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Theodor Storm und Theodor Fontane: Verbunden durch einen fast 35-jährigen Briefwechsel. (Foto: ESV-Archiv)
Fontane-Jahr 2019

Fontane: „In meinem 15ten Jahre schrieb ich mein erstes Gedicht“

ESV-Redaktion Philologie
06.02.2019
Ohne biographische Zeugnisse sind die Leben historischer Persönlichkeiten kaum rekonstruierbar – im Falle Theodor Fontanes blickt die Forschung jedoch auf eine Fülle an Material: Theaterkritiken, Zeitungsbeiträge und Briefe. Vor allem in letzteren offenbaren sich oftmals verborgene Details über den Autor.
Im Briefwechsel mit Theodor Storm schrieb Fontane häufiger über anstehende Besuche, seine schriftstellerische Arbeit, aber eben auch darüber, was als Kind sein eigentlicher Berufswunsch war, bevor er in die Apothekerlehre ging.

Lesen Sie dazu einen Auszug aus dem Briefwechsel der beiden aus dem Februar 1854.

Storm an Fontane, Potsdam, Freitag, 3. Februar 1854

Liebster Fontane,

[…] Wollen und können Sie mir nicht die Freude machen, nächstens einmal einen vollen Nachmittag u. eine Nacht bei mir zu bleiben? Sie könnten dann die verlangten Notizen über ihre Balladen mitnehmen, auch die 12 Preuß. Heldengedichte, und wir besprächen dann u. A. auch den Artikel über Sie, den ich wohl nach und nach zu Stande brächte. Gestern in ruhiger Stimmung las ich meiner Frau „Thomas Cranmers Tod“, und ich kann wohl sagen, daß dieß Mal das Gedicht einen bedeutenden Eindruck auf uns machte, und mir in seinem sichern ruhigen Fortschreiten in nichts zu lang erschien.
Grüßen Sie mir den Dichter herzlich, so wie die andern Brüder in Argo!
Einen Gruß aus der Familie an Frau Emilie!
Herrn Th Fontane
Ihr Th Storm

Fontane an Storm, Berlin, Dienstag, 14. Februar 1854

Lieber Storm.

Der Umstand, daß ich Ihr freundliches Briefchen vom 3ten oder 4ten noch immer nicht beantwortet habe, ist mir, mehr als vieles andre, ein rechter Beweis für meine Gehetztheit im Dienste des Staats. […] Heut stehl’ ich mir die nöthige Zeit, um die Sache als eingefädelt betrachten zu dürfen, wenn ich Sie übermorgen, beim großen Eichendorff-Diner, wiedersehn werde. […] Nun ein Paar Worte über mich, die Ihnen für Ihren Aufsatz vielleicht einige Anknüpfungspunkte bieten. Von Kindesbeinen an hab’ ich eine ausgeprägte Vorliebe für die Historie gehabt. Ich darf sagen, daß diese Neigung mich geradezu beherrschte und meinen Gedanken wie meinen Arbeiten eine einseitige Richtung gab. Als ich in meinem 10ten Jahre gefragt wurde was ich werden wollte, antwortete ich ganz stramm: Professor der Geschichte. (Dies ist Familientradition, die es erlaubt sein mag zu citiren). Um dieselbe Zeit war ich ein enthusiastischer Zeitungsleser. […]
Dann kam ich auf’s Gymnasium. Als ich ein 13 jähriger Tertianer und im Uebrigen ein mittelmäßiger Schüler war, hatt’ ich in der Geschichte solches Renommée, daß die Primaner mit mir spatzieren gingen und sich – ich kann’s nicht anders ausdrücken – für’s Examen durch mich einpauken ließen. Zum Theil war es bloßer Zahlen= und Gedächtnißkram, doch entsinne ich mich andrerseits deutlich eines Triumphes den ich feierte, als ich meinen Zuhörern die Schlachten von Crecy und Poitiers ausmalte. 13½ Jahre alt kam ich auf die hiesige Gewerbeschule, wo gar kein Geschichtsunterricht war und ich mich aus diesem und hundert andern Gründen unglücklich fühlte.

Das Abenteuer des Gewöhnlichen 24.01.2019
Der literarische Alltag bei Fontane
Theodor Fontane gilt als einer der größten deutschen Romanciers des 19. Jahrhunderts. 2019 wird anlässlich seines 200. Geburtstags das Fontane-Jahr gefeiert. Er verstand es, seine Figuren genau zu charakterisieren anhand der Gespräche seiner Protagonisten: Die oft bemängelte Handlungsarmut seiner Romane wird weggeplaudert. mehr …

Meine Neigung blieb indeß dieselbe. In meinem 15ten Jahre schrieb ich mein erstes Gedicht, angeregt durch Chamisso’s: Salas y Gomez. Natürlich waren es auch Terzinen; Gegenstand: die Schlacht bei Hochkirch. Zwei Jahre später, als ich schon Apotheker war, leimte ich ein kleines Epos zusammen: Heinrich IV; und das Jahr darauf schrieb ich meine erste Ballade, die ich vielleicht, ohne Erröthen, noch jetzt als mein Machwerk ausgeben könnte. Die Ballade hieß „Vergeltung“, behandelte in 3 Abtheilungen die Schuld, den Triumph und das Ende des Pizarro und wurde, unter Gratulationen von dem betreffenden Redacteur in einem hiesigen Blatte gedruckt. In meinem 20t. Jahre kam ich nach Leipzig, was mir damals gleichbedeutend war mit Himmel und Seligkeit. Es kam die Herwegh-Zeit. Ich machte den Schwindel gründlich mit und das Historische schlug in’s Politische um.

„Das Lyrische ist sicherlich meine schwächste Seite“

Dem vielgeschmähten Tunnel verdank’ ich es, daß ich mich wiederfand und wieder den Gaul bestieg, auf den ich nun mal gehöre. […] Meine Neigung und – wenn es erlaubt ist so zu sprechen – meine Force ist die Schilderung. Am Innerlichen mag es gelegentlich fehlen, das Aeußerliche hab’ ich in der Gewalt. Nur so wie ich die Geschichte als Basis habe, gebiet’ ich über Kräfte die mir sonst fremd sind, wie jener, dem auf heimathlicher Erde die Seele wieder stark wurde. – Das Lyrische ist sicherlich meine schwächste Seite, besonders dann wenn ich aus mir selber und nicht aus einer von mir geschaffenen Person heraus, dies und das zu sagen versuche. Diese Schwäche ist so groß, daß einzelne meiner frühsten Balladen (Schön-Anne; Graf Hohenstein u. einige andre) nichts andres sind als in’s Balladische transponirte lyrische Gedichte. Namentlich ist das zweitgenannte ganz subjektiv, was ich so schrieb weil ich nicht anders konnte. Daß das Ding nichts taugt ist gleichgültig; ich will nur zeigen wie ich verfuhr. – Und nun genug! […]

Und nun viele herzliche Grüße an Frau Constanze u. Sie, von
meiner Frau und Ihrem

T h. F o n t a n e

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Zur Herausgeberin
Dr. Gabriele Radecke ist Literatur- und Editionswissenschaftlerin. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Göttingen und Leiterin der dortigen Theodor Fontane-Arbeitsstelle. Herausgeberin der Großen Brandenburger Ausgabe zu den Werken und Briefen Theodor Fontanes und der digitalen Edition von Theodor Fontanes Notizbüchern. 

Theodor Storm – Theodor Fontane Der Briefwechsel

Herausgegeben von Dr. Gabriele Radecke

Der Briefwechsel zwischen Theodor Fontane und Theodor Storm ist wohl der prominenteste Briefwechsel des deutschen Realismus. Er ist eine wichtige Quelle für die Beschäftigung mit den beiden Autoren und wird hier in einer textkritischen, nach neuen editorischen Standards erarbeiteten und umfangreich kommentierten Edition erstmals als Sonderausgabe im Taschenbuch vorgelegt.
Die 104 Briefe, die zwischen Dezember 1852 und Oktober 1887 geschrieben wurden, informieren nicht nur über die existentiellen Sorgen Storms und Fontanes; sie berühren auch zentrale literarische und politische Themenbereiche und geben Einblicke in das gesellschaftliche und kulturelle Leben um die Mitte des 19. Jahrhunderts.

(ESV/pa)

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik