
Ein „Schutz dessen, was Sprache ausmacht“? Ein Für und Wider der Aufnahme der deutschen Sprache in das Grundgesetz
Die dabei von ihm aufgeworfene Frage „Deutsch ins Grundgesetz? Warum eigentlich nicht?!“ wird nun von Jan C. Schuhr im Heft 2/2023 aus rechtlicher Perspektive beantwortet. Er spricht über die eigentliche Funktion des Grundgesetzes, in dem „reine Symbolik“ keinen Platz habe, und über einen Paragraphen, der Deutsch bereits als juristische Sprache verankert. Er empfiehlt daher statt der Grundgesetzänderung konkretere Gesetzgebung.
Im Folgenden können Sie Auszüge aus den kontroversen und sich in ihren Perspektiven ergänzenden Beiträgen lesen:
Antos, G. Deutsch ins Grundgesetz? Warum eigentlich nicht! in Deutsche Sprache 51, S. 101–104.
„Momentan liegt sie auf Eis – die 2011 erfolglos in den Petitionsausschuss des Deutschen Bundetages eingebrachte Forderung einer Grundgesetzänderung zum „Schutz der deutschen Sprache“. Zwar wurde dann 2018 die von der AfD eingebrachte Grundgesetzänderung von allen anderen Parteien abgelehnt. Aber das Thema schwelt weiter: Sprache ist – keine Frage – Gegenstand eines Kulturkampfes. Daher ist es nur eine Frage der Zeit, bis Forderungen nach einem Schutz der deutschen Sprache wieder aufflammen werden. Warum auch nicht? Was spricht eigentlich dagegen, mit einer solchen Herausforderung offensiv umzugehen?
Ansatzpunkt wären zunächst zwei Fragen: Mit Blick auf Bedenken und mögliche Ängste – warum reicht der schon bestehende Grundgesetz-Artikel Nummer 3 nicht aus: „Niemand darf wegen […] seiner Sprache benachteiligt oder bevorzugt werden“? Und: Wenn schon eine Verfassungsänderung – etwa mit Blick auf eine Gesellschaft mit hoher Migration, sprechenden Maschinen und einer sich ausbreitenden Kinderarmut: Was spräche gegen eine verfassungsrechtlich verankerte Aufgabe des Bundes und der Länder, allen eine uneingeschränkte Teilhabe und einen Zugang zur Gemeinschaft durch Förderung ihrer Sprachbeherrschung zu ermöglichen (vgl. Vorschlag Lobin 2021)? […]
Bisherige Befürworter einer Grundgesetzänderung wollen den Artikel 22 wie folgt ergänzen: „Die Sprache der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch.“ Dieser Zusatz würde neben Berlin als Hauptstadt der BRD nach folgendem Abschnitt stehen: „(2) Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold“. Bereits diese Platzierung im Artikel 22 wirft ersichtlich sehr grundsätzliche Fragen auf, die hier aber nicht weiter behandelt werden können.
Auffällig unter linguistischer Perspektive: Was genau besagt überhaupt die vorgeschlagene Formulierung? Mit welchen denkbaren juristischen Implikationen und praktischen Folgen? Einmal abgesehen von der stilistisch nicht ganz glücklichen Formulierung, scheint dieser Vorschlag mit dem grundgesetzlichen „Bestimmtheitsgebot“ zu kollidieren, das zur hinreichend genauen Formulierung jeglicher Eingriffe in Grundrechte verpflichtet. Etwas zugespitzt gefragt: Was soll von wem mit welchen denkbaren Folgen an der deutschen Sprache überhaupt geschützt werden und wie viel davon kann und soll in den Verfassungstext? [...]“
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Lesen Sie hier die Entgegnung von Jan C. Schuhr:
Schuhr, J. C. Bemerkungen zu sprachbezogenen Regelungsgegenständen in Verfassungen, in: Deutsche Sprache 51, S. 178-180.
