgang erscheint ein Themenheft, das einen bestimmten Bereich der deutschen Sprache fokussiert und intensiver beleuchtet.

Die Qualität der Beiträge ist durch anonyme, doppelte Begutachtung gesichert (Peer Review). Die Zeitschrift ist entsprechend in ERIH PLUS gelistet

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik