Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Dr. Tristan Lay (links) und Prof. Dr. Ulf Abraham (rechts) haben Heft 63 von „Fremdsprache Deutsch“ als Herausgeber betreut (Fotos: privat).
Nachgefragt bei: Prof. Dr. Ulf Abraham und Dr. Tristan Lay

„Es ist wichtig, auch im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen populäre Textsorten zu behandeln“

ESV-Redaktion Philologie
30.11.2020
Geschichten lassen sich auf viele Weisen erzählen. Wer sprachlich noch nicht so geübt ist, freut sich über eine Unterstützung des Textes in Form von Bildern – wie sie zum Beispiel die Graphic Novel bietet.
Heft 63 von „Fremdsprache Deutsch“ widmet sich Graphic Novels in vielerlei Hinsichten: Neben der Klärung ihrer Eigenheiten und Rezeptionsanforderungen werden zahlreiche Graphic Novels und deren Einsatzmöglichkeiten im Unterricht vorgestellt – von Grundstufenniveau über projektorientierte Optionen bis hin zu anspruchsvollen Einblicken in die deutsche Zeitgeschichte.
Im Interview stellen wir den Herausgebern des aktuellen Heftes, Prof. Dr. Ulf Abraham und Dr. Tristan Lay, Fragen rund um die Graphic Novel und ihre Einsatzmöglichkeiten im DaF/DaZ-Unterricht.


Lieber Herr Abraham, lieber Herr Lay, in der aktuellen Ausgabe von FD sprechen Sie von der Graphic Novel als einem hybriden Medium. Für alle, die noch keinen Blick in das Heft geworfen haben: Welche unterschiedlichen Medien schließen sich in ihr zusammen?

Der Untertitel unseres Basisaufsatzes im Heft benennt die verschiedenen Medien, deren Charakteristiken die Graphic Novels sich zunutze macht: Es handelt sich dabei konkret um Comic, Roman und Film. Die Graphic Novel „oszilliert“ sozusagen zwischen diesen, sie nutzt die Bild- und Formensprache des Comics sowie Perspektiven und Darstellungskonventionen des Films, um ihre Geschichten in „Romanform“ zu erzählen. Als ästhetische Textsorte kann sie im Unterricht u.a. dazu genutzt werden, um intermediale Darstellungsverfahren genauer in den Blick zu nehmen.

Die Kombination aus Text und Bild überbrückt sicher manche Verständnishürde, mit der Lernende sich bei deutschsprachiger Lektüre konfrontiert sehen: Das Bild kann dort Auskunft geben, wo die Sprache vielleicht nicht ganz verstanden wird. Gibt es noch andere Aspekte des Zusammenspiels von Text und Bild, die beim Einsatz von Graphic Novels zu berücksichtigen sind?

Wenn Bild- und Textelemente sich komplementär zueinander verhalten, dann kann das in der Tat eine Lese- und Verständnishilfe für Fremdsprachenlernende sein. Es gibt aber auch Graphic Novels, die ihre Geschichte durchgehend textfrei erzählen! Dazu gehört – um nur ein Beispiel zu nennen – die Graphic Novel The Arrival des australischen Schriftstellers und Illustrators Shaun Tan. Aber auch dort, wo es Textelemente gibt, sind die Bilder nicht nur als Illustrationen der Handlung zu begreifen. Sie können durchaus ihre eigenen kleinen Geschichten erzählen, indem sie z.B. deutsche Sprichwörter visualisieren wie etwa Birgit Weyhe in Madgermanes.