„Die Verfassung ist ein rechtlicher Funktionstext. Sie hat Antworten auf die Frage nach den Ausgangspunkten der Rechtsordnung zu geben durch Regelungen zu Grundrechten (bzw. Menschenrechten o. ä.) und zum Staatsorganisationsrecht. Im Staatsorganisationsrecht geht es um die wesentlichen Organisationsstrukturen, Abläufe und Zuständigkeiten für staatliches Handeln, vor allem mit Blick auf resultierende Machtverteilung und Strukturen für die Artikulation, Rationalisierung und jedenfalls partielle Lösung von Konflikten. Bei den Grundrechten (u. ä.) geht es um die Ansprüche des Einzelnen (Bürger, aber auch andere Menschen und juristische Personen im Staat) gegenüber dem Staat, von diesem nicht beeinträchtigt, geschützt oder sogar gefördert zu werden. In beiderlei (und auch in gemeinsamer) Hinsicht können Grundprinzipen festgeschrieben werden, die sich nur indirekt auf die genannten Regelungen auswirken. Ferner kann in der Präambel einiges Weitere zum Selbstverständnis des Volkes, des Staates und zum Hintergrund der Verfassungsgebung ausgedrückt werden.
Solche Verfassungstexte sagen viel über jeweils präferierte Strukturen des Zusammenlebens, des Streitens, der Stellung der Einzelnen und des Privaten sowie über das Verständnis der Aufgaben des Staates aus. Insofern sagen sie viel über das Volk und seine Menschen, geben eventuell auch Leitbilder für zukünftiges Geschehen. Das ist eine Folge der eben dargestellten Funktionen der Verfassung. Es ist aber nicht selbst Funktion der Verfassung. Der Verfassungstext hat nicht die Aufgabe, eine Selbstbeschreibung des Volkes oder seiner Menschen zu geben. Sie ist nicht die Einleitung eines Reiseführers, keine Willkommensansprache für Neuankömmlinge und nur eingeschränkt (nur im Hinblick auf die oben genannten Regelungsgegenstände) ein Dokument der Selbstfindung einer Gemeinschaft. Nur in ebenso eingeschränkter Weise geht es um Wünsche für die Zukunft. Und es geht absolut nicht darum, dem Volk vorzuschreiben, wie es zu sein oder sich zu entwickeln habe; das Volk ist in der Demokratie der Souverän, nicht Regelungsobjekt. Die eingangs festgestellte besondere Bedeutung der Sprache ist daher letztlich allein gar kein Grund, in der Verfassung über sie zu sprechen – nicht, wenn die Gründe nicht unmittelbar in den dargestellten Regelungsgegenständen liegen.
Rechtstexte – auch Verfassungen – haben etwas zu regeln; reine Symbolik gehört dort nicht hin. Dass Symbolgesetzgebung immer wieder vorgeschlagen und bisweilen auch umgesetzt wird, hat folgenden Grund: Im modernen Staat wird die Gewalt rechtsförmlich eingehegt, was dazu führt, dass die Politik jenseits der unmittelbaren Regierungstätigkeit kaum noch andere Handlungsformen als diejenige der Gesetzgebung hat. Das bedeutet, dass fast jedes politische Ziel mit den Mitteln der Gesetzgebung verfolgt wird. Das ergibt Sinn, wenn die Akteure konkret genug wissen, was sie überhaupt wollen, und das in Regelungen auszudrücken vermögen. Wenn das nicht der Fall ist, aber gleichwohl so getan werden soll, als würde politisch etwas getan, wird in Form von Gesetzen etwas gesagt, das keine (inhaltlich bestimmte) Regelung beinhaltet. Das aber ist dann weder gute Politik noch wirkliche Gesetzgebung, sondern (sicherlich oft unbewusst) ein Täuschungsmanöver und ein Missbrauch der Gesetzesform. Für die Verfassung gilt das erst recht. […]“
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