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Fluch oder Segen? Das aktuelle EuGH-Urteil zur Arbeitszeiterfassung (Foto: Daniel Krasoń/Fotolia.com)
Erfassung der Arbeitszeit

EuGH sorgt für Aufregung um Arbeitszeiterfassung

ESV-Redaktion Recht
21.05.2019
Ende der Vertrauensarbeitszeit, Bürokratie-Tsunami oder angemessenes Mittel, Arbeitnehmerrechte durchzusetzen? Mit einem aktuellen Urteil verpflichtet der EuGH die Arbeitgeber dazu, künftig Systeme zur Arbeitszeiterfassung einzurichten. Die Luxemburger Richter haben damit eine heftige öffentliche Debatte ausgelöst.
Klägerin war die spanische Gewerkschaft Federación de Servicios de Comisiones Obreras (CCOO). Sie wendete sich an den Nationalen Gerichtshof in Spanien. Ihr Ziel: Feststellung, dass die Deutsche Bank SAE ein System zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter einrichten muss. Damit soll zum einen die Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeit überprüft werden. Darüber hinaus wollte die Klägerin erreichen, dass die Gewerkschaftsvertreter die Angaben der Arbeitgeber über die monatlichen Überstunden prüften können. Nach Auffassung der CCOO ergibt sich diese Verpflichtung nicht nur aus den aktuellen spanischen Regelungen, sondern auch aus der Charta der Grundrechte der EU in Verbindung mit der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG (ABl. 2003, L 299, 9).

EuGH: Objektives und verlässliches Zeiterfassungs-System notwendig

Der EuGH teilte im Ergebnis die Meinung der Klägerin. Nach der Entscheidung des Gerichts müssen die Arbeitgeber der Mitgliedstaaten ein objektives, verlässliches und zugängliches System einrichten, das die tägliche Arbeitszeit von jedem Arbeitnehmer messen kann. Nur so könne das Recht aus Arbeitszeitrichtlinie und Charta gesichert werden. Ohne Zeiterfassungssystem könnten weder die geleisteten Arbeitsstunden, ihre zeitliche Verteilung noch die  Überstunden zuverlässig ermittelt werden. Arbeitnehmer könnten ihre Rechte ansonsten praktisch kaum durchsetzen. Dabei betonten die EuGH-Richter die Bedeutung des Grundrechts der Arbeitnehmer auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche bzw. wöchentliche Ruhezeiten.

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Geteiltes Echo

Das Urteil aus Luxemburg hat zahlreiche unterschiedliche Reaktionen ausgelöst:
  • Ende der „Vertrauensarbeit“? Der Richterspruch aus Luxemburg würde die Vertrauensarbeitszeit beenden, obwohl sich die Beschäftigten neue, flexible Arbeitsformen wünschen würden, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Oliver Zander, gegenüber der Online-Ausgabe des Handelsblatts.
  • „Rückkehr der Stechuhr“ oder „Bürokratie-Tsunami“? Vor allem einige Arbeitsrechtler fürchten eine neue Bürokratiewelle in Deutschland. Teilweise ist von einem „Bürokratie-Tsunami“ die Rede. Andere wiederum beklagen die Rückkehr der Stechuhr im 21. Jahrhundert. Auch Datenschutzprobleme werden zum Teil ins Feld geführt.
  • Oder aber „Flatrate-Arbeit“ gestoppt?“ Anders der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB): So meinte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, dass der EuGH das Ende „der Flatrate-Arbeit“ eingeläutet habe. In diesem Zusammenhang verwies sie auf Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Danach haben die deutschen Arbeitnehmer etwa 2,2 Milliarden Überstunden geleistet. Nur etwa die Hälfte davon soll auch bezahlt worden sein, wenn man zahlreichen Medienberichten folgt.

Die bisherige Situation in Deutschland

  • Aufzeichnung von Überstunden: Nach § 16 Satz 2 ArbZG muss der Arbeitgeber erst die Überschreitung der maximalen werktäglichen Arbeitszeit von acht Stunden dokumentieren. Er muss also lediglich Überstunden aufzeichnen. Alle Aufzeichnungen hat er zwei Jahre lang aufzubewahren und muss diese auf Verlangen den betreffenden Behörden vorlegen.
  • Bestimmte Arbeitszeiten schon jetzt erfasst: Bei einigen bestimmten Arbeitsverhältnissen muss der Arbeitgeber schon jetzt die Arbeitszeit erfassen, beispielsweise bei Minijobs oder Schichtarbeit. Auch bei Kraftfahrern im öffentlichen Dienst sind Arbeitsstunden zu dokumentieren.
Keine Erfassung der Arbeitszeiten erfolgt oft dort, wo flexibel gearbeitet wird oder Mitarbeiter viel unterwegs sind. Beispiele hierfür sind Berater im Außendienst oder das Homeoffice.

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Wie es weitergeht

Eine endgültige Bewertung, ob dies überhaupt notwendig ist – das heißt, ob Deutschland die Vorgaben des EuGH bereits jetzt schon erfüllt – ist erst nach einer eingehenden Prüfung der Entscheidung möglich. Dennoch ist davon auszugehen, dass sich das Urteil auch auf das deutsche Recht auswirken wird.

Noch kein akuter Handlungsbedarf für Unternehmen

Akuter Handlungsbedarf für die Arbeitgeber besteht derzeit aber noch nicht. Vielmehr muss der deutsche Gesetzgeber die neuen Vorgaben aus dem Urteil erst umsetzen.
  • Keine großen Änderungen für die Industrie: In den meisten Industrieunternehmen oder sonstigen größeren Unternehmen wird sich voraussichtlich nicht viel ändern. Hier wird die komplette tägliche Arbeitszeit in aller Regel bereits erfasst.
  • Aber – Ungewissheit für kleinere Unternehmen: In kleinere Unternehmen und vor allem in Start-Ups sind Zeiterfassungen eher die Ausnahme. So äußert Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Startups die Sorge, dass die Entscheidung aus Luxemburg die „notwendige gedankliche Flexibilität, das Hand in Hand“ beeinträchtigt. Gerade die kleinen Unternehmensgründungen, wären aber darauf angewiesen, so Nöll laut Tagesschau.de.  
Gesetzgeber in der Pflicht

Der EuGH hat seinen Mitgliedern zur Umsetzung des Urteils keine Frist gesetzt. Dennoch könnte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn Deutschland das Urteil gar nicht umsetzt. Ob es zu einem solchen Verfahren kommt, erscheint jedoch unwahrscheinlich.

Den Mitgliedstaaten obliegen die konkreten Modalitäten zur Umsetzung der Zeiterfassung. Hierbei sind auch etwaige Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs und auch deren Eigenheiten oder die Größe der Unternehmen zu berücksichtigen.

Nur so viel scheint sicher: Es wird den Arbeitgebern überlassen bleiben, ob sie digitale Stechuhren, Apps oder die Papierform wählen – und die Daten müssen vier Jahre lang aufbewahrt werden.

Quelle: Unter anderem PM des EuGH 14.5.2019 zur Entscheidung vom selben Tag – C-55/18 und zahlreiche Medienberichte

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(ESV/bp)

Programmbereich: Arbeitsrecht