Fremdsprache Deutsch, Heft 63: Graphic Novels 27.10.2020
Ein Medium zwischen Comic, Roman und Film im Unterricht
Graphic Novels nutzen als Hybridmedien die Bild- und Formensprache des Comics sowie Perspektiven und Darstellungskonventionen des Films, um ihre Geschichten in „Romanform“ zu erzählen. Ihre unterrichtliche Behandlung schult <em>visual literacy</em> (Bildkompetenz) und trainiert Lesestrategien, die auch für das Erschließen anderer ästhetischer Texte hilfreich sind. mehr …

Um auf die Text-Bild-Symbiose zurückzukommen: Anders als der Film erzählt die Graphic Novel ihre Geschichten im Rahmen statischer Bildfolgen. Dadurch wird dem Einzelbild mehr Beachtung geschenkt und so ein systematisches und reflektiertes Betrachten ermöglicht. Ein Panel – und dessen Bild- und Textelemente – kann so in Ruhe analysiert und kontextuell mit anderen Panels in Beziehung gesetzt werden. Wir möchten aber mit unserem Themenheft zeigen, dass das Studium und die Lektüre von Graphic Novels durchaus hohe Anforderungen an Verstehenskompetenzen der Lernenden stellt. Denn um eine Graphic Novel erfolgreich zu lesen, muss aufgrund der spezifischen narrativen und ästhetischen Qualität des Mediums eine Vielzahl an Kenntnissen und Fähigkeiten zusammengeführt werden. Wenn man eine Graphic Novel aufschlägt, aktiviert man als Leser und Betrachter gleichzeitig verschiedene Kompetenzen, um die verschiedenen Darstellungsmodi sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Im Unterricht erfordert dies Zeit und ein systematisches Vorgehen, in dem auch das Wissen, die Erfahrungen, aber auch Hypothesen der Lernenden, also gewissermaßen die Exploration authentischer Sichtweisen, stärker berücksichtigt werden sollten.

Welche Vorüberlegungen sollten sich Lehrkräfte angesichts der Besonderheiten von Graphic Novels machen? Gibt es bei der Auswahl bestimmte Kriterien zu berücksichtigen?

Die Auswahl einer bestimmten Lektüre hängt sicherlich vom Lern- und Leseziel, dem Lehr- und Lernkontext und nicht minder von den gegebenen Lernvoraussetzungen ab. Folgende Überlegungen spielen eine Rolle:
  • „Was möchte ich mit dem Einsatz der ausgewählten Graphic Novel – oder auch nur Auszügen der Graphic Novel – erreichen?“
  • „Welches Welt- und Sprachwissen kann zum Thema erwartet werden und welche Zusatzinformationen müssen bereitgestellt werden?“
  • „Steht im Unterricht das literarische Lernen im Vordergrund, also die Auseinandersetzung mit der Graphic Novel als Literaturform, oder fokussiert er sprachdidaktische und landeskundliche Ziele?“
  • Oder: „Soll im Interesse der Förderung bildästhetischer Kompetenz die Formensprache der Bilder konkret erfasst werden?“
Ein weiteres wichtiges Kriterium bei Überlegung und Auswahl ist sicherlich das Sprachniveau der Lernenden. Im Idealfall sollte der Inhalt das durchschnittliche Sprachvermögen der Kursgruppe nur leicht übersteigen, d.h. welche Sprachschwierigkeiten sind zu erwarten (Wortschatz, Grammatik, Stil, Kommunikationsform). Es ist aber auch möglich, einen „Graphic Novel-Sammelband“ zu wählen, der auf wenige Seiten inhaltlich weitgehend abgeschlossene Episoden anbietet, wie z.B. Berliner Mythen von Reinhard Kleist. Auch auf Grundstufenniveau kann bereits mit Graphic Novels gearbeitet werden. Dazu eignen sich z.B. einige Werke von Birgit Wehye, die auch von den beitragenden Autorinnen und Autoren des Heftes diskutiert werden.

In Ihrem gemeinsamen Artikel schreiben Sie, dass die Besprechung von Graphic Novels – und analog auch die von Comics – vor allem die Wahrnehmungs- und Beschreibungskompetenz schult und abzuprüfendes Wissen dabei eher nachrangig ist. Könnten Sie uns ein Beispiel geben, welche Aufgaben sich für den produktiven Umgang mit der Graphic-Novel-Lektüre anbieten?

Es bietet sich generell an, ästhetische Texte im Hinblick auf ihre Machart und die Art und Weise, wie sie ihre Story vermitteln, im Unterricht zu thematisieren. Dazu gehört auch, deren visuelle Darstellungstechniken genauer in den Blick zu nehmen. Da eine Vielzahl von Bild- und Textmedien den Alltag unserer Lernenden dominiert, ist es wichtig, auch im Kontext des Lehrens und Lernens fremder Sprachen populäre Textsorten zu behandeln, um einerseits die Bild- und Medienkompetenz zu schulen, andererseits „authentische“ Einblicke in aktuelle gesellschaftliche Diskussionen der deutschsprachigen Länder zu ermöglichen. Möchte man nun lediglich einzelne „Bausteine“ in den Unterricht integrieren, da z.B. neben dem Lehrbuch kaum Zeit für andere Materialien bleibt, haben sich in der Praxis Übungen als fruchtbar erwiesen, die z.B. das Ausfüllen von Sprech- und Denkblasen oder das Legen, Begründen und Versprachlichen von Bildfolgen als Aufgabe haben; auch der Entwurf einzelner Panels oder Seiten kann sehr motivierend sein und macht zusätzlich vom Potential kooperativer Sozialformen Gebrauch. Die in unserem Themenheft versammelten Beiträge und Unterrichtsmodelle bieten zum produktiven Umgang mit der Graphic-Novel-Lektüre viele interessante und innovative Vorschläge.

Nun sind Graphic Novels nicht nur für den Unterricht gedacht, sondern mehr noch für die Freizeit. Sie haben sich sicherlich nicht nur im Rahmen von Fremdsprache Deutsch intensiv mit ihnen befasst. Hat eine davon Sie besonders gepackt, die Sie uns als persönliche Lektüreempfehlung mitgeben können?

Schon zum Klassiker geworden ist Marjane Satrapis wunderbare autobiografische Grapic Novel Persepolis. Sehr beeindruckend ist aber auch Markus Königers ganz neue Umsetzung von Rafik Schamis Roman Eine Hand voller Sterne als Tagebuch eines Bäckerjungen aus Damaskus.

Ihnen beiden vielen Dank für das Interview und die Lesetipps!

Zu den Heftherausgebern
Dr. Tristan Lay lehrt und forscht an der Universität Sydney zu DaF/DaZ und u.a. zu visuellen Künsten im Fremdsprachenunterricht,
Prof. Dr. Ulf Abraham hatte bis 2020 den Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg inne.


Fremdsprache Deutsch Heft 63 (2020):
Graphic Novels

Herausgegeben von Goethe-Institut, Prof. Dr. Christian Fandrych, Prof. Dr. Britta Hufeisen, Dr. Imke Mohr, Prof. Dr. Ingo Thonhauser, Petra Klimaszyk und Dr. Wassilios Klein

Der Comic in Form einer längeren bildliterarischen Erzählung (Graphic Novel) hat seit der Jahrtausendwende nicht nur, aber auch im deutschen Sprachraum eine Erfolgsgeschichte mit regem Publikumsinteresse und hohen Absatzzahlen geschrieben. Er ist inzwischen etabliert als bilddominiertes Medium, das klassische Stoffe adaptiert, vor allem aber aktuelle soziale, politische und (trans-)kulturelle Realitäten packend thematisieren kann.
Für Deutsch als Fremdsprache steckt die Auseinandersetzung damit allerdings noch in den Anfängen. Die beträchtlichen sprach-, literatur- und mediendidaktischen Möglichkeiten von Graphic Novels, und nicht zuletzt ihr landeskundliches Potenzial, harren noch der Entdeckung und Nutzung im Unterricht.

In diesem Heft machen bewährte Autor*innen anhand aktueller und genreprägender Texte von teilweise sehr bekannten Comic-Künstler*innen unterrichtspraktische Vorschläge, wie Graphic Novels zum Spracherwerb, zum literarischen und kulturellen Lernen sowie zur Medienreflexion (filmische Mittel) genutzt werden können.

(ESV/MD)

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